Bon Iver, The National & Erlend Øye – Schüchterne Weltstars im Funkhaus Berlin

Vor dem kleinen Sendesaal kommt mir der Sänger Erlend Øye entgegen, im Saal probt ein kleines Orchester mit Rapper Käptn Peng. Erlend zuckt mit seinen schmalen Schultern. „Ich weiß auch nicht, ich kenne hier niemanden, weiß noch nicht was ich machen soll“. "Wirst du am Wochenende denn spielen?", frage ich ihn. „Wir werden sehen.“

Am 1. und 2. Oktober findet im Funkhaus in der Nalepastraße das Michelberger Music Festival statt. Die Hotelbetreiber Tom Michelberger und Nadine May, der Musiker Justin Vernon – bekannt als Bon Iver – und die Brüder Dessner von The National haben 80 Musiker eingeladen, die eine Woche in Berlin proben und dann am Wochenende vorführen, was aus diesem gemeinsamen Zeit entstanden ist. Auf der unglaublichen Gästeliste stehen Damien Rice, Alt-J, Woodkid, Mouse on Mars, Käptn Peng, BoyseNoize, Poliça und eben Erlend Øye.

Die Konzerte finden in den Studios des Funkhauses und einer neuen Halle auf dem Gelände statt. Das Publikum wird nicht erfahren, in welcher Besetzung und welcher Musiker wann wo auftreten wird. Ein freier Fall für alle Teilnehmer.

© Zoe Spawton

Zwei Stunden später sitzt Erlend im Studioraum, den sich die Brüder Dessner als Kreativzentrale eingerichtet haben. Øye pickt virtuos und Flamencoartig auf einer Gitarre. Bryce ist begeistert. „Ja, aber es ist nicht von mir.“ Schade. Über die Boxen humpelt ein Beat, der nicht so richtig passen will. Erlend und Bryce laufen wie zwei Katzen durch den Raum, die nicht richtig wissen, ob sie jetzt gemeinsam Mäuse fangen oder lieber allein weiterziehen sollen. Bryce Dessner entscheidet sich für den großen Flügel und spielt ein paar wunderschöne Moll-Akkorde, sein Bruder Aaron singt nun leise in den Raum hinein. Erlend sitzt auf dem Sofa und schaut in sein Handy. Ja, denkt man sich, das könnte was werden. Noch 2 bis 3 Tage, dann wird das bestimmt ein schöner gemeinsamer Song.

Blick auf die Uhr. In 3 Tagen sollen hier 5000 Menschen in der großen Halle und in den Studios sehen und hören, was die Musiker in dieser Woche gemeinsam kreiert haben. Sie sollen hören, was Erlend und die Dessners gerade machen. Oder die in zwei Räumen weiter frickelnden Alt-J, die aber eher in der Sonne an der Spree oder in der Cafeteria anzutreffen sind als im Studio. Als vernünftiger Mensch kann man sich nicht vorstellen, dass bis zum Wochenende ein Festivalprogramm entstehen soll. Als vernünftiger Mensch müsste man sich jetzt so langsam Sorgen machen und nach einer Ausrede suchen, warum das Festival nicht stattfinden kann. Vielleicht eine Grippewelle, Stromausfall?

"Das Schlimmste, was passieren kann, ist doch, dass die Musiker einfach ihre eigene Songs spielen." Nadine May, nimmt dem vernünftigen Mensch jegliche Bedenken. Sie berichtet von den ersten Zusammentreffen der Musiker und wundert sich noch immer, wie schüchtern und ehrfürchtig die Musiker hier antreten. "Wir merken, dass es auch für sie etwas ganz besonderes ist."

© Zoe Spawton

Zwei Tage später ist die Stimmung im Funkhaus eine ganz andere. Im Raum der Dessner Brüder sitzt jetzt Andi Thoma von Mouse on Mars und erzeugt ein wildes Blink-Blonk-Klunk mit seinem Handy. Bryce Dessner spielt Moll-Akkorde auf dem Flügel, dazwischen Justin Vernon, der grinst und wippt und ab und zu etwas ins Mikrophon singt. Was ist das für ein Genre? Indie, Elektro, Hip Hop? Spielt keine Rolle. Man bleibt im Raum und will nicht, dass es aufhört. Das Genre ist: Beautiful.

Streifzug durch das Funkhaus: Im großen Foyer probt ein Chor Bowie-Songs, Damien Rice schlurft durch die Gänge und sucht nach einen Raum, wo er am Wochenende Konzerte für Einzelpersonen spielen kann. Die Idee ist, dass Menschen aus dem Publikum entführt und in diesen Raum gebracht werden und dort singt dann Damien. Gestern Morgen hat er ein spontanes Konzert auf der Warschauer Brücke gespielt. Natürlich hat ihn niemand bemerkt. Woodkid komponiert in einer Art Ballsaal Musik für eine Gruppe Tänzer. Es ist ein Indiemusik-Disneyland.

© Zoe Spawton

In jeder Ecke wird improvisiert, neu interpretiert. Auch Erlend ist jetzt angekommen. Er hat einen neuen Spielfreund gefunden: den 61-jährigen Peruaner Manuelcha Prado.

Tom Michelberger zeigt mir ein Video von einer nächtlichen Hotelzimmer-Session von BoysNoize, The National und Damien Rice. "Sie haben bis heute in die Morgenstunden gejammt." Man fragt sich, wie hat es dieser Berliner Hotelier geschafft, dass all diese Musiker hier zusammen kommen, dass sein Michelberger Hotel in der Warschauer Straße ein weltweit einmaliger Anziehungsort für Künstler geworden ist. Eine Antwort darauf konnte er mir nicht geben.

Er und sein Team haben es hinbekommen, einen Raum zu errichten, in dem die Musiker aus dem feien Fall in einen Schwebezustand gekommen sind. Und man spürt: Ganz egal, was an diesem Wochenende auf den Bühnen im Funkhaus passieren wird, es ist erst der Anfang. Hier beginnt etwas Neues. Eine unvernünftige, höchst kreative Bewegung.

Michelberger Music Festival | 1. & 2. Oktober 2016 | ab 12 Uhr | 2-Tagesticket: 88 Euro, 1-Tagesticket: 48 Euro | mehr Info

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