Das Internet möchte nicht mehr mit Dir befreundet sein
"Was war das Leben noch schön, als es kein Internet gab." Das haben wir uns wahrscheinlich alle schon mal heimlich gedacht, als uns in der U-Bahn mal wieder jemand vollkommen im Smartphone versunken gegenüber saß, dem man gerne ins Gesicht geschaut hätte. Oder wenn wir wieder darüber diskutieren, warum unsere neueste Romanze jetzt gerade nicht sofort auf unsere, mit Hilfe aller Freundinnen komponierte Facebook-Nachricht antwortet. Oder wenn jemand gelangweilt seinen Instagram-Feed durchscrollt und uns das neueste Outfit von Kim Kardashian unter die Nase hält, während wir uns eigentlich gerade über was Wichtiges unterhalten. Bei den meisten von uns hat die Aufmerksamkeitsspanne mit der ständigen Verfügbarkeit von Information eben nachgelassen. Sollten wir vielleicht mal wieder kurz innehalten und überlegen, wie das früher war, damals, als wir (wie Oma so schön sagen würde) "diesem Internet" nicht so viel Bedeutung beigemessen haben?
Vielleicht wäre es also gut, wenn das Internet einfach mit uns Schluss macht
Natürlich glorifiziert man auch irgendwie die Zeit, in der man sich noch richtig fest verabreden musste, weil es keine "Ich komme 15 Minuten zu spät“-WhatsApp-Nachrichten gab und das nächste Festnetztelefon einfach meilenweit entfernt war. Das ändert aber trotzdem nichts an der unfassbaren Sehnsucht nach Verbindlichkeit, die einen überkommt, wenn man im Berliner Winter 25 Minuten an der Warschauer Straße auf jemanden wartet, der zuhause nur noch mal kurz durch seinen Facebook-Feed gescrollt und dabei die Zeit vergessen hat. Vielleicht wäre es also gut, wenn das Internet einfach mit uns Schluss macht, weil wir es einfach nicht hinkriegen, eine gesunde Beziehung zu führen.
Das hat sich jetzt auch der Amerikaner Morgan Rock Loehr gedacht und an sich selbst einen Abschiedsbrief vom Internet geschrieben, den wir am liebsten sofort analog an alle Freunde weitersenden möchten. Er schreibt:
Hey,
wir müssen reden. Kannst du bitte kurz das Video mit den Spaghetti essenden Pinguinen stoppen? Dein Spotify ausschalten und bei Snapchat aufhören, Bilder von deinem Salat zu verschicken? Achja und steck dein iPad weg, der Onion-Artikel kann auch noch warten. Hör mir bitte zu: Du bist toll und alles, aber es tut mir leid, denn ich finde, wir sollten uns erstmal nicht mehr sehen. Du bist zu anhänglich geworden, das gibt mir einfach nichts mehr. Vor ein paar Jahren haben wir uns nur zuhause gesehen, am Abend und manchmal an den Wochenenden. Jetzt sehen wir uns konstant, die ganze Zeit, immer. Ich brauche einfach ein bisschen Raum für mich. Wir reden schließlich konstant miteinander und das macht mich einfach nur wahnsinnig. Du hast überhaupt keine Selbstkontrolle mehr, störst mich bei der Arbeit, beim Autofahren, im Zug, beim Warten in der Schlange, zur Hölle, sogar wenn Du scheißen bist. Kein Paar sollte gemeinsam aufs Klo gehen, das ist einfach zu viel und zu nah und vollkommen ungesund.
Erinnerst du dich noch daran, wie du mich damals vom Festnetztelefon angerufen hast? Du warst so süß, hast stundenlang versucht mich zu erreichen und dann, wenn wir wirklich miteinander sprachen, haben wir uns über die wirklich wichtigen, weltbewegenden Ereignisse unterhalten, manchmal auch über die "Zeig mir Kathy nackt in Irland"-Suchanfragen, aber in erster Linie immer über die wichtigen Sachen. Jetzt rufst du mich aus dem Supermarkt an, um zu fragen, wie viel Kim Kardashians Gesichtsimplantat gekostet hat. Das Leben ist eine Perle der Weisheit, die wir nur finden müssen, und ich muss meinen Geist und meine Seele mit Tiefgründigkeit befruchten. Mein Gott! Ich verstehe Quantenphysik und du willst wissen, wie viel Sport Justin Bieber macht. Sehr viel, lass uns das abhaken. Warum unterhalten wir uns nicht über die unvorstellbare Größe des Kosmos? Ich verwahre so viele Geheimnisse, die die gesamte menschliche Existenz in Frage stellen könnten und du rufst mich aus dem Fitnessstudio an und willst wissen, was "Meek Mill" ist. Benutz verdammt noch mal einfach kurz deinen Kopf. Das ist eine Haferflocken-Firma!
Aber es ist mehr als unsere Gesprächsleere, die mich stört. Ich bin einfach mehr gewachsen als du. Ich meine, ganz ehrlich, vor ein paar Tagen hast du mich gefragt, wo man Ecstasy kaufen kann. Komm schon, die Phase habe ich längst hinter mir gelassen. Ich will mich weiter entwickeln, ein richtiges, intelligentes, wertvolles Mitglied der Gesellschaft werden. Du hingegen wirkst immer, als wärst du vollkommen zufrieden. Als würde es dir genügen, deine Gedanken über Donald Trumps Toupet zu tweeten. Aber es gibt mehr im Leben, als jeden Gedanken einfach auszukotzen, weil er einem gerade in den Sinn kommt. Ich meine, versteh mich nicht falsch, du bist wirklich großartig und da draußen gibt es bestimmt jemanden, der richtig für dich ist. Verabrede dich doch mal mit den Filmen oder ruf Laser Tag zurück, die beiden sind ziemlich einsam, seit dem wir zusammen sind. Du könntest auch einfach mal in eine Bar gehen, wo du einen echten, richtigen Menschen treffen könntest, ohne mich die ganze Zeit an deiner Seite zu haben.
Versteh mich nicht falsch, du bist mir wirklich wichtig, aber ich muss das jetzt wirklich beenden, für mich. Ich plane jetzt schon meine Weltreise mit Google und ich glaube es ist das Beste, wenn wir jetzt erstmal einfach keinen Kontakt mehr miteinander haben. Ich wünsche dir viel Glück mit allem! Versuch bitte nicht mich zu erreichen, ich hoffe, dass deine Wünsche und Sehnsüchte in Erfüllung gehen. Und bevor du fragst: Nein, Google kann dir keine Antwort darauf geben, "wie man ein gebrochenes Herz heilt."
Ich wünsche dir alles Gute.
Dein Internet
Vielleicht ist es einfach an der Zeit, uns wieder auf die echten Auseinandersetzungen zurück zu besinnen. So wie sich zum Beispiel auch in diesem Dating-Experiment zwei Menschen aufeinander eingelassen haben, einfach so in der Realität, im Hier und Jetzt, so wie man das früher eben gemacht hat. Vielleicht brauchen wir das einfach alle, der Moment in dem das Internet mit uns Schluss macht, weil wir diese ungesunde Beziehung nicht selbst in den Griff zu bekommen. Manchmal merkt man ja auch erst, was etwas oder jemand wert ist, wenn er plötzlich verschwindet: "Absence makes the heart grow fonder", habe auch ich irgendwann mal in einem dieser tragischen, romantischen, betrunkenen Momenten um 5 Uhr morgen auf mein Secret-Pinterest-Board gepinnt.