Berlingeschehen – Vom Rauchen, schließenden Kneipen und besorgten Müttern
Man darf nicht mehr auf den Bahnsteigen rauchen. Man darf in Restaurants und den meisten Kneipen nicht rauchen. Bald ist es auch auf der Straße verboten. Berlin wird in Kürze wie Singapur sein. Ich sitze auf einer Parkbank und stecke mir eine Zigarette nach der anderen an. Dabei bin ich Nichtraucher. Mein Hals schmerzt schon fürchterlich. Aber das ist meine Form von Zivilcourage.
Auf der anderen Straßenseite hat eine Eckkneipe dichtgemacht: Die Wirte räumen Tische und Stühle in einen Kastenwagen, lachen dabei und reißen dreckige Witze. Liegt vermutlich daran, dass sie sich das Ende mit den restlichen Spirituosen schön trinken.
Auch zwei Mütter am nahegelegenen Blumenstand verfolgen das raue Spektakel.
„Schade“, lässt die eine vernehmen. „Früher sind wir da auch gerne hingegangen. Natürlich bevor wir Lotta und Leif gekriegt haben.“
„Ist der Laden so alt?“
„Klar. Die waren schon da, als wir eingezogen sind. Damals haben da drin sogar Live-Bands gespielt.“
„Echt? Ist ja geil.“
„Total. War natürlich auch irrsinnig laut.“
„Kann ich mir vorstellen.“
„Da waren sie aber verständnisvoll. Als wir gefragt haben, ob sie damit aufhören können. Auch das mit dem Rauchverbot haben wir ja gemeinsam beschlossen.“
„Wurde da drin etwa geraucht?“
„Ja, das ist dann immer in den Hof gezogen. Und bei schlechtem Wind auch in die Wohnungen, klar. Aber ich sag mal, da waren die Jungs immer anpassungsfähig. Auch, als wir darum gebeten haben, dass sie nach zehn die Terrasse zu machen.“
„Kann ich verstehen. Wenn da nachts die Besoffenen rumgrölen...“
„Naja, MIR macht das ja nichts aus. Ich bin da nicht so. Aber wir haben ja auch eine gewisse Verantwortung den Kindern gegenüber.“
Sie schaut zu ihrem Sohn, der gerade hingebungsvoll die Blüten von einem Schwertlilien-Strauß rupft. „Hör auf, Leif. Das tut den Blumen doch weh!“ Leif zieht eine Grimasse und geht dazu über, mit Steinen nach einem Schwarm Spatzen zu werfen.
„Jedenfalls fing der Wirt da schon an, komisch zu werden. Ich meine, klar haben sie dann weniger Umsatz gemacht. Aber da müssen die sich doch auch mal arrangieren. Und wenn das dann über Wochen nicht funktioniert, MUSS man am Ende auch mal die Polizei dazu holen.“ Die andere Mutter nickt eifrig. Dann bläht sie die Nüstern. Ich sehe, wie etwas geflüstert wird. Im nächsten Moment durchbohren mich tödliche Blicke.
„Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst!“, schreit mich die Rechtschaffenheit in Person an.
„Was ist denn passiert?“
„HIER SIND KINDER ANWESEND! Machen Sie die stinkende Kippe aus!“
Ich folge erschrocken ihrem Befehl. Auch weil mich mehrere Passanten anstarren. Besonders weit her ist es nicht mit meiner Courage.
„Wie kann man nur so selbstsüchtig sein?“, legt sie nach.
„Tut mir leid. Ich werde mich umgehend selbst entleiben.“ Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ist dies das Mindeste, was ich tun kann. Ich warte, bis sie gegangen sind. Dann zünde ich mir eine Zigarre an. Dicke Rauchwolken ziehen durch die Straße. Gemächlich wie die Karawanen von Kinderwagen. Die Eckkneipenwirte werden immer betrunkener.
Wie geht der Spruch? Erst, wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fisch gefangen ist... Das lässt sich sicher auch auf die Kneipen- und Clubkultur anwenden. Und auf das Rauchen. Aber wir haben schließlich eine Verantwortung gegenüber den Kindern. Vielleicht sollte ich nach Singapur ziehen.
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Beim letzten Mal hat Clint über seine Nacht am Schlesi geschrieben: "Nachts vorm Späti am Schlesischen Tor".
Titelbilder: © Christoph Michael