Mate trinken statt arbeiten – Was ich im Café über das Leben als Freelancer gelernt habe
Dieser Beitrag ist vor der Pandemie entstanden
von Ariana Baborie
"Club Mate ist ein koffeeinhaltiges Erfrischungsgetränk auf Mate-Basis.
Das wiederum ist eine Urwaldpflanze aus Südamerika. Ihr Geschmack wird von Koffeein und Gerbstoffen geprägt." Diese Informationen kann ich vorbeten, auswendig, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken oder mich ein einziges Mal zu verhaspeln. Der Grund: Ich wohne in Berlin, ich mache „was mit Medien“ und mich gerade selbständig.
Das heißt im Klartext: Ich sitze in Cafés und trinke Mate. Wie viele andere freischaffende Künstler in Berlin auch. Wir sind so etwas wie eine Gang. Natürlich könnten wir monatlich mehrere hundert Euro ausgeben, um jeden Morgen unsere Macbook Pros und einen "Coffee To Go" in ein Co-Working-Space zu schleppen, in dem kleine Kakteen in antiken Töpfen vom Flohmarkt stehen; an der Wand sind Brainstorming-Boards mit neonfarbenem Tape umrahmt und das Mobiliar scheint ein Komplettset aus einem Möbelkatalog von Vitra zu sein. Das Ganze wird dann liebevoll "Think Lab" genannt, weil wir so cool und kreativ sind, you know.
Das Café als Arbeits- und Freizeitort in einem
Aber da Jobangebot und Jobnachfrage bei uns nicht selten in einem eher unausgeglichenen Verhältnis stehen, wissen wir, dass man all das auch für null Euro haben kann – es nennt sich "Café". Dort sitzen wir die meiste Zeit des Tages und lernen im Internet, wie man eine Chancen-Risiken-Analyse erstellt und, dass USP nicht der Name eines Paketzustellers ist, sondern die Abkürzung für Unique Selling Proposition. Ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem man sich deutlich von den Wettbewerbern unterscheidet. Das muss in einer Stadt wie Berlin, die mehr Food-Blogger hat als eine Asiapfanne Geschmacksverstärker, mehr Werbetexter als das Internet Buchstaben und mehr Architekten als Airbnb-Wohnungen, erstmal gefunden werden. Ein mitunter anstrengender Denkprozess. Um zwischendurch mal den Kopf freizupusten, ist es nicht nur sehr inspirierend und bereichernd, sich immer und immer wieder den Etikettentext auf den Mate-Flaschen durchzulesen, bis er sich langsam ins Gehirn frisst so wie die Kohlensäure sich in den Magen. Auf so einem Etikett ist auch ziemlich viel Platz für Ideen und Notizen jeglicher Art.
Dort sitzen wir die meiste Zeit des Tages und lernen im Internet, dass USP nicht der Name eines Paketzustellers ist.
Kleine Wünsche erfüllt die Café-Bedienung, für große ist man selbst zuständig
Neulich habe ich damit begonnen, meinen Businessplan auf ein solches Mate-Etikett zu kritzeln. Später konnte ich die Zahlen meines prognostizierten Jahresgehalts nicht mehr von denen des Kohlensäuregehalts auseinanderhalten, weswegen ich anderen angehenden Selbständigen eher zu einem weißen Blatt Papier raten würde.
Oft werden wir von der Café-Bedienung gefragt, ob wir noch einen Wunsch hätten. Da gäbe es sogar einige! Wäre es nicht fantastisch, jeden Tag das machen zu können, was einem wirklich Spaß macht, etwas in das man all sein Herzblut investiert und all seine Leidenschaft? Wo man sein Wissen gerne erweitert und nicht, weil man für irgendein Ideenseminar in ein Tagungshotel im Thüringer Wald geschickt wurde? Etwas, für das man auch mal um 4 Uhr morgens aufsteht oder bis spät in die Nacht arbeitet? Und damit auch noch sein Geld verdient? Leider erfüllt die Bedienung meist nur kleinere Wünsche, wie zum Beispiel einen Cappucchino. Für die größeren ist man selbst zuständig.
