Sex, Alkohol und Wahnsinn – Warum das King Size die beste Bar Berlins ist

© King Size

Auszug aus dem Buch "Nutzloses Gesindel – Geschichten aus dem King Size", Text: Amiran Gabunia

Es war nur ein flüchtiger Augenblick, der mein Leben in eine völlig unerwartete Richtung lenken sollte. Einer der Momente, die man für immer mit einem bestimmten Ort, einer bestimmten Zeit und einem Gefühl in Verbindung bringt. Dass ausgerechnet das King Size der Ort dieser einschneidenden Wende war, wirft die Frage auf, was es unter all den Bars in Berlin so besonders macht. Warum mich dieser Ort seit meinem ersten Moscow Mule vor sechs Jahren immer wieder aufs Neue elektrisiert und mir jedes Mal das Gefühl gibt, ich wäre noch nie da gewesen. Wie kann so eine winzige, extrem verrauchte und verschwitzte Tanzfläche, die stets so überfüllt ist, dass kaum Platz wäre, sein Getränk herunterfallen zu lassen, so viel Energie freisetzen und all die Menschen blitzartig zum Kochen bringen, die noch Momente zuvor von anderen Passanten auf der Friedrichstraße nicht zu unterscheiden gewesen wären?

Im Schlund eines riesigen Ungeheuers

Manchmal, wenn ich am Bardurchgang einen Drink bestelle und von draußen neue Feierwillige in den Raum drängen, dass ich trotz meiner 1,96 m Größe fast auf die Theke geschoben werde, kommt es mir vor, als würden wir uns im Schlund eines riesigen Ungeheuers befinden, aus dem es kein Entkommen gibt. Ein angsteinflößendes, aber zugleich unglaublich intensives Gefühl, durch eine kollektive Kraft in die verschwitzte Menge hineingepresst zu werden, als würde man zusammen zu einer fleischigen Masse verschmelzen. In diesem Moment werden alle Gepflogenheiten und gängigen Regeln wie dreißig Zentimeter Sicherheitsabstand, wie sie in spießigen Tanzlokalen oder riesigen Diskotempeln gelten mögen, vollkommen außer Kraft gesetzt. Wer dieser Mischung aus Druck, Gerangel, Schweiß und klebriger Haut nicht standhält, der fühlt sich wahrscheinlich fehl am Platz. Aber während all dieser Jahre habe ich noch niemanden gesehen, der mit Franks Segen einmal drin war und sofort fluchtartig wieder hinausgestürzt wäre.

Ein angsteinflößendes, aber zugleich unglaublich intensives Gefühl, durch eine kollektive Kraft in die verschwitzte Menge hineingepresst zu werden.

Im Gegenteil, man wird von der Tanzfläche, dem Epizentrum dieses energiestrotzenden Ungetüms, förmlich angesaugt, um dann darin herumgewirbelt zu werden. Wer einmal drin ist, bleibt bis zum Tagesanbruch. Wenn sich die Morgendämmerung langsam ihren Weg durch die tief getönten Türfenster bahnt, beginnt das Ungeheuer langsam, seine Fleischmassen wieder ins Freie zu entlassen. Nur selten aber müde und ausgelaugt, sondern so wach, als könnte man direkt noch eine weitere Nacht das Haus rocken.

Verschwitzte Tanzende werden vereinzelt in den Arm genommen und gemächlich durch den Schlund wieder ins Freie geführt. Aber auch draußen kann man sich der Anziehungskraft des Ungetüms noch nicht völlig entziehen. Noch halb betäubt vom dröhnenden Sound aus den vier über der Tanzfläche angebrachten Boxen versuchen manche vor der Tür den drinnen praktisch unmöglichen Smalltalk nachzuholen, während andere wiederum in eine leidenschaftliche Zungenschlacht vertieft sind. Erst jetzt schmeckt man beim zwischenzeitlichen Luftholen den leicht süßlichen Fruchtgeschmack des Lippenstiftes und spürt die neidischen Blicke derer im Nacken, die mit einem Bier in der Hand alleine daneben stehen. Drinnen, auf der überquellenden Tanzfläche war die Wahrnehmung inmitten des kollektiven orgiastischen Getümmels mit solcherlei Feinheiten völlig überfordert. Wieder andere zieht es zurück hinein, um noch eine Linie des weißen Pulvers durch einen gerollten Fünfziger zu ziehen, als hätte der Abend gerade erst begonnen.

Noch halb betäubt vom dröhnenden Sound versuchen manche vor der Tür den drinnen praktisch unmöglichen Smalltalk nachzuholen, während andere in eine leidenschaftliche Zungenschlacht vertieft sind.

Wahrscheinlich ruht der Zauber des King Size in eben jenem, unserem Wahrnehmungssinn. Unser Geschmack, unser Gehör, unser Sehen, unser Riechen. Und wenn dieser Schweißgeruch, diese Musik, dieser höchstens zur Hälfte verstandene Smalltalk, der gurkige Geschmack eines Moscow Mule oder die neblig verrauchte Tanzfläche uns unserer vielfältigen Wahrnehmungsfähigkeit bewusst werden lässt, dann ist das ein ums andere Mal die reinste Sinnesfreude. Epistemologisch betrachtet ist unsere Wahrnehmung das Werkzeug, mit dem wir die Welt zum einen so erfassen können, wie sie ist, zum anderen aber auch so, wie wir sie individuell wahrzunehmen vermögen. Ein und derselbe Ort, Song oder Drink kann auf jeden von uns anders wirken. Trotz dieser Divergenz scheint man sich in der allgemeinen Wahrnehmung des King Size einig, dass es der geilste und coolste Ort von Berlin ist.

Was macht das King Size unter all den Berliner Bars so besonders?

Er ist eben der „Melting Pot“ all dieser Hedonisten unterschiedlichsten Alters, sexueller Orientierung und kultureller wie beruflicher Herkunft, die diesem Lokal die Seele in den Rachen blasen. Obwohl es für Außenstehende auf den ersten Blick wie eine eingeschworene Gemeinschaft scheint, ist dieses auffällig bunte Publikum eine lose, unverbindliche Zusammenkunft. Sie ist im Unterschied zu Stammgästen anderer Lokale keinen gruppenspezifischen Spielregeln oder artifiziellen Zugehörigkeitsnormen unterworfen, sondern nur einer Maxime – Spaß haben. Mit der Überschreitung der Türschwelle lässt man alles andere draußen, als würde man völlig entblößt, frei von jeglicher Befangenheit, wie schwebend durch die Öffnung hineingeblasen. Dass ich selbst jedes Mal das Gefühl habe, als wäre ich noch nie dort gewesen, ist die Folge dieser besonderen Unverbindlichkeit, Werte-, und Normenfreiheit, dieser Unbefangenheit eines jeden Einzelnen.

Er ist der Melting Pot all dieser Hedonisten unterschiedlichsten Alters, sexueller Orientierung und kultureller wie beruflicher Herkunft, die diesem Lokal die Seele in den Rachen blasen.
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