Ein Hassliebesgedicht an den Prenzlauer Berg

© Daliah Hoffmann

Oh, rote Sonne hinter dem Wasserturm,
lass die Kastanien am Pfefferberg bluten,
wirf Streifen durch den Schönhauser Viadukt,
erfreue die Kiffer vorm Planetarium
und mach ihn erstrahlen in heiliger Glut,
den Olymp des Ostens,
den Prenzlauer Berg.

Wo die Gründerzeit-Bonzen ihre Prachtschinken bauten,
wo auch heute die Elite der Start-upper haust,
wo Kinderpsychologen ihr Unwesen treiben
und das Elend der Welt nur im Hintergrund rauscht.

Ob ich jemals hier leben darf?
Mich nicht mehr als Tourist auf den Kollwitzmarkt stehlen muss,
als blinder Passagier in die M10, wenn sie sonntags so voll ist,
dass mich keiner bemerkt,
weil alle zum Mauerpark wollen?

Jeden Tag will ich auf der Greifswalder stehen,
wenn der Thälmann so rührend wie zwecklos von Graffiti befreit wird.
Jeden Tag will ich in die Arkaden gehen
und davor von WWF angequatscht werden: „Hey! Hast du mal ’nen Augenblick Zeit?“

Ich will die Eisdielen sehen,
vor denen sich Schlangen drängen wie nach dem Krieg.
Die Wohnungsbesitzer, die sich vorschreiben lassen,
was auf ihrem Balkon stehen darf.
Ich will die Spielplätze sehen,
deren Dresscode härter ist als im Berghain!
Und die Kinderwagen, die soviel kosten
Wie ihr Eigengewicht in Silber.

Wer sagt, es gäbe kein richtiges Leben im falschen,
hat nie unter deinem Flügel geweilt,
nie das Kinderlachen vernommen,
noch die liebesschwangeren Worte der Mütter:
"BabyBjörn oder Bondolino? Und wie oft zur Analyse?
Bilingual oder Paleo? Du bist aber ’ne Süße!“

Vier Winde, erhebt euch!
Treibt goldenen Staub durch die Casting-Allee,
tragt die Stimmen der Engel zur Kulturbrauerei,
nehmt mich mit zu Chagall und Prater
nehmt mich mit in den Osten von Eden.
Denn Millionen von Kindern,
die jedes Jahr hier geboren werden,
können nicht falsch liegen.


Titelfoto: © Borkeberlin

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