"Weiß jemand was?" – Auf was du dich gefasst machen solltest, wenn du jetzt nach Berlin ziehst

Du möchtest nach Berlin ziehen und suchst eine 2-Zimmer-Wohnung für 600 Euro warm in Mitte? Richte deinen überzogenen Vorstellungen vom Leben in der Metropole schöne Grüße aus, bevor du dich nach deiner ersten Massenbesichtigung weinend von ihnen verabschiedest.

Um nach mehrmonatiger Suche nicht obdachlos zu werden, sollen ja manche schon ihr Erstgeborenes an die Schufa verkauft haben. Nach Erhebungen des Instituts der deutschen Wirtschaft sind die Mieten in Berlin seit 2010 um 26 Prozent gestiegen, Deutschlandweit stiegen die Mieten "nur" um 10,2 Prozent.

Du bist also in guter Gesellschaft, wenn du gemeinsam mit deinem Freund etwas Preiswertes "zum Wohlfühlen" suchst – am besten auch noch mit Balkon und Badewanne. Nur leider sind wir hier nicht in fucking Disneyland.

Als ich im August anfing, mich mit der Wohnungssituation auseinanderzusetzen, war ich optimistisch. Die erste Wohnung, die ich mir in Hamburg angesehen hatte, wurde schließlich auch meine. In Berlin dann also gerne Mitte, Prenzlauer Berg oder Kreuzberg. Was, wenn ich mich vor Zusagen gar nicht entscheiden kann? Schiefgelaufen ist dann ungefähr: alles. Aber lasst mich etwas weiter ausholen.

Werft euren Optimismus über Bord

Begonnen habe ich ganz unschuldig mit einem ImmoScout-Profil (LOL), mittels dem ich die Vermieter von vier Tage alten Inseraten (Pro-Tipp: mehr als 20 Minuten alte Inserate gleich wegklicken) geduldig anschrieb, ohne mich dabei finanziell nackig zu machen. Schwerer Fehler! Naiv wie ich war, dachte ich ernsthaft, dass mir auf mein freundliches Anschreiben irgendjemand antworten und die notwendigen Unterlagen separat anfordern würde.

Ein Monat und 20 versendete Anfragen später hatte ich noch immer: nichts. Und das trotz stabilen Einkommens, fertigen Studiums, Schufa, Vermieterauskunft, nicht vorhandenen Haustieren und deutschen Nachnamens. Nicht vorzustellen, wie es erst jenen ergehen muss, die ihre Privilegien nicht in einem Sammeldokument nachweisen können.

Wer Stress mit dem Vormieter hatte, steht dank eines Dokuments namens Mietschuldenfreiheitsbescheinigung (vom bisherigen Vermieter ausfüllen lassen!) besonders dumm da. Der Prozess der Bewerbung nimmt nämlich nicht nur viel Kraft und Zeit in Anspruch, er gleicht auch einer Schikane, bei der sich jeder stets von seiner besten Seite präsentieren muss. So, als ob es nicht um ein bisschen Wohnraum, sondern das Amt der Bundeskanzlerin ginge.

Einmal wurde ich nach tagelangem Nachtelefonieren gemeinsam mit vier anderen zu einer Besichtigung für eine 45-qm-Wohnung in einen Plattenbau eingeladen. Als mich der Makler später anrief und ich nicht sofort abheben konnte, stellte sich mein Rückruf bereits als vergebens heraus. Das Büro wusste nicht, wer spricht. Auch der Makler war plötzlich nicht mehr zu erreichen. So ging das noch zwei Mal, bis ich entnervt aufgab. Eine andere Firma schrieb zuerst rege Mails mit mir, um danach nicht ranzugehen – obwohl ich nicht nur alle Dokumente zugesandt, sondern auch schon schriftlich zugesagt hatte. Angeblich hätten sie meinem Anliegen ein Ticket hinterlegt.

Kein Melden, kein Abheben, kein Bescheid geben

Kein Melden, kein Abheben, kein Bescheid geben – trotz hoher Fahrtkosten zu den jeweiligen Besichtigungsterminen und finanzieller Bloßstellung ist das die Regel, die ich erfahren habe. Nicht die Ausnahme.

Jene, die bereits eine Wohnung haben und als Hauptmieter agieren, können ihren Status jetzt noch bewusster ausnutzen – irgendjemand wird schon so verzweifelt sein und 550 Euro für 11 Quadratmeter zahlen. Aktuell beliebt: Wohnraum, der für ganze zwei oder drei Wochen über die Weihnachtsfeiertage vermietet wird, um sich den Trip nach Bali zu finanzieren. Wie großzügig!

