Wie geht man gekonnt mit furchtbaren Weihnachtsgeschenken um? Eine schauspielerische Anleitung

Anfang Dezember rief meine Oma an. Was ich mir zu Weihnachten wünsche, fragt3 sie und ich kam mir mit meiner Antwort, die ich mir vorausschauend für diesen Moment bereitgelegt habe, sehr – und dieses Wort verwendet man viel zu selten – gewieft vor: „Ach, eigentlich nichts Bestimmtes, aber es wäre schön, wenn ich damit Miete und Rechnungen bezahlen könnte.“ Wie ich mir da ganz beiläufig Geld gewünscht habe! Richtig elegant, aber vielleicht auch ein bisschen verstiegen, denn ich bin mir nicht sicher, ob die Botschaft am anderen Ende des Festnetzes ankam.

Leider ist schnöder Mammon zwar ein sehr nützliches, aber durchaus kein stimmungsvolles, persönliches Geschenk. Es wird sich also im Zweifelsfall eine weitere Episode „Wie freue ich mich überzeugend über schreckliche Geschenke“ zu Fuße der großelterlichen Nordmanntanne ereignen. Eine Darbietung die ich in zweieinhalb Jahrzehnten Erdendasein von Jahr zu Jahr mehr perfektioniert habe. Diese Anleitung wird den Familienfrieden vermutlich genauso wenig retten wie die Flasche Eierlikör, die heimlich auf der Gästetoilette deponiert habt, aber sie wird dafür sorgen, dass Heiligabend weitgehend ohne verletzte Gefühle vonstatten geht. Rein theoretisch.

Schritt 1: Der richtige Freudenausruf

Papiergeraschel, rupfen, reißen, knistern – schon beim ersten Anfassen merkst du, dass sich unterm rot-goldenen Packpapier ziemlich sicher etwas verbergen wird, dass dir Tränen der Verzweiflung in die Augen treiben wird. Aber bewahre die Ruhe, alles wird gut: Es reicht, wenn deine schauspielerische Leistung auf Goldene-Himbeere-Niveau bleibt, der Rotwein wird sein Übriges tun.

Erster Schritt der Freudenperformance: Übe einen authentisch klingenden Freudenausruf, den du hervorbringst, sobald du die letzte Schicht geschmackloses Geschenkpapier und mit der Schere gekräuseltes rotes Glanzband entfernt hast. Ein nüchternes, kurzes „Oh.“ solltest du dir unter allen Umständen verkneifen, logisch. Ist manchmal schwer, aber damit versaust du dir gleich zu Beginn eine glaubhafte Freudenshow. „Ooooh!“ hingegen ist gut, „Ooooooooooh“ schon verdächtig lang – trainiere unauffällig, indem du beim Abendessen ab und zu mal ein Test-Oh fallen lässt. Beim Erste-Hilfe-Kurs wird immer "Stayin Alive" als Taktvorgabe für die Herzdruckmassage empfohlen, für die Länge eines echt klingenden Freudenausrufs findet sich im Refrain von Justin Bieber’s „Baby“ ein optimales Referenz-Oh:

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Schritt 2: Intensives Interesse

Widme dem Geschenk anstandshalber ein paar Minuten Aufmerksamkeit: Interessiert in der Hand wenden, daran riechen, schütteln (außer, es ist lebendig) und intensiv die Verpackung studieren. Diesen Vorgang mehrmals wiederholen, auch wenn da nur „Made in China“, „Kann Spuren von Nüssen enthalten“ oder eine lange Liste von chemischen Inhaltsstoffen steht. Interaktion ist das Schlüsselwort! Auf gar keinen Fall aber solltest du die Originalverpackung öffnen oder beschädigen, du ahnst vielleicht schon, warum. „Das probiere ich später in Ruhe aus!“ ist dein Text an dieser Stelle, wobei „später" natürlich „nie“ heißt, aber das weißt in diesem Moment nur du. Nach etwa 120 Sekunden kannst du die vorgetäuschte Neugier wieder herunterfahren, in der Zwischenzeit hat sicherlich auch schon das nächste Familienmitglied ein Freudenmanöver gestartet und lenkt von deiner Performance ab. Lege das Geschenk behutsam und liebevoll wie ein Neugeborenes beiseite (sofern man Neugeborene beiseite legt, ich kenne mich da nicht so aus).

Schritt 3: Dank artikulieren

Bedanke dich beim Schenkenden und versuch gar nicht erst, damit direkt die "lustigen" Pfannenwender in Form von Musikinstrumenten zu meinen, das endet nur in unausgereiften Halbsätzen wie „Danke für diese tolle… für diese praktischen Küchenhelferlein, Tante Renate, die sind wirklich, also…ich hasse dich.“ Sag stattdessen in fröhlich-beschwingter Stimmlage „Schön, dass du an mich gedacht hast, das wäre doch nicht nötig gewesen!“ oder irgendetwas anderes Rührseliges aus dem Drehbuch einer Telenovela. Übertöne den Würgreiz, der dich bei dieser infamen Lüge überkommt, mit heftigem Geschenkpapierrascheln. Wenn du Pech hast, musst du beim nächsten Geschenk wieder mit Schritt 1 anfangen, aber je mehr Übung du hast, desto überzeugender wird dein kleines Schauspiel, das ja in Wirklichkeit nur eine Friedensmission ist, nicht wahr?

Schritt 4: Die Beseitigung der Leiche

Es ist wichtig, die Leiche, beziehungsweise das Grausgeschenk schnell und spurlos verschwinden zu lassen. Das geht meistens ziemlich einfach: Es nach Hause in die sichere Höhle schleppen, ein paar Bilder davon machen und rein damit ins Internet auf Kleinanzeigen-Seiten, Online-Flohmärkte, Tauschbörsen und so weiter. Originalpreis -30% als Einstiegsgebot, „neu unbenutzt OVP vorhanden“, du weißt schon. Im Idealfall machst du fetten Gewinn dabei und kannst dir endlich die neuen Kopfhörer kaufen, die du dir eigentlich gewünscht hast (oder eben deine Rechnungen bezahlen). Wenn jemand in Zukunft nachfragen sollte, ob du dich denn auch wirklich über die Körperfettwaage gefreut hast und sie auch fleißig benutzt, ist die Antwort ja wohl klar: "Ja, total! So oft, dass sie schon richtig abgenutzt ist und ich sie bald leider ersetzen werden muss!". Klingt doch überzeugend.

Das kann man nun herzlos finden und eine moralische Debatte darüber anstoßen, ob man ungewollte Geschenke einfach so weiterverkaufen, verschenken oder sogar wegwerfen darf. Oder gleich das Thema ausweiten auf globales Niveau und sich dafür schämen, mit welch luxuriösen Konsumproblemen einen diese jährliche Kauf- und Schenkorgie belastet. Man könnte aber auch sagen: Weil Weihnachten das Fest der Liebe und nicht der Enterbten ist, lösen wir die Sache am besten wie jeder vernünftige Erwachsene: mit einer Prise Schauspielerei und naja, Alkohol. Fangen wir vorsichtshalber gleich an: Cheers und toi, toi, toi bei der Performance später!

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