Die Berghain-Tür ist mir nicht krass genug - Wie man als Atheist in den Felsendom kommt

© Rike Schäfer

Tage des Zorns in Jerusalem. Nachdem arabische Attentäter zwei Polizisten auf dem Tempelberg erschossen haben, wurden dort zur Sicherheit Metalldetektoren installiert. Die Muslime fürchten seitdem wieder mal, dass Israel ihnen den Zugang zu ihrem ehrwürdigen Heiligtum verwehren will. Ausschreitungen, wo man hinschaut. Die perfekte Stimmung für das, was ich vorhabe.

„Wollt ihr da wirklich hin?“, hat mich ein Mensch in Berlin gefragt.
„Moment mal“, ich dann. „Gehst du nicht immer auf Weihnachtsmärkte? Die werden doch neuerdings auch planiert.“
„Ja, schon. Aber Israel? Könnt ihr nicht Urlaub in Spanien machen?“

Zwei Wochen später der Anschlag in Barcelona. Es gibt kein sicheres Reiseziel mehr. Außerdem, was soll ich in Spanien? Was ich suche, gibt es nur hier.

Ich geh nur ins Berghain, weil ich sehen will, ob sie mich reinlassen

„Nichtmuslimen ist das Betreten des Felsendoms strikt untersagt“, steht mahnend im Lonely Planet. „Wer es dennoch versucht, verhält sich in höchstem Maße töricht und respektlos.“ Trotzdem beharre ich auf meinem Plan. Ich brauche den Kick. In Berlin gehe ich immer ins Berghain. Nicht etwa, weil ich tanzen will. Oder um Drogen zu nehmen. Sondern weil ich sehen will, ob sie mich reinlassen.

Diese Stimmung in der Schlange. Das kollektive Warten auf das URTEIL. Die abgebrühten Blicke, mit denen nur mühsam die allgegenwärtige Willfährigkeit kaschiert wird. Es gibt nichts Spaßigeres, als zu raten, wen die Türsteher reinlassen werden und wen nicht. Und dann bin ich irgendwann selbst drin und versuche zu feiern. Aber ziemlich schnell wird mir klar, dass der beste Teil des Abends schon hinter mir liegt.

Ich brauche den Kick.

Ich brauche den Kick. Deshalb hab ich mir schon Wochen vor meiner Israel-Reise einen Vollbart wachsen lassen. Klar ist der als Accessoire auch fürs Berghain gut. Aber auf dem Tempelberg oder al-haram asch-scharif, wie die Player ihn nennen, brauche ich ihn richtiggehend. Schnell noch eine Gebetsmütze auf dem Suk gekauft und los geht’s.

Mein Herz klopft, als ich die Via Dolorosa entlang gehe. Der Tempelberg hat zwölf Zugänge und nur einer ist für Nichtmuslime bestimmt. Ich werde als Testlauf einen anderen nehmen. Einfach mal ausprobieren. Schwitzend dränge ich mich durch eine Gruppe spanischer Pilger, übe dabei den islamischen Gruß. Die Pilger tragen mannshohe Kreuze und hängen verzückt an den Lippen ihres grimmigen Tour-Guides.

Ich hab mir schon Wochen vor meiner Israel-Reise einen Vollbart wachsen lassen. Klar ist der als Accessoire auch fürs Berghain gut.

„Hier stürzte Jesus zum ersten Mal“, erklärt er die Stationen des Leidensweges. „Hier hat Simon von Kyrene ihm das Kreuz abgenommen.“

Weil einfach kein Durchkommen ist, mache ich die nahebei Stehenden auf einen Türpfosten aufmerksam.

„Und dort ist dem Jesus eine Plombe rausgefallen“, sag ich. Augenblicklich stürzen sie zu der Stelle und ich kann weiter gehen.

Dummerweise ist an meinem Tor niemand zu sehen. Keine Türsteher, die mich auschecken könnten. Also doch in die Normalo-Schlange am Klagemauer-Platz. Ratlos betrachte ich die betenden ultra-orthodoxen Juden. Zuerst war ihnen der Tempel nicht gut genug, weil sein Erbauer Herodes der Große unreines Blut hatte. Und jetzt geben sie sich mit einer lausigen Stützmauer zufrieden? Komische Vögel.

In der Schlange spüre ich den ersehnten Nervenkitzel. Aah, ist das gut. Zur Ergänzung meines Kostümes lese ich in dem Koran, den die Salafisten mir auf der El Wad ha-Gai Street aufgedrängt haben. Würde sich vor dem Berghain bestimmt auch gut machen. Hauptsache, man kommt ein klein bisschen spinnert rüber. Endlich bin ich auf dem Berg und nähere mich dem Eingang des Felsendoms.

Ein Koran macht sich in der Berghain-Schlange bestimmt gut

Kurz zucken Skrupel auf. Bin ich wirklich respektlos? Ich meine, ist doch nicht meine Schuld, dass Mohammed ausgerechnet am heiligsten Ort der Juden gen Himmel auffahren musste, inschallah. Wenn er sich nur drei Straßen weiter südlich dazu bequemt hätte, gäbe es jetzt nicht diesen Schlamassel. Aber an Deeskalation war der Gute offenbar nicht interessiert.

„A’Salam aleikum“, sag ich zu einem der Torwächter.
„Aleikum salam“, gibt er zurück und mustert mich eindringlich. Ich habe gehört, dass man im Zweifel sein Fachwissen unter Beweis stellen muss. Aber ich tu das, was ich auch in Berlin machen würde und schaue so desinteressiert wie möglich. Dann gehe ich weiter. Konvertiten sind sowieso immer gerne gesehen. Außerdem bricht in diesem Moment die Hölle hinter mir los, als israelische Sicherheitskräfte und ein paar Gläubige aus der Al-Aqsa-Moschee aufeinander treffen.

Bin ich wirklich respektlos?

Im Inneren des Schreins ist davon kaum was zu hören. Ich gehe durch Säulenreihen, bis ich fast im Zentrum unter der Kuppel stehe. Vor mir liegt der Stein, auf dem Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte. Das Allerheiligste des zerstörten Jerusalemer Tempels. Hier stand die Bundeslade, und nur dem Hohepriester war es einmal im Jahr erlaubt, sie zu sehen. HaSchem müsste mich niederstrecken für meinen Frevel.

Natürlich erfasst mich Ehrfurcht an so einer Stätte. Eine Ehrfurcht, wie ich sie auch im Berghain verspüre.

Nichts dergleichen geschieht. Unschlüssig drehe ich ein paar Runden, schaue mir den Fußabdruck von Mohammed an, den er der Legende nach hier hinterlassen hat. Natürlich erfasst mich Ehrfurcht an so einer Stätte. Eine Ehrfurcht, wie ich sie auch im Berghain verspüre. Doch genauso wie dort kann ich mich des Gefühls erwehren, dass der beste Teil bereits hinter liegt.

Für den Moment ist der Drang befriedigt. Aber ich weiß, er wird zurück kommen. Stärker, in immer kleineren Intervallen. Vielleicht muss ich als nächstes nach Mekka fahren. Oder ich probier mal, ins Watergate reinzukommen. Gott / Allah / HaSchem sei Dank, gibt es immer Herausforderungen, die noch größer sind.

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