Und während wir mit einem Löffel das Wort „Selbstverwirklichung“ in den Milchschaum malen, unterhalten wir uns darüber, was das eigentlich bedeutet und ob es so erstrebenswert ist, wie es vorerst klingt. Anfangs haben wir uns darüber auf deutsch ausgetauscht und uns nebenbei hin und wieder kollektiv über die rollkofferziehenden Spanier aufgeregt, die frühmorgens an unserem selbstgemachten Coworking-Space vorbeischlurften und dabei den Lärmpegel des Frankfurter Flughafens imitierten. Wie sollte man sich denn da auf den Netflix-Film konzentrieren, der auf dem Macbook lief? Mittlerweile aber haben wir Adán und Federica in unserer Gang, ein Grafikdesigner-Pärchen aus Madrid. Deswegen sprechen wir jetzt Englisch und konzentrieren uns mit den Beschwerden auf die lallenden Briten, die morgens um 10 Uhr an uns vorbeitorkeln und ihr Hostel suchen, während wir den Sinn des Lebens suchen.
Auf ein Jobangebot kommen ungefähr zehn Konkurrenten, fünf davon machen es für absurd wenig Geld.
Im Grunde haben Adán und Federica die gleichen Probleme wie wir Berliner Freelancer – auf ein Jobangebot kommen ungefähr zehn Konkurrenten, fünf davon machen es für absurd wenig Geld und einer von ihnen hat neulich zufällig schon den Geschäftsführer auf einem Festival beim Pogen zu „Hurra die Welt geht unter“ von K.I.Z. kennengelernt. Das nennt man dann in der Fachsprache „Wettbewerbsvorteil“. Und trotzdem sind wir alle lieber temporär arbeitslose Freiberufler, als uns dem dumpfen Trott einer Festanstellung hinzugeben, die für Sicherheit auf dem Konto, aber auch für Eintönigkeit und Frustration durch eingefahrene Routinen sorgt. Mit den Chancen kommen auch die Risiken, das wissen wir mittlerweile.
Wer frei ist, kann hoch fliegen – aber eben auch tief fallen. Vielleicht sollte man sich zu Beginn kleinere Ziele stecken und die Latte nicht allzu hoch hängen. Und damit ist ausnahmsweise nicht der Kaffee gemeint. Wer kann schon von sich behaupten, wirklich ausnahmslos nur das zu tun, was ihm Spaß macht, und allein davon die Dachgeschosswohnung in Prenzlauer Berg abzahlen zu können? Wir sind uns einig, dass Selbständigkeit nicht bedeutet, jedes Jobangebot mit einem lauten Hurra-Schrei anzunehmen und vor Freude eine Piñata zu zerschlagen. Aber in begrenztem Rahmen die Möglichkeit zu haben, seine Tätigkeit selbst zu gestalten, mit flexiblen Arbeitszeiten und verhandelbarem Gehalt, das kann einen schon glücklich machen.
Eine Woche Arbeit, ein Tageshonorar Bezahlung
Neulich durfte Adán für ein Berliner Start-Up, das individuell zusammenstellbare Snack-Boxen verschickt, ein Logo designen. Mit einer Nuss, die auf zwei Beinen läuft. Dafür hat er eine Woche gearbeitet und wurde für einen Tag bezahlt. Und trotzdem war er zufrieden danach und hat glückselig seine Wasabi-Crunchys mit uns geteilt, die er umsonst dazu bekommen hat.
Letzte Woche waren Prinz William und Kate in Berlin, sie haben einen Empfang in Clärchen's Ballhaus gegeben um sich dort mit der „jungen Kreativszene der Stadt“ auszutauschen, wie es in der Email der britischen Botschaft hieß. Einige von uns wurden dazu eingeladen, unter anderem auch ich, denn ich mache ja was mit Medien. Das royale Paar hat sich zwar nicht zu einem persönlichen Gespräch mit mir hinreißen lassen. Aber für den Fall, dass es so gekommen wäre, hätte ich ganz genau gewusst, was ich ihnen gesagt hätte: auf 100 ml Mate kommen 20 mg Koffeein. Your Highness.