Fahrraddiebstahl, Mieterhöhungen, Schienenersatzverkehr – Weil Berlin dich liebt
„Welcher Arsch hat mir jetzt schon wieder mein Fahrrad geklaut?“, ruf ich. Es ist Montag, sieben Uhr früh, Hinterhof, Wedding.
„Schnauze, ick versuch hier zu schlafen!“, plärrt jemand aus dem Seitenflügel.
„Fahrrad klaut?“, fragt meine zweijährige Tochter.
„Ja“, sag ich.
„Welcher Arsch?“, fragt sie.
„Ey, das darf man nicht sagen. Ach, scheiß drauf.“
„Scheiß drauf!“, ruft sie triumphierend.
„Ick komm gleich runter!“, kontert der Seitenflügel.
Es dauert eine Weile, bis bei den Bullen jemand ans Telefon geht. Der Beamte hat offensichtlich den Mund voll. Ist ja auch Frühstückszeit. Sein Interesse sinkt schlagartig, als er was von Diebstahl und Fahrrad hört: „Moment, ich verbinde.“
Wieder vergehen einige Minuten, während ich in das Äquivalent des Spamordners weitergeleitet werde. Meine Tochter spielt mit den geknackten Schlössern – anscheinend bin ich nicht das einzige Opfer.
„Ja, ick kann jetzt niemanden schicken“, sagt der nächste Beamte.
„Passt grade schlecht, oder wie?“, frag ich.
„Ja, sind alle im Einsatz. Wenn’Se Anzeige machen wollen, kommen’Se einfach zwischen neun und, ähm… zu unseren Geschäftszeiten vorbei.“
Meine Tochter spielt mit den geknackten Schlössern – anscheinend bin ich nicht das einzige Opfer.
Ich weiß selbst, wie naiv meine Frage klingt. Trotzdem will ich wissen, ob die Polizei nicht nach irgendwelchen Spuren suchen könnte. Der Bulle lacht. Ich dann auch. Guter Witz.
„Ganz unter uns“, sagt er. „Ick kann Ihnen genau sagen, wer det war. Dit sind zwee bulgarische Banden, die hier ihr Unwesen treiben. Aber da könn’wa nich viel machen.“
„Naja. Trotzdem danke.“
Zum Schluss fragt er noch, ob unser Hof leicht zugänglich ist. Ich bejahe. Wie überall in Berlin kann man die Haustür einfach so aufdrücken. Er gibt mir den Rat, mich an die Hausverwaltung zu wenden. Damit die vielleicht mal ein Schloss einbauen. Nachdem ich meine Tochter zu Fuß in die Kita gebracht habe, wähle ich die Nummer der Verwaltung.
„Guten Tag“, meldet sich ein Anrufbeantworter. „Sie rufen außerhalb der Geschäftszeiten an. Sie erreichen uns immer montags bis freitags, zwischen acht und zehn Uhr.“
Ein Blick auf die Uhr verrät: Dreiviertel neun. Offenbar Mittagspause. Oder vorgezogenes Bergfest. Ich spreche aufs Band. Einem aufmerksamen Zuhörer wird die leichte Hysterie in meiner Stimme vielleicht nicht entgehen. Wenigstens ist es von der Kita nicht weit zu meinem Arbeitsplatz. Nur drei Stationen U6.
Am U-Bahnhof Wedding muss ich erfahren, dass die U6 gerade nicht fährt. Gute Nachricht: Es wurde ein Ersatzverkehr mit Bussen eingerichtet. An den Haltestellen treffe ich auf einige Hundert Leidensgenossen. Sie werden sekündlich mehr. Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist der Ersatzverkehr.
Das Einzige, was jetzt noch fehlt, ist der Ersatzverkehr.
„Ist das mit den Bussen rhetorisch gemeint?“, frage ich in die Menge. Allgemeine Ratlosigkeit. Als der Bus endlich kommt und das Gedränge beginnt, klingelt mein Handy.
„Tantalos Hausverwaltung“, höre ich eine unfreundliche Stimme. „Wir haben Ihre Nachricht erhalten. Dabei ist uns aufgefallen, dass es keine Zustimmung zur Untervermietung an Sie gibt.“
„Naja. Ich bin ja auch Hauptmieter.“
„Können Sie das belegen?“
„Ich hab den Mietvertrag jetzt nicht bei mir.“
„Bis Sie das nicht belegt haben, können wir auch nichts wegen der Haustüre unternehmen.“
Wäre das also auch geklärt, denke ich. Die Stimmung im Bus ist anheimelnd. Wir Reisenden sind derart ineinander verkeilt, dass niemand sich festhalten muss. An den beschlagenen Scheiben bilden Rinnsale aus Viren und Schweiß lustige Muster. Der Mann neben mir hustet mir in den Schal. Auch in meinen Atemwegen beginnt der Berliner Winter zu kribbeln.
An den beschlagenen Scheiben bilden Rinnsale aus Viren und Schweiß lustige Muster.
Ich komme eineinhalb Stunden zu spät zur Arbeit. Der Chef hat einiges dazu zu sagen. Während seiner Tirade rechne ich die Stunden aus, die ich abreißen muss, um ein neues Fahrrad mit Kindersitz bezahlen zu können. Eigentlich ist alles gar nicht so schlimm. Ich meine, andere Leute haben Krebs!
Ist Berlin zu hart für mich?
Auf dem Heimweg bin ich mit dem Ersatzverkehr schon per Du. Als gebrochener Mann steige ich schließlich die Treppen zu meinem Briefkasten hoch. Und siehe da: Zwischen Drohbriefen und Rechnungen liegt ein Schreiben der Hausverwaltung. Wie können die sich so schnell zurück melden?
„Sehr geehrter… werden Sie hiermit gebeten, gemäß § 558 BGB, einer Erhöhung… ortsüblichen Vergleichsmiete… zuzustimmen.“
Von der Haustür steht nichts in dem Schreiben. Auch nichts wegen der kaputten Heizung im Kinderzimmer. Dafür jetzt 108 Euro mehr pro Monat. Okay, denk ich. Irgendwie steht’s dem Vermieter auch zu. Soll schließlich jeder was vom Kuchen abkriegen.
Mann, bin ich müde. Vielleicht ist mir Berlin doch zu hart? Ich würd ja gern mit jemandem darüber reden. Aber die Antwort kenn ich bereits: "Zieh doch zurück nach Schwaben." Da halt ich mal lieber die Fresse.
Clint Lukas