Wie ich mal vor dem Bundestag einen Amoklauf verhindert habe

© Clint Lukas

Ich sehe ihn auf den Stufen vor dem Bundestag sitzen. Feinripp-Unterhemd, schwere Stiefel. Ein Kreuz wie ein Kleinwagen und dabei bestimmt einen Kopf größer als ich. Offensichtlich betrunken. Vier Polizisten umringen ihn gerade, aber es sieht nicht so aus, als ob sie eine Chance gegen ihn hätten.

„Was ist denn passiert?“, frag ich. „Hat er schon wieder gepöbelt?“

Die Cops drehen sich ruckartig zu mir um. Einer hat bereits das Pfefferspray in der Hand.

„Gehört der Kollege zu Ihnen?“
„Ich fürchte, ja“, sag ich.
„Der hat hier die Leute beschimpft. Vielleicht sollten Sie ihm mal beibringen, wie man sich benimmt in der Öffentlichkeit.“
„Das sagen Sie so einfach.“
„Wenn Sie’s nicht können, kümmern wir uns darum.“
„Nein, nein, alles gut. Ich bring ihn jetzt zurück ins Hotel. Morgen ist er wieder der Alte.“

Sie entfernen sich ein paar Schritte und stecken die Köpfe zusammen. Ich wende mich an den Riesen. Seine Oberarm-Muskeln zucken, es sieht aus, als ob sie sich einen Weg durch die Haut bahnen wollen.

„Und sonst so?“, frag ich.
„Ich will jemanden umbringen.“
„Ernsthaft?“

Er nickt grimmig und stiert weiterhin geradeaus.

„Und wen?“
„Ist mir egal.“

Er will jemanden umbringen

Eigentlich will ich nur warten, bis die Polizisten weg sind, um mich dann ebenfalls aus dem Staub zu machen. Doch plötzlich hat er ein Jagdmesser in der Hand, ein Riesending.

„Ich bring jetzt jemanden um.“
„Bist du bescheuert?“, sag ich. „Pack das Scheißding weg. Oder willst du, dass die dich doch noch mitnehmen?“

Unbeeindruckt steckt er die Klinge ein.

„Hab grade zwei Typen verprügelt“, sagt er.
„Schön für dich. Und warum willst du jetzt jemanden töten?“
„Weil mich alle FICKEN wollen!“

Einer der Polizisten dreht sich im Weggehen um. Ich mache eine beschwichtigende Geste. Daumen nach oben.

„Wie heißt du eigentlich?“, frag ich, um das Thema zu wechseln.
„Heiko.“
„Na, gut, Heiko. Sollen wir nicht erstmal was trinken gehen?“

Er zuckt mit den Schultern und trottet mir hinterher. Ich denk mir, wenn hier schon eine Biowaffe frei rumläuft, kann man wenigstens ein geeignetes Ziel für sie definieren.

Ich denk mir, wenn hier schon eine Biowaffe frei rumläuft, kann man wenigstens ein geeignetes Ziel für sie definieren.

Allerdings gibt es schon auf der Reinhardtstraße Stress. Heiko will es sich nicht nehmen lassen, mitten auf der Fahrbahn zu laufen. Als ein LKW ihn anhupt, stürzt er hin und reißt die Fahrerkabine auf. Ich hinterher.

„Ey, was machst’n du da?“, ruf ich.
„Ich bring ihn um, das fette Schwein!“
„Lass doch. Hier sind überall Leute.“
„WAS willst du eigentlich, hä?“

Wütend knallt er die Tür wieder zu. Auf einmal gilt sein ganzer Hass mir. Ich halte die Hände auf Brusthöhe, drehe mich um und lass ihn einfach dort stehen.

Nach ein paar Schritten höre ich, wie er mir nachgelaufen kommt. Ich ziehe ein bisschen den Kopf ein. Der Schlag bleibt aus. Der Messerstich auch. Stattdessen geht Heiko neben mir her.

„Brauchst ja nicht gleich abhauen“, sagt er kleinlaut.
„Dann schrei mich nicht so an.“

Endlich kommt eine Bar in Sicht. Ein paar starke Drinks werden alles ins Lot bringen. Dann sehe ich, dass die Stühle schon hochgestellt wurden.

