Trotziger Teenager vs. Familienurlaub in Italien – Nilz Bokelbergs neues Buch ist eine Reise in unsere Vergangenheit

© Goran Bogicevic/ Shutterstock

Nilz Bokelberg ist einer der bekanntesten deutschen Blogger. Er schrieb die Bücher "Ich schmeiß alles hin und werd Prinzessin" und "Endlich gute Musik". In seinem neuesten literarisches Werk "Tristesse Renesse" begibt er sich auf die Spuren seiner Kindheit. Mit einem Interrail-Ticket im Gepäck reist er im melancholischen November nach Italien, das Land, das seine Eltern so sehr liebten und welches daher alljährliches Reiseziel war. Auf seiner Reise erinnert er sich an Geschichten seiner Kindheit und berichtet von Storys, die seine Eltern regelmäßig zum besten gaben. Geschichten, die uns so bekannt vorkommen, dass sie in unserer eigenen Kindheit hätten stattfinden können. Einen Auszug über seinen Besuch in Rom könnt ihr hier lesen.

Aus dem Buch: "Tristesse Renesse"

Ich habe ja schon viele Bahnhöfe erlebt, aber Rom ist definitiv der wuseligste. Was hier los ist! Ich bleibe bewusst stehen, möchte den Anker lassen, dieser Hetze und Aufregung irgendwas entgegensetzen… Es gelingt mir nicht. Sobald ich irgendwo für einige Sekunden stehen bleibe, werde ich plötzlich wieder mitgerissen, von dieser unsichtbaren Kraft. Es ist unmöglich. Es geht nicht. Es ist nicht vorgesehen. Wer steht, vergeht. Oder so ähnlich. Selbst wenn man der am meisten in sich ruhende Mensch der Welt ist – gegen Termini (so der Name des Bahnhofs) verliert man. Termini ist der Endgegner der In-sich-Ruhenden.

Ich beobachte einen älteren Mann mit seinem Enkel an einer Bar. Er setzt den Kleinen, vielleicht Fünfjährigen, auf den Barhocker und bestellt einen Espresso. Der Kaf­fee kommt, er rührt Zucker hinein. Dann trinkt er den Espresso in einem Zug und knallt die Tasse auf den Tresen. Fast schon automatisch nimmt der Enkel die Tasse und leckt den Zucker raus. Das Ganze ist so choreografiert, dass es wohl ein festes Ritual zwischen den beiden ist. Der Opa zahlt, hievt seinen Enkel vom Hocker und die beiden ziehen weiter. Ach Italien, in solchen Momenten hab ich dich wirklich übermäßig gern.

Ich will raus, rumlaufen, Rom einatmen. Diese besonders besondere Stadt. Rom ist ein niemals endender Traum von mir. Der Beginn dieser Liebe ist vor etwa 25 Jahren zu verorten. Meine Geschwister waren alle aus dem Haus und ich fuhr jeden Sommer alleine mit meinen Eltern in den Urlaub. Die neue Freiheit, mit nur einem Kind zu reisen, haben die beiden auskosten wollen. Der Plan lautete also: Italien erobern. Wir sind jedes Mal in eine andere Region dieses Landes gefahren, das sie so sehr geliebt haben. Da ich immer heftiger pubertierte, fand ich das Ganze auch zunehmend nerviger. Ich wollte viel lieber zu Hause rumliegen, mit Freunden abhängen und den neuesten Klatsch und Tratsch der Clique austauschen, anstatt mit meinen Eltern durch italienische Dörfer zu fahren.

Ich hatte das Gefühl, das alles schon tausendmal gesehen zu haben. Ich wollte keine alten Gebäude mehr sehen. Ich wünschte mir McDonald’s herbei, meine Freunde, Fernsehen, das ich verstehe.

Das führte natürlich zu Krach und zu Situationen wie dieser, die meine Eltern mir bis heute nur allzu gerne aufs Brot schmieren: Wir fuhren mit dem Auto wie immer irgendwo durch Italien. Es war Mittagszeit und Hunger machte sich breit. Wir waren in irgendeiner kleinen Stadt. In Italien ist das Zentrum der Altstadt mit »Centro Storico« ausgeschildert und meine Eltern folgten, wann immer es möglich war, diesen Wegweisern in der Annahme, man würde dann schon im schönsten Teil des Ortes landen. Ich hörte Musik auf dem Walkman und hatte einfach keinen Bock mehr auf Altstädte, Fischmärkte, Möbelrestaurateure und kleine Restaurants in Seitengassen. Keinen Bock auf langsam rumlaufen und sich jede Häuserwand angucken. Und deshalb tat ich das einzig Mögliche: Boykott. Ich weigerte mich auszusteigen, nachdem wir geparkt hatten.

Meine Eltern dachten erst, das wäre ein Witz, aber es war mir selten so ernst im Leben wie in diesem Moment. Ich hatte das Gefühl, das alles schon tausendmal gesehen zu haben. Ich wollte keine alten Gebäude mehr sehen. Ich wünschte mir McDonald’s herbei, meine Freunde, Fernsehen, das ich verstehe. Nachdem meine Eltern kichernd begrif­fen haben, wie ungeheuer ernst es mir war, gingen sie los zu ihrem Altstadtbummel. Ich blieb im Auto, das zum Glück im Schatten geparkt war. Ich richtete mir mein Kissen irgendwie an der Fensterscheibe ein, drehte die Musik auf und blieb mit menschenmöglichster Schlechte-Laune-Miene sitzen. Klar hatte ich Hunger, klar wollte ich aus dem stickigen Wagen raus – aber es ging hier ums Prinzip und ich durfte auf keinen Fall mein Gesicht verlieren. Is klar, ne?

© Joachim Gern

Wer jetzt neugierig geworden ist, kann bei uns eines von fünf Exemplaren gewinnen. Ganz easy, indem ihr uns eine Mail mit dem Betreff "Tristesse Renesse" an [email protected] schickt. (Gewonnen haben Kristin, Jenny, Nina, Martin und Sandra)

Auszug aus "Tristesse Renesse", dem neuen Buch von Nilz Bokelberg, das am 13. Oktober im Verlag Kiepenheuer & Witsch erscheint.

Zurück zur Startseite