Zwischen Bio-Muttis, Sprittis und Startups – Wird der Wedding jemals kommen?

© Charlott Tornow

Ich bin 2005 nach Berlin gezogen, um hier meinen Zivi zu machen. Dabei war ich nicht wählerisch. Ich nahm die erstbeste Wohnung. Im Wedding, Brunnenstraße 115. Für die Besichtigung durfte ich mir einen Schlüssel bei der Hausverwaltung abholen und allein in die Wohnung gehen. Ich sagte, okay, die nehm ich. Und unterschrieb auf der Stelle den Mietvertrag. Die Hausverwaltung schien sich zu freuen.

Elf Jahre ist das jetzt her und ich weiß noch, wie Leute mich damals fragten: "Wo wohnst du? Im Wedding? Ahh, der ist ja jetzt groß im Kommen." Ich weiß immer noch nicht, was sie damit gemeint haben. Aber natürlich hab ich in den Jahren Veränderungen beobachtet.

Gentrifizierungsaktionen mit dem Brecheisen

Zum Beispiel, als die Degewo 2008 eine Großoffensive mit ihrem Modefestival WEDDING DRESS gestartet hat. Ich will hier jetzt nicht das Gentrifizierungsfass aufmachen. Das Thema ist heikel, vor allem weil ich selbst Teil der Entwicklung bin. Wie jeder, der die steigenden Mieten zahlt. Aber Wedding Dress war eine Aktion mit dem Brecheisen.

Davor gab es zwischen Bernauer und Lortzingstraße alles, was einen Weddinger Kiez ausmacht: ein miefiges Internet-Café, einen vietnamesischen Blumenladen, Second-Hand-Klamotten, polnische Spezialitäten. Dann wurde ihnen allen auf einmal gekündigt – um die Läden vergünstigt an junge Modedesigner zu vermieten. Seitdem findet einmal im Jahr das Festival statt. Dazu gibt es inzwischen den Streetfood-Markt und einer der Brunnen läuft wieder. Aber ist das Quartier deshalb "gekommen"? Statt Blumen und Wacholderwurst kann man jetzt fancy Fetzen erstehen. Aber dreckig ist es da nach wie vor.

Statt Blumen und Wacholderwurst kann man jetzt fancy Fetzen erstehen.

Ich blieb sechs Jahre dort. Bis sie meine winzige Ofenheizung gegen Fernwärme tauschten und dafür doppelt soviel Miete kassieren wollten. Für eine Weile kam ich in dem Abbruch-Eckhaus am Senefelder Platz unter. Dann Räumungsklage, Flucht nach Wien. 2014 wollte ich zurück in den Wedding. Doch das war plötzlich nicht mehr so einfach. Wenn ich eine Wohnung besichtigen wollte, standen da 50 Mitbewerber vor der Tür. Nanu, dachte ich. Da schaut man mal kurz nicht hin und dann kommt er, der Wedding! Allerdings war die Wohnung genauso verratzt, wie ich es von 2005 kannte.

© Katja Meyer

Da schaut man mal kurz nicht hin und dann kommt er, der Wedding!

Über einen Freund hab ich dann was im Sprengelkiez gekriegt. Eine ganz andere Ecke, in der sich durchaus eine gewisse Prenzlauer-Bergisierung bemerkbar macht. Morgens ist alles ganz ruhig. Aber wenn dann gegen Mittag der Rückbildungskurs im Studio Balou in der Torfstraße vorbei ist, schwärmen die Muttis aus. Sammeln sich wieder im Bioladen, der Bio-Eisdiele, der schwäbischen Bäckerei und verteilen ungefragt Ratschläge und Feenstaub.

Ist also wenigstens der Sprengelkiez schon gekommen? Ich denke nicht. Denn die Mutterschiffe wissen, dass die Spielplätze ihnen nur für zwei Stunden zustehen. Dann kommt der andere Teil der Bevölkerung. Zum Rauchen, Spritzen und Kopulieren. Die Polente wirft die Blaulichter an und als Mann von Welt behält man immer die Hand am Messer.

Die Polente wirft die Blaulichter an und als Mann von Welt behält man immer die Hand am Messer.

Womit wir beim ungekrönten Zentrum des Wedding wären: dem Leopoldplatz. Früher bin ich nur wegen des Bürgeramtes hergekommen und hatte immer schreckliche Angst. Geändert hat sich an dem Ort seither nichts. Nur ich bin etwas entspannter. Belustigt geradezu. Vor allem, was die Ecke Müllerstraße und Luxemburger angeht. Da stehen sie nämlich, zwischen Burger King und der Haltestelle des 120er Busses: Arbeiter ohne Arbeit, Sprittis, Junkies, alle keine Kinder von Traurigkeit.

Das ungekrönte Zentrum des Weddings: der Leopoldplatz

Wenn ich hier mittags mit meiner Tochter einkaufen gehe, ist immer schon High Life angesagt. Ein paar Jungs kauern in Russenhocke vor der schweren Stahljalousie, die den Eingang zum Lager des Obststandes verschließt (eigentlich nicht mehr komplett: Die untere Hälfte ist vom vielen Urin durchgerostet, der hier rituell vergossen wird). Ein konstanter Kundenstrom fördert Bier und Tütenwein aus dem unterirdischen Netto zutage.

Noch nie habe ich auf einem Fleck so viele gebrochene Nasen, Veilchen und Platzwunden gesehen.

Noch nie habe ich auf einem Fleck so viele gebrochene Nasen, Veilchen und Platzwunden gesehen. Oft kriegen sich ein paar der Jungs genau dann in die Haare, wenn ich mit dem Kinderwagen durch ihre Reihe fahre. Aber das Erstaunliche ist: Noch nie wurde ich angerempelt. Ich hab nicht mal gesehen, dass einem Passanten versehentlich der Weg versperrt wurde. Und wir reden hier von einem Areal, das ungefähr zehn mal zehn Meter misst. Auf dem sich an die 70 Suffis rumtreiben. Es ist, als würde ihr Gelage in einem Paralleluniversum stattfinden. Sichtbar für unbescholtene Bürger wie mich (die erst um 14 Uhr anfangen zu trinken), aber in eine andere, unberührbare Sphäre entrückt.

Ist der Wedding also gekommen? Ja und nein. Manche Orte haben sich in den letzten zehn Jahren verändert. Andere nicht. Wenn bei mir jemand ins Treppenhaus kotzt, dauert es noch immer zwei Wochen, bis das von jemandem weggemacht wird. Aber dafür darf ich mehr Miete zahlen.

Der Bezirk wird inzwischen als urban, zentral, als Heimat der Entrepreneurs beschrieben. Doch defekte Fahrstühle bei U- und S-Bahn werden grundsätzlich nicht repariert.

Ich glaube, der Wedding bleibt assi. Und das finde ich gar nicht schlimm. Vielleicht bin ich aber nur kleingläubig. Vielleicht kommt er ja noch. Ja, bestimmt. Nächstes Jahr. Nächstes Jahr kommt er, der Wedding!

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