Lasst mich mit euren Hipster-Hochzeiten in Ruhe

© Cayton Heath | Unsplash

Laut Bundesamt für Statistik wurden in Deutschland im Jahr 2015 über 400.000 Ehen geschlossen. Das letzte Mal geschah dies im Jahr 2000. Und wir wissen ja, was danach folgte. Der 11. September, die Finanzkrise und die Tötung Osama bin Ladens. Absolut nachvollziehbar, dass in diesen Jahren die Lust aufs Heiraten beinahe verloren ging. Darüber las ich, als ich in einem Café in Kreuzberg saß, in dem „sauberen Kreuzberg“, wie ich vom Nachbartisch links neben mir hörte. Wir befanden uns im Bergmannkiez.

Die Nachricht über „die Rückkehr zur Verbindlichkeit“, wie die hohe Zahl gerechtfertigt wurde, stimmte mich glücklich. Ist doch schön, dass auch wir Berliner wieder mehr wagen als nur Liebe im Vielleicht. Schön in Theorie zumindest, denn am Nachbartisch rechts saßen zwei junge Frauen, eher Nervenbündel, die wohl schon länger zwanghaft versuchten, eine „Hochzeits-Pinnwand“ auf Pinterest zu kuratieren. Ich schielte rüber und sah unzählige Fotos in dreistelliger Megabyte-Zahl, die die eine, es muss sich um die Trauzeugin gehandelt haben, versuchte, in logische und ästhetische Reihenfolge zu bringen. Die andere, es muss die Braut gewesen sein, heulte. Und rotzte. Es war Anfang Januar und die Hochzeit würde in weniger als fünf Monaten stattfinden. So ist der Druck nachvollziehbar, denn in den fetten Jahren der Liebe darf nicht, besonders in einer Stadt wie Berlin, von der Stange geheiratet werden.

Heiraten im Tagungshotel? Das Primark des Treueschwurs.

Der DIY-Wahn, den wir bereits länger von Kaffee, Bier und Macarons kennen, macht auch vor dem Heiraten nicht halt. Gecraftete Hochzeiten nehmen hier Ausmaße an, die das Generve der Ice Bucket Challenge, der Flashmobs und Joe-Biden-Memes um Längen übersteigen. Das Commitment-affine Paar von heute craftet seine Hochzeit vom "Save the Date" bis zur Danksagung und zum After-Party-Youtube-Channel. Zu Macarons, den Butterkeksen der Boheme, komme ich später noch einmal.

Junge Paare – sie werden nicht nur traditioneller, sondern auch jünger, wickeln für ihren Tumblr-DIY-Instagram-Hochzeitstraum alles in Makramee, was nicht niet- und nagelfest ist. Der schon seit Jahren von Bloggersternchen missbrauchte Boyfriend of Instagram wird zum Husband of Pinterest. Er muss Fliegen in Tiffanytürkis tragen, sich knutschend unter einem Baldachin aus Lichterketten fotografieren lassen und bestenfalls wie eine Mischung aus Ryan Gosling und Cotton Eye Joe gekleidet sein, während er auf irgendeinem verlassenen Bauernhof in Brandenburg die Scherben seiner eigentlich gewünschten 3.000-Euro-Hochzeit bei KFC aufkehrt. Makramee ist übrigens die französische Spitze der Aussiedler und Kohlfresser in Südkalifornien und am Südstern.

Leute, das ist nicht Coachella. Das ist eure verdammte Hochzeit.

Wer an diesem Filter etwas auszusetzen hat, der möge jetzt reden oder für immer schweigen.

Was früher relativ einfach mit einem Aufgebot beim Standesamt abgewickelt wurde, geht heute nicht ohne Marmeladengläser und schon gar nicht für Paare, die gemeinsam unter 10.000 Follower bei Instagram vorweisen können. Was aber auch nachvollziehbar ist: 5.000 Bastelstunden im Vorfeld der Hochzeit sollen gefälligst mit Likes und Shares gewürdigt werden.

Auch der Job einer Trauzeugin nervt exponentiell zum DYI-Anspruch immer mehr. Anno dazumal musste man nur Brautkleider aussuchen und 15 Mädels auf Mallorca abfüllen.

Unter diesen Bedingungen hätte ich momentan auch keine Lust aufs Heiraten. Zumal das auch nicht möglich wäre. Ich habe keinen Pinterest-Account. Der Blick der Trauzeugin, deren Teint sich irgendwo zwischen Lindsay Lohan vor ihrer Rehab und Kim Kardashian wenige Minuten nach dem Diamantenraub bewegte, bestätigte mein Bauchgefühl. Denn auch der Job einer Trauzeugin nervt exponentiell zum DYI-Anspruch immer mehr. Anno dazumal musste man nur Brautkleider aussuchen und 15 Mädels auf Mallorca abfüllen. Heute wird man angeschrien, weil man vergessen hat, die 1.000 lebenden Glühwürmchen aus Liechtenstein zu bestellen.

© Andreas Rønningen | Unsplash

Das Resultat dieser Waldorf-Hochzeiten sind dann Event-Locations, die zwar an Romantik, Makramee und leberwurstfarbenen Macarons nicht zu überbieten sind. Sie sehen jedoch auch aus wie die Vagina von Tinkerbell. Ich habe keine Lust mehr, Rotwein aus beschissenen Marmeladengläsern zu trinken, nur um davon unter dem Hashtag #wedchella2017 ein Instagramfoto machen zu müssen. Wein gehört in Weingläser, warmes Essen auf Teller und nicht auf Butterpapier und eure Hochzeiten in ein Album, nicht auf Pinterest. Euer DYI ist, sorry, TMI.

Und noch was. Ich rate den Lesern dieses Textes das Gleiche, was ich auch der Braut in spe am Nachbartisch riet: Vergesst den Humor nicht.

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