Neuankömmlinge, die dringend Wohnraum benötigen, posten mittlerweile Selfies in Facebook-Gruppen. Ob Luca eine Wohnung sucht oder an einem Modelcontest teilnimmt, ist anhand seiner Fotos nur schwer zu erkennen. Seine Angst, die riecht man förmlich durch den Bildschirm. Fehlt eigentlich nur noch der angehängte Lebenslauf, der endgültig beweist, dass man es hier mit einem ordentlichen Menschen zu tun hat.

Einem, der natürlich nicht raucht, nicht trinkt, keine Haustiere oder Partner hat. Und was ist mit Menschen, die Teilzeit arbeiten? Alleinerziehenden Müttern oder Vätern? Die kommen ohne Bürgschaft der Eltern gar nicht mehr an einen Mietvertrag. So setzt sich die finanzielle Abhängigkeit bei vielen bis Anfang 30 fort. Privatsphäre verkommt zum Luxus, während die hundertprozentige Absicherung der Mieter gegen alle Eventualitäten nicht nur unmenschlich, sondern angesichts des tatsächlichen Wohnraummangels schon beinahe lächerlich wirkt.

Auch preislich hatte ich mich hart verspekuliert. 50 Quadratmeter in Kreuzberg würden doch bitte nicht mehr als 600 Euro warm kosten? Dass man dafür mittlerweile gerade ein 20 Quadratmeter großes WG-Zimmer im Prenzlauer berg bekommt (Kaution von 1000 Euro nicht vergessen), ärgerte nicht nur mich. In Facebook-Gruppen wie "Wohnung und WG Berlin" sieht man täglich Angebote wie diese: 50 Euro pro Tag, neues Apartment in Charlottenburg. Ein User schreibt darunter: „Das ist Abzocke pur!“ Ja ist es, lieber Michael. Und helfen wird dir hier leider niemand.

Das ist Abzocke pur und helfen wird dir hier leider niemand

Das Schlimmste sind eigentlich die ganzen verzweifelten Anfragen dazwischen, in denen Menschen ein unspektakuläres WG-Zimmer suchen ("Ich kann max. 350 Euro für alles bezahlen“) und einfach nichts finden. Menschen, denen schon gekündigt wurde; Menschen, die gerade keine Arbeit haben. Paare, die schon fast einen Tick zu offen damit umgehen, dass ihre bereits pensionierten Eltern (Lehrer!!) bereitwillig bürgen werden (Schön für euch!). Kein Wunder – für Mieten von 700 Euro wird gerne das Dreifache an Nettoeinkommen verlangt. Egal, ob man sich die Wohnung leisten kann oder nicht.

Fakt ist: Es wird immer jemand kommen, der hundert Euro mehr verdient, einen Bürgen hat, die Wohnung trotz fehlender Grundausstattung – zum Beispiel einer Spüle – nimmt oder eine bessere Schufa hat.

70 Anschreiben und zwei Besichtigungen – zu mehr wurde ich nicht eingeladen – später habe ich einen Kontakt von einer Freundin vermittelt bekommen. Eine liebe Frau hat mich nach ein paar PNs als Hauptmieterin für ihre Wohnung, die Anfang 2017 frei wird, vorgeschlagen. Es hat also doch noch geklappt. Mit einer viermonatigen Suche, so sagte man mir, sei ich sogar noch früh dran.

Meine einzige Chance bestand – und das muss man sich einmal vergegenwärtigen – darin, an eine Wohnung heranzukommen, von der noch niemand etwas wusste und die vier Monate vor dem Auszug der jetzigen Mieterin bereits weitergegeben wurde. In diesem Fall an mich. 670 Euro werde ich in Wedding für meine Wohnung bezahlen. Exklusive Strom, Fernsehen und Internet.

Was lernen wir daraus? Anforderungen senken, beim Wahlbezirk flexibel sein, Menschen persönlich ansprechen und längere Anfahrtszeiten ins Zentrum in Kauf nehmen erhöht die Chance, doch noch etwas zu bekommen. Wenn auch 750 Euro warm für eine 62-qm-Wohnung in Wedding, Moabit, Steglitz oder Reinickendorf inzwischen trauriger Standard ist.

Obwohl ich mich glücklich schätze, bleibt angesichts des politischen Versagens ein ekeliger Beigeschmack. Selbst bei Makleragenturen herrscht derartiger Angebotsmangel, dass auch mit Geld nichts zu machen ist. Geförderte Neubauten kommen zwar, haben jedoch in der Regel eine Bauzeit von bis zu 24 Monaten und verhältnismäßig kurze Anmeldetermine.

Es wird Zeit, dass die Regierung handelt, damit die Bevölkerung nicht 40 Prozent und mehr ihres erwirtschafteten Geldes für etwas eigentlich Selbstverständliches ausgeben muss: die eigenen vier Wände. In beheizten Räumen zu schlafen und essen zu können, sollte selbstverständlich sein.

Wer nächstes Jahr ein Sofa zum Übernachten braucht, kann sich gerne bei mir melden. Es gibt sogar gratis (!!!) Tee.