„Wir wollen zwei Bier“, brüllt Heiko außer sich. Der Kellner, genervt und müde, versucht ihn nach draußen zu schieben. Ein Fehler. Ich kann gerade noch so dazwischen gehen.

„Den mach ich fertig!“
„Das ist doch bescheuert“, ruf ich.
„Willst du mir jetzt die ganze Nacht Vorschriften machen?“

Irgendwas sagt mir, dass er nicht wirklich Mordlust verspürt. Er will sich wohl einfach prügeln. Aber der Kellner ist mir sympathisch. Ich muss schleunigst einen Ersatz für ihn finden.

Irgendwas sagt mir, dass er nicht wirklich Mordlust verspürt

Ein paar Häuser weiter haben wir Glück. Der Laden ist voller Leute. Eine Feier des Rotary Club, wie es aussieht. Überall stehen volle Gläser herum. Heiko und ich bedienen uns freimütig. Eine Art Frieden breitet sich auf seinem Gesicht aus.

„Kann man euch irgendwie helfen?“, hör ich es dann. Ein Gruppe von Entrepreneurs hat sich um uns versammelt. Dreiteiler, Krawattennadeln. Auf der Stirn des Charmbolzen, der mich angesprochen hat, steht nicht FDP geschrieben. Aber ich kann es trotzdem sehen.

„Im Moment haben wir genug zu trinken“, sag ich. „Aber wir melden uns, wenn der Vorrat zur Neige geht.“
„Das hier ist eigentlich eine geschlossene Veranstaltung.“
„Ach, lass sie doch“, sagt einer seiner Begleiter.
„Da kann ja jeder kommen.“
„Apropos“, sag ich zuckersüß. „Kann man bei eurem Club mitmachen? Ich bin halt Jude. Aber das sollte ja kein Problem mehr sein, oder?“

Ich weiß nicht, wer zuerst auf den anderen losgeht. In solchen Momenten denk ich nicht viel. Auf jeden Fall ist es Heiko, der mich von hinten gepackt hält und mühsam nach draußen zerrt.

„Lass mich los!“, ruf ich.
„Beruhig dich doch mal.“
„Warum?“
„Das sind viel zu viele.“
„Scheiß drauf.“
„Außerdem muss ich mal wieder was nachlegen.“

Aha, denk ich. So läuft der Hase also.

Als ich Heiko dabei zuschaue, wie er mit zittrigen Fingern im Eingang des Nachbarhauses sein Zeug zurecht legt, reißt mir die Hutschnur.

„Gib mir dein Messer“, sag ich.
„Warum?“
„Der Kerl hat mich dreimal geschlagen. Dafür kriegt er drei Schnitte.“
„Das artet mir jetzt irgendwie zu sehr aus.“
„Was? Du wolltest doch jemanden umbringen.“
„Ach, naja...“
„Los, her mit dem Messer!“

Zögernd reicht er es mir und ist dabei ziemlich blass um die Nase. Ich gehe einmal um den Block und werfe das Ding in einen Gulli. Passt gerade so durch. Als ich wieder bei Heiko bin, traut er sich nicht zu fragen, was passiert ist.

„Ich glaub, ich fahr mal lieber nach Hause“, sagt er stattdessen.

Er wirkt jetzt beinahe schutzbedürftig

Ich bringe ihn also zum Bahnhof. Er wirkt jetzt beinahe schutzbedürftig.

„Nimm gleich den ersten Zug“, sag ich zum Abschied. „Nicht dass die Bullen dich noch erwischen.“
„Okay.“ Er fixiert mich mit wirren Augen. „Hast du mein Messer noch?“
„Ja, aber das lass ich besser verschwinden.“
„Alles klar.“

Wir schütteln uns die Hand. Als ich nochmal zurück schaue, ist er bereits auf seiner Bank eingeschlafen. Vielleicht hab ich mich in dieser Nacht nicht ganz ladylike verhalten. Aber wer weiß, was mit dem Messer sonst noch passiert wäre. Wenn ihr mir das Bundesverdienstkreuz andrehen wollt, würde ich diesmal nicht nein sagen.

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