Oliver Rath und Daniel Josefsohn: Ein Nachruf auf den Tod in Berlin

© Matze Hielscher

Ich kannte Daniel Josefsohn nicht persönlich. Auch Oliver Rath nicht. Ich kenne jedoch viele, wirklich viele Menschen, die beiden, Berlin mit ihrer Fotografie prägenden Künstler, sehr nahe standen. Und somit, das passiert, wenn man Mensch ist, ist ihr plötzlicher Tod auch für mich sehr nahe gerückt. Daniel Josefsohn war mein Facebookfreund. Nicht mehr und nicht weniger. Aber durch seine Posts, die letzten wenige Tage vor seinem Tod, meint man ja, Menschen zu kennen. Ein komischer Kautz, ein mutiger Kautz, ein Kreativer, wie man ihn in einer Enzyklopädie für Kreative finden würde. Wenn Josefsohn rief, so reime ich mir das aufgrund einer Welle von Kondolenzen zusammen, die meinen Newsfeed fluteten, dann fragte man nur, wann man da sein solle. Schauspieler, Musiker, Autoren, all jene, die Berlins vernarbtes Gesicht ausmachen, warteten geduldig auf seinen Auslöser.

© Daniel Josefsohn

Mit Oliver Rath verhielt sich das nicht anders. Manche munkeln sogar, dass nur er Sophia Thomalla eine wirkliche Daseinsberechtigung geben konnte. Sie sieht nunmal verdammt gut aus, wenn sie nackt ist. Und nackt, provokant und ehrlich, wie Berlin nunmal ist, das schoss Oliver Rath. Oft stand ich vor seiner Galerie auf der Rosenthaler Straße, hielt meine Nase ans Schaufenster und schaute mir Nippel an. Nippel und Brüste, manchmal beobachtete ich Assistenten, die schwarzen Molton immer wieder von der einen auf die andere Seite des Raumes trugen. Kunst halt. Wird schon Sinn gemacht haben. Musste man nicht verstehen. Daniel 54, Oliver 38, ihr Tod hinterlässt nicht nur in der hiesigen Kunstszene ein Loch – wenn solche Leute gehen, Leute, die Fotos von dieser Stadt und ihren Menschen machten, dann fühlt sich das an, als würden Berlin beide Augen fehlen.

Berlin und der Tod, besonders jener, der so irrsinnig und gnadenlos früh eintritt, das passt nicht. Das erkenne ich auch an den Worten jener Wegbegleiter, die ihrer Trauer auf Facebook Luft machen. Hartgesottene Clubbetreiber, die man oft nur grimmig dreinblickend morgens um drei auf der Torstraße sieht, trauern ehrlich um einen Freund, im schlimmsten Fall auch noch um beide. Erinnerungen werden geteilt, Fotos, Berlin 2003, „weißt du noch damals, Oliver?“. Er wird es sicher wissen. Aus Lichtgestalten werden reale Menschen, die Lücken hinterlassen. Schockstarre, Benommen- und ehrliche Betroffenheit. Auch von jenen, die Rath und Josefsohn nicht kannten. Denn in Berlin, das habe ich in den letzten Jahren erlebt, muss man sich nicht kennen, um füreinander zu empfinden. Ob Liebe, Hass oder Gleichgültigkeit. 

In Berlin, muss man sich nicht kennen, um füreinander zu empfinden.

Berlin und der Tod, das passt einfach nicht. Wir sind hier schließlich im Nimmerland, oder? Geleitet und begleitet von einer Reihe Peter Pans, die uns Unsterblichkeit vorleben. Denen es egal ist, ob du 45 und drauf bist oder 21 und lieber drunter liegst. Die uns Prinzessinnengärten, lange Nächte und Märchenparks schenken, blaue Kater zum Leben erwecken und Spielwiesen mit Bassteppichen am Spreeufer bauen, wo Konfettiregen auf Menschen rieseln, die wildknutschend auf einer Baumschaukel sitzen. Peter Pans, die uns an die Hand nehmen, eine zeitlose Insel im hektischen Alltag erschaffen und unser inneres Kind füttern, bis es glücklich schmatzend auf Wolke sieben sitzt. Die Berlin genau zu dem Ort machen, an dem man lachend kündigt und weinend von neun bis fünf in einem Bürocontainer sitzt. Ein Ort für Macher und Träumer, die woanders weder zu machen noch zu träumen wagten. 

Peter Pan darf nicht sterben, oder? Nicht fallen, nicht leiden, nicht die hässliche Seite des ewig Glitzernden aufdecken? Zuviel für die Nimmerland-Kinder. Ist es doch das Wirkende, das Schaffende, die Fassade, die wir sehen und bewundern möchten. Wir möchten glückliche Gesichter sehen, keine entzauberten Fratzen. Berlin und das Scheitern, das passt einfach nicht. Die Konfettimaschine muss sich weiter drehen, wie ein Perpetuum Mobile, das, einmal in Gang gesetzt, kein Ende findet.

Das Koks kurz beiseite legen, auf Pause drücken, den Laptop schließen, das Konfetti in der Tasche lassen und die Deadline im Auge behalten.

Nein, Berlin und der Tod, das passt einfach nicht. Denn hier geht es immer vorwärts, von einer Nacht in die nächste, von einem Event zum nächsten. Von Pitch zu Pitch, vom Start-up zum Burnout, vom Pop-up zur Closing-Party. Nach der Fashion Week ist immer vor der Fashion Week. Wer hat denn Zeit für feierliche, übertriebene Ergriffenheit? Wir müssen sie uns nehmen, der Tod ist immer auch eine Messerspitze Pathos. Das Koks kurz beiseite legen, auf Pause drücken, den Laptop schließen, das Konfetti in der Tasche lassen und die Deadline im Auge behalten. Lasst uns rekapitulieren, bevor wir vor lauter Ignoranz kapitulieren. In Berlin geht es immer vorwärts, bis die Zeit auch hier einmal stehen bleibt, und nur das ist, was war.

© Matze Hielscher
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