Gekommen, um zu bleiben – Junge Israelis lieben Berlin

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Wer sie bewusst noch nicht gesehen hat, der hat sie sicher bereits gehört. Denn ihr Großteil ist lauter als der mitteleuropäische Rest und gewöhnt sich teils nur langsam an sonntägliche Ruhezeiten. Natürlich rede ich von Israelis in Berlin. Eine mittlerweile nicht unerheblich große Gemeinschaft von knapp 30.000 Menschen – plus undefinierbarer Dunkelziffer –, die sich vorwiegend zwischen Schöneberg, Kreuzberg und Neukölln eingenistet hat.

Der Plan, wenn es überhaupt einen gab, war anders: Kurz rüberkommen, alle Drogen nehmen, alle Stunden tanzen, alle Tage genießen. Dann zurück nach Israel – den Stau, die Lebensunterhaltungskosten und die Hamas bekämpfen. Doch das Leben, das lacht, wenn man Pläne macht, trifft auch Israelis. Somit sind viele gekommen, um unerwartet zu bleiben. Und wenn Israelis bleiben, dann bleiben sie mit all ihren Fasern, die nach und nach ihren Körper verlassen und – wie die Pollen einer Pusteblume – überall in Berlin Samen pflanzen.

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Gekommen, um zu bleiben

Dann und wann sehen sie vereinzelt den skeptischen Blick der in Israel zurückgebliebenen Großmutter, der sich auf ihrer Netzhaut eingebrannt hat und auch nach dem stärksten LSD-Trip nicht verschwinden möchte. Sie war das letzte Mal 1939 in Berlin. The rest is history. Viele kommen auch aus genau diesem Grund nach Israel – sie möchten die deutschen Wurzeln ihrer Vorfahren entdecken und in einer Art Befreiungsmarsch auf Hitlers Spuren trampeln. Man kann den Berlinfetisch junger Israelis durchaus als Obsession bezeichnen, in der sie ihre hinter sich gelassenen Sorgen des Nahen Ostens wegrauchen.

Man kann den Berlinfetisch junger Israelis durchaus als Obsession bezeichnen, in der sie ihre hinter sich gelassenen Sorgen des Nahen Ostens wegrauchen.

Die Hitlerobsession ist das wohl natürliche Pendant zur Judenobsession der deutschen Öffentlichkeit, die niemand wirklich zugeben, schon gar nicht laut aussprechen möchte. Das ist wie damals, mit Britney Spears, die angeblich von niemandem gehört wurde und trotzdem Millionen Platten verkaufte. So ähnlich ist das mit Hitler und dem Holocaust – obwohl sie niemand mochte, wurden Millionen … ach, lassen wir das.

Israelis, die als Volksgruppe relativ jungfräulich das Berliner Stadtbild prägt, sind lebendig gewordene Fake News für jene, die meinen, Israel bestünde einzig und allein aus uniformierten Kindermördern. Auch ich beobachtete bereits einige linksradikale Kandidaten dabei, wie sie heimlich und leicht zitternd die Karte im Yafo in der Gormannstraße studierten. So kann es passieren, dass man vor lauter Hunger vergisst, Israel zu boykottieren.

Berliner und israelisches Essen

Dritt- und Zwölftsemester aus Hameln bestellen plötzlich Shakshuka und lassen sich das Wort geduldig von dem hübschen Kellner mit grünen Augen und braunen Locken vorsprechen: „Shak-shu-ka“, erklärt ein Eyal, ein Maor oder ein Tom, der eigentlich Tomer heißt, aber keine Lust mehr hatte, das zusätzliche „er“ zu rechtfertigen. „Shak-shu-cka“, antwortet dann eine Steffi, ein Lars oder eine Christina. Und kichert, weil das ck wieder zu hart war. Eyal, Maor oder Tomer lächelt nett, wünscht sich in die Arme seiner israelischen Mutter und brüllt „Shakshuka für Tisch drei“ in Richtung Küche.

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Es kann passieren, dass man vor lauter Hunger vergisst, Israel zu boykottieren.

Israelisches Essen, das aus arabischen und polnisch-deutsch-russischen Einflüssen besteht, ist mittlerweile fester Bestandteil der Berliner Gastroszene. Selbst Israelis essen hier gerne bei Israelis, denn so ganz können auch sie Haifa, Tel Aviv und Jerusalem nicht hinter sich lassen. Wer einmal Israel bereist, der wird es verstehen. Und so kann es in Berlin passieren, dass man wenige Kilometer entfernt vom Lieblingslibanesen auf einen Lieblingsisraeli trifft – Naher Osten 2.0.

Privatsphäre nein danke!

Neben israelischer Kulinarik strömt natürlich auch der Duft orientalischem Miteinanders durch die Straßen Berlins. Wer anfangs mit israelischen Kellnern und Künstlern zu tun hat, der kann das ungefilterte Temperament als ruppig, patzig und frech empfinden. Doch meist handelt es sich dabei um jene „Chuzpe“, die im deutschen Kontext nur abgeschwächt funktioniert. Israelis sind neugierig und halten von Privatsphäre nicht viel. Man fragt sich alle Fragen, die vor dem Ableben noch gefragt werden müssen. Nur über Politik redet man nicht gerne, die liegt als Cargo in einem gut verschlossenen Container in Tegel. Viele Israelis genießen die Anonymität der Spreemetropole und leben auf die Spitze getriebenen Laizismus.

Nur über Politik redet man nicht gerne, die liegt als Cargo in einem gut verschlossenen Container in Tegel.

Die Sehnsucht nach einer anderen Heimat

Daher sind die Versuche der jüdischen Gemeinde, Neuankömmlinge aus Israel für ihre Belange zu begeistern, meist zwecklos. Säkulare Menschen aus Tel Aviv knutschen eher mit einem AfD-Kandidaten als freitagabends in die Synagoge zu gehen. Party statt Pentateuch (die fünf Bücher Moses). Für Berliner Juden wiederum ist das vermehrte Hören von Hebräisch ein kleiner Tropfen auf den heißen Identitätskrisenstein. Denn auch wir, ich rede zur Abwechslung mal aus der Sicht einer Kollektivs, blicken mit Wehmut in Richtung Tel Aviv, wenn wir in Deutschland aufgrund von fehlerhaftem Schlangestehen zurechtgewiesen werden.

© Milena Zwerenz

Von Wehmut und Sehnsucht gepackt, flog ich vor einigen Tagen nach Tel Aviv, um Berlin mitsamt allen Israelis den Rücken zu kehren. Nun sitze ich im „Base Camp“ der Chuzpe und schreibe diesen Text in einem Café. Meine Beine bräunen in der heißen Mittagssonne, um mich herum hupen Autofahrer ohne Grund. Aus Neugierde, es mag an meiner europäischen Kleidung liegen, werde ich oft gefragt, wo ich lebe. Und jedes Mal, wenn ich Berlin sage, leuchten die Augen junger Israelis.

„I’m going there soon, but only for a visit!“, sagen sie dann.

„I know, only for a visit!“, antworte ich. Und lächle.

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