Berlingeschehen – Nach der Gentrifizierung ist Brandenburg dran

In der Zeitung steht, ich soll nach Brandenburg an der Havel ziehen. Oder nach Wittenberge. Potsdam nicht unbedingt – das ist schon wieder zu teuer.

Ich mag die Stadt Brandenburg. Viel Wasser, viel Grün, schöne Altstadt. Ich mag auch Prag und Jerusalem. Aber es tut mir leid, das sagen zu müssen, ich habe deshalb auch ein tierisch schlechtes Gewissen: Am liebsten würde ich doch gerne hier bleiben. Ich will nicht schwadronieren über Gentrifizierung. Wir kennen das Problem. Auch ich bin ein Zugezogener und mitverantwortlich für die Veränderung dieser Stadt – zum Guten, wie auch zum Schlechten.
Wir können froh sein, dass es die Mauer gab. Ohne die Teilung wäre Berlin, was die Wohnsituation betrifft, längst wie London, München, Paris. Und bald wird es auch so sein. Noch sind wir ein Kuriosum, ein Frankenstein-Monster. Aber die Narben verschwinden, werden geglättet. Vor gerade mal zehn Jahren sah die Bernauer Straße noch wie eine Grenze aus. Man konnte vom Nordbahnhof bis zum Mauerpark im Niemandsland laufen. Heute zeugen nur noch kleine Tafeln davon.

Ich kann mich gar nicht beschweren. Über einen Freund haben wir noch 2014 eine Altbauwohnung im Wedding gekriegt. Drei Zimmer, Dielenboden, 725 Euro warm. Das ist Wahnsinn, ich weiß es. Da nehme ich gerne in Kauf, dass die Hausverwaltung noch nie einen Handwerker geschickt hat. Dass Obdachlose auf dem Dachboden schlafen und ihre Notdurft verrichten. Dass die Bullen zweimal pro Woche das Haus stürmen.

Ich hatte heute auch schon Besuch von ihnen – unser Keller wurde in der Nacht aufgebrochen und das Fahrrad meiner Freundin geklaut. So ist das eben im Ghetto. Sorge bereitet mir nur, dass unser Mietvertrag bis 2018 befristet ist. Danach müssen wir raus. Sanierung. Die Narben werden geglättet. In der Zeitung steht, dass in Zehlendorf noch vergleichsweise viele Wohnungen leer stehen. Das ist doch schön. Dann werden die Menschen, die sich eine Wohnung in Zehlendorf leisten können, auch weiterhin keine Probleme haben, eine zu finden. Müssen wir Klein- und Normalverdiener also bald raus? Über den Fluss und in die Wälder? Hinter den Speckgürtel? Möglicherweise. Irgendwann müssen wir das. Aber mein Beispiel zeigt mir, dass wir noch eine Gnadenfrist haben. Und es liegt in unseren Händen, sie möglichst lange zu dehnen.

Deshalb kümmert euch um Nachmieter, wenn ihr ausziehen müsst! Gebt eure Wohnungen weiter! An Freunde, Verrückte und nette Idioten. Einfach so kündigen und die Sache dem Vermieter überlassen, ist nicht mehr. Wenn nur ein Prozent der Wohnungen auf die Art in unseren Händen bleibt, sind das 30.000 Enklaven, die sich gegen die Stürme der Zeit behaupten. Damit Berlin auch nach den nächsten zehn Jahren noch ein paar Narben hat. Und danach, liebes Brandenburg, ich verspreche es: Danach bist du dran.


Beim letzten Mal hat Clint darüber geschrieben, warum die Kids vom Dorf Silvester in Berlin lieben.

Titelbild: © Clint Lukas

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