Der Kotti ist der Kreisverkehr des Grauens
Du dumme dreckige Schlampe, du zugezogener Vollpfosten mit selbst gestrickten Slipeinlagen. Ich hoffe, dass du heute noch von der Tram erwischt wirst, deine Dreadlocks dabei in Flammen aufgehen, wie furztrockenes Stroh und dich dein nichtsnutziger Loserfreund verlässt, weil seine skinny Jeans bei dem Unfall zerfetzt wird, die du ihm heute Morgen aus dem selbstgebastelten Kleiderschrank in eurer nach Gras und Katzenklo stinkenden Bruchbude im Wedding geklaut hast.
Ja, was denn? Die Alte hätte ja auch mal schneller über die Straße gehen können. Aber nein, ich muss jetzt morgens um halb zehn fünf Minuten länger in der Verkehrshölle Kottbusser Tor stehen, weil sich Charlotte Roche junior im Tempo ihrer Hirnströme über eine grüne Ampel bewegt. Du DUMME F...
Elternsein, das ist wie Verliebtsein, man wird taub und blind, während alle andere sehen, was wirklich abgeht.
Gestern Abend war ich bei Freunden essen. „Eine Einladung“, sagten sie. „Ein Dinner mit dem Teufel“, dachte ich mir. Der Teufel, das ist ihr Sohn, der erst schlief, als wir schon beim Nachtisch waren. Aber auch nur, weil er entschied, dass er müde sei. Damit waren alle Beteiligten am Tisch einverstanden. Außer mir natürlich. Elternsein, das ist wie Verliebtsein, man wird taub und blind, während alle andere sehen, was wirklich abgeht. „Dass wir unseren hyperaktiven 5-Jährigen“, der laut Heilpraktikerin nicht hyperaktiv, sondern hochintelligent ist, „ab sofort ohne das Wort 'Nein' erziehen wollen“, sagte er mir. „Dass wir versuchen werden, ihn ohne Negation in seine Schranken zu weisen“. Als mein Kopf daraufhin blutrot anlief und ich mit dem Buttermesser Hexagramme in den Küchentisch ritzte, sagten sie mir, dass „ich meinen inneren Bukowski zulassen soll. Dem Zorn Raum geben solle, um die Wut in Energie umzuwandeln.“
Zorn in Energie umwandeln: Mit großer Wahrscheinlichkeit ein gut gemeinter und schlecht recherchierter Rat aus einem der 100 Lifestyle- und Mommy-Blogs, die sie jeden Tag konsumieren. Von Onlineredakteuren geschrieben, die gleichzeitig über Kim Kardashians Hintern berichten, Fotostrecken russischer Prostituierter bewerben, die in Haute Couture auf wackelnden Heroinbeinen vor 'ner Moskauer Platte stehen, und sich ganz nebenbei die Dreistigkeit herausnehmen, in die Psyche ihrer Leser einzudringen. Weil sie in Erlangen – bevor sie nach Berlin kamen, um hier ein armseliges Dasein als einer von 10.000 Bloggern zu fristen – ein Semester Psychologie studierten. Dieses Phänomen produziert naive Weltverbesserer wie meine Elternfreunde, die vergebens versuchen, ihre Kinder mittels doppelter Verneinungen von der Krippe bis zum Abitur zu schleifen. Mein innerer Bukowski? Können sie haben, dann aber richtig.
Pressluftgehämmer, pöbelnde Bauarbeiter und fehlende Parkplätze untermalen täglich ab 6.30 Uhr meinen Großstadtkrimi
Mein Blick streift den Plattenbaukoloss an der Adalbertstraße, dessen wackelnde Satellitenschüsseln wie weiße, wehende Taschentücher aus den Fenstern ragen, und die Kapitulation vor Anstand und Ästhetik verkünden. In Berlin werden täglich rund 500 Baustellen verwaltet. Diese liegen übrigens alle vor meiner Haustür. Pressluftgehämmer, pöbelnde Bauarbeiter und fehlende Parkplätze untermalen täglich ab 6.30 Uhr meinen Großstadtkrimi. Dieser wurde gestern Abend davon gekrönt, dass ein Gast in meinem Restaurant fragte, ob Milch in meinem selbstgemachten Panna Cotta sei? Nicht, weil sie zu den sich täglich vermehrenden, an Laktoseintoleranz und Blähung leidenden Zombies gehört. Nein, diese Dame war laut eigener Aussage auf ein Enzym in der Milch allergisch, das ihr Immunsystem angreift und dadurch anfälliger für Erkältungen macht. Vielleicht hätte ich sie darauf hinweisen sollen, dass nicht ein Milchenzym, sondern 20 Jahre Koksen dazu führen, dass Darm und Schleimhäute irgendwann den Geist aufgeben.
In meiner Fantasie überfahre ich den Fahrradfahrer, der sich überheblich durch den Stau windet. Bukowski sagte seinerzeit: „Manchmal ist mir, als hätte man uns in einen Film gesperrt. Wir kennen unseren Text, wir wissen, wo wir geh'n und steh'n sollen und es gibt keine Kamera. Aber wir können nicht mehr raus. Und es ist ein schlechter Film.“
Es ist grün, mein Kopfkino beendet.
In keiner Stadt hasst es sich so schön wie in Berlin.
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Noch mehr Hass (aber auch Liebe) von Linda Rachel bekommt ihr hier.