Lass mich doch mal faul sein!

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„Veronika, der Spargel wächst“, heißt es in dem von Walter Jurmann in den 1920er Jahren komponierten Welthit „Veronika, der Lenz ist da“. Walter Jurmann musste Berlin im Jahr 1933 verlassen, die Comedian Harmonists sorgten mit ihrer Coverversion des Schlagers für einen in Jurmanns Abwesenheit wieder aufflammenden Hype – aus dem Exil freute er sich bestimmt über das Aufblühen seiner Hommage an das Frühlingsgefühl.

Primeln, Primeln, überall Primeln

So reime ich mir das zumindest zusammen. Denn jetzt, im März, nachdem wir Berliner einen weiteren Winter überstanden haben, blüht und wächst, kreucht und fleucht, prallt und drallt es aus allen Ecken. Dass „drallt“ falsch konjugiert ist, ist mir durchaus bewusst. Jedenfalls, und das ist es, was ich mit meiner Restenergie sagen möchte: Geht mir aus den Augen mit euren Primeln. Primeln, überall Primeln, die einem bereits im Februar ungefragt ins Gesicht gerieben werden wie, welch Ironie, Pimmel auf Tinder.

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Akute Frühjahrsmüdigkeit, durch Narzissen ausgelöste Narkolepsie, Krokus-Koma, malignes Faulenzen.

Ich bin nämlich müde. Und das ist natürlich absolut antizyklisch zu dem, was gerade um mich herum geschieht. Active Wear in allen Formen und Farben löst den Daunenparka ab, um gut zahlenden Teilnehmern der Großstadtsafari seinen Cameltoe zu präsentieren. Man joggt wieder relativ gefahrlos durch den Tiergarten, auch gerne mal an einem Samstagnachmittag über die Neue Schönhauser Allee. Wir. Müssen. Zeigen. Dass. Wir. Da. Sind. Mit „wir“ meine ich „die anderen“. Denn, wie ich bereits sagte, ich bin müde. Akute Frühjahrsmüdigkeit, durch Narzissen ausgelöste Narkolepsie, Krokus-Koma, malignes Faulenzen. Fau-lenzen, jetzt fällt es auch mir wie Schuppen von den Augen.

Felder werden beackert, Frauen belagert und Balkone bepflanzt.

In unserer Just-do-it-Gesellschaft ist das Zelebrieren des Müßiggangs bereits schwer genug. Im Winter lassen sich Faulheit und Müdigkeit jedoch besser kaschieren. Unter lagenweise Strick sucht niemand nach der Motivation. Doch ab März, im Lenz, im Frühjahr, sind wir alle wieder wach. Und mit „wir“ meine ich wieder „die anderen“. Felder werden beackert, Frauen belagert und Balkone bepflanzt. Ich schaffe es gerade mal, bei Facebook auf „nicht teilnehmen“ zu klicken. Dabei geht es um nichts Spezifisches. Ich nehme im aufkeimenden Frühling einfach an nichts teil. 12 Dislikes zum Preis von jahrezeitlich bedingtem, sozialem Randgruppendasein.

© Borke Berlin
Ich finde das Konzept Pop-up-Frühling theoretisch sehr ansprechend und kann es auch wirklich kaum erwarten, von Charlottenburg zum Badeschiff zu radeln – nicht.

Mein Körper ist so sensibel wie Genderbeauftragte des Bezirks Neukölln. Er reagiert auf den plötzlichen Wetterumschwung und braucht eben Zeit, um so sehr in Fahrt zu kommen wie diese Active-Wear-Menschen an einem schlechten Tag. Ich finde das Konzept Pop-up-Frühling theoretisch sehr ansprechend und kann es auch wirklich kaum erwarten, von Charlottenburg zum Badeschiff zu radeln – nicht. Aber momentan, jetzt, im März, kann ich meine Augen nicht aufhalten. Muss ich mich dafür mehr schämen als für meine generelle Bodyimprovement-Abneigung? Vielleicht. Juckt es mich, wie Hagebuttenpollen auf nackter Haut jucken? Nein.

Liebe Genossinnen und Genossen, fürchtet euch nicht. Fürchtet euch nicht, den Active-Wear-Trägern ins Gesicht zu sagen, dass ihr einfach schlafen wollt. Nicht rennen, nicht squatten, nicht energetisch sein möchtet. Frühjahrsmüdigkeit kommt nicht von ungefähr und bleibt ungefähr so lange, bis der Sommer fast wieder vorbei ist und wir, und mit „wir“ meine ich „mich“, uns wieder unter Strick verstecken können.

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