Wenn man beim Hören von Musik einige Zentimeter über dem Boden schwebt – zum Tode von Prince Rogers Nelson
von Markus Will
Musiker altern, Musiker sterben, und in jedem Fall hinterlassen sie Lücken. Aber sie hinterlassen auch ihre Musik. Was mehr könnten sie sich gewünscht haben?
Selten äußere ich mich zum Tod von Musikern, schon gar nicht ausführlich. Im Fall von Prince muss ich eine Ausnahme machen. Denn ich habe das Gefühl, dass er in den vergangenen zwanzig Jahren zu tief unter den Radar gesunken ist. Dabei ist sein Einfluss auf moderne Sounds überhaupt nicht hoch genug einzuschätzen.
Anfang der 1980er Jahre bildeten sich zwei Lager unter denen, die der progressiven Black Music anhingen. Die einen erkannten in „Beat It“ von Michael Jackson den aufsteigenden Supersuperstar, die anderen waren eher auf den rockig-verzerrten Zug von „1999“ oder spätestens „Purple Rain“ gesprungen und sahen Prince als größten kommenden Star nach James Brown und Jimi Hendrix. Beide Lager lagen auf ihre Weise richtig.
Ich mochte beide sehr. Weil Prince der sperrigere, der noch exzentrischere war, spürte ich früh, dass ich zu Michael Jackson tanzen, aber mich zu Prince verausgaben will. „When Doves Cry“ war der erste Peitschenhieb, der mir zeigte: DAS ist die Art, wie Musik mich packen muss.
Sein Typus der Absonderlichkeit und des gespenstischen Genies imponierte mir mehr als Jacksons perfekt geschmierte Marketingmaschine. Genies waren sie beide, keine Frage. Aber während mich Jackson auf höchstem Niveau unterhielt, setzte Prince Maßstäbe des Unerhörten, und er überwand überflüssige Gender-Stereotype, lange bevor es daily talk wurde. Angeblich besaß er hunderte High Heels, und er trug sie auf seinen Konzerten, zu viktorianischen Seidenkleidern oder hautengen Glitzer-Jumpsuits. Was für ein geiler, knuspriger kleiner Kerl er war. Ich liebte Prince’ Statur, bewunderte seine musikalische Virtuosität auf einem Dutzend Instrumente, verehrte seine schrillen Auftritte.
Ich spürte früh, dass ich zu Michael Jackson tanzen, aber mich zu Prince verausgaben will.
Dann, 1987: „Sign O’ The Times“. Dieses merkwürdige Doppelalbum (das bei zwei Minuten weniger Laufzeit auf ein Album gepasst hätte), warf mehr Fragen auf, als es mitriss. Bis man es ein paar Mal hörte: „Sign O’ The Times“ erwies sich nicht nur als das beste Album der gesamten 1980er Jahre – es ist der größte Geniestreich der Popmusik. Prince’ Spiel mit seinem Genius, mit der Reduktion von Klangkulissen, mit der Verlagerung des Beat auf Nebengeräusche, sein Flirt mit Lo-Fi, all das ergab in Kombination mit einigen seiner besten Kompositionen ein Album, das in jeder Sekunde jenseits aller Konvention pulsierte und doch den Rhythmus der Welt erfasste – Sign O’ The Times eben. Alben dieser überirdischen Größe hatten zuletzt nur Led Zeppelin („IV“), John Coltrane („A Love Supreme“) oder Van Morrison („Astral Weeks“) geschaffen. Heute gibt es kaum Beat-betonte Stücke, in denen ich nicht einen Kniff von Prince wiedererkenne.
Ich erinnere mich an einen Jazzmusiker, der mich besuchte. Er kannte Prince. Er kannte die ganzen Glamour-Hits – 1999, Kiss, Purple Rain – was jeder kennt und in diesem unfassbaren Moment auf seine Pinnwand packt. Aber „Sign O’ The Times“? Keine Ahnung. Er wollte mal reinhören … und blieb die ganze Nacht, weil er sich das gesamte Album dreimal hintereinander anhörte – und dabei einige Zentimeter über der Couch schwebte. Es gibt kaum einen größeren Ritterschlag.
Der Nachfolger „Lovesexy“ stand dem kaum nach (ebenfalls ein merkwürdiges Album, das aus einem einzigen Track bestand, weil der Meister die Songs nicht voneinander trennen wollte) – wer erinnert sich noch an „Alphabet Street“? Die funkigste Nummer der 80er, wenn nicht der letzten 30 Jahre… Ich glaubte, es würde immer so weiter gehen. Ging es leider nicht. Doch diese beiden Alben und einiges davor und danach blieben wichtig. Und bleiben es.
Ich werde mir „Sign O’ The Times“ dieser Tage immer wieder mal in Ruhe anhören und wünsche mir, dass viele Menschen es mir gleichtun.
Ruhe in Frieden, Du kleines, großes, mysteriöses, medienscheues Genie. Du hast tiefe Spuren hinterlassen.