Berlingeschehen – Nachts vorm Späti am Schlesischen Tor

Abends vorm Späti am Schlesischen Tor. Ich trau mich sonst nicht, in Kreuzberg trinken zu gehen. Aber ich bin beim Lido-Slam in der Vorrunde rausgeflogen und muss die Zeit bis zum Ende der Veranstaltung totschlagen, um meine Gage zu holen.

Nach zehn Minuten, beziehungsweise eineinhalb Bieren, habe ich schon eine Menge erlebt: Ein Türke hat mir seine CO2-Knarre gezeigt, zwei Punker sind über die Erziehungsmethoden ihres Dobermann-Mischlings „Spucke“ in Streit geraten. Und der Junggesellinnen-Abschied einiger Waliserinnen kam zu einem artgerechten Ende, bei dem ein halbverdautes Döner-Sangria-Gemisch eine Rolle spielte.

„Mein Freund“, ruft der Späti-Besitzer. „Willst du noch eins?“ Ich nicke und freue mich über die Anrede, obwohl ich weiß, dass er jeden so nennt. Aber auf die Art fühle ich mich fast heimisch.

Weil mir nichts besseres einfällt, kaufe ich kurz darauf einem Typen mit Beastie-Boys-Pulli für einen Zwanziger Gras ab. Nach der Geldübergabe sucht er eilig das Weite. Trotzdem nehme ich erstmal einen tüchtigen Schluck, bevor ich das Päckchen betrachte. Sieht ganz gut aus. Bei weniger Licht hätte man es fast für Gras halten können. Ich rieche daran und werfe es in den Rinnstein.

Nach nicht einmal dreißig Sekunden bückt sich ein Junge danach.
„Ey wallah, ich hab Gras gefunden!“
Sein Begleiter schaut skeptisch. „Das ist Hopfen, du Spast!“
Sie lassen es wieder fallen. Dieses Schauspiel wiederholt sich fortan in unregelmäßigen Abständen.

Ich beobachte derweil zwei Feier-Atzen auf der anderen Straßenseite. Auch sie sind soeben mit einem Typen ins Gespräch gekommen, dem man den Dealer meilenweit ansieht. Was sie wohl wollen? Bestimmt MDMA. Oder Keta. Was anderes nehmen die ja heutzutage nicht mehr. Aber kriegt man sowas auf der Schlesischen Straße?
Auf jeden Fall stellen sie sich besser als ich an. Denke ich.
Dann beginnt der Typ wild zu gestikulieren. Und kaum zu glauben: Die Druffis reichen ihm einen Schein und schauen dann seelenruhig dabei zu, wie er in einem Hauseingang verschwindet. Durch Zufall weiß ich, dass dieses Haus noch einen Ausgang im Hinterhof hat.
Die beiden offenbar nicht.

„Willst du noch eins?“
„Mein Freund“, sage ich. „Ich bin mir sicher, du kennst die Antwort bereits.“

Ein Blick auf die Uhr zeigt mir, dass erst zwanzig Minuten vergangen sind. Schon jetzt habe ich mehr Dramen gesehen als in drei Wochen Wedding. Und eine Stunde werde ich sicher noch warten müssen. Ob die beiden Feiermäuse auch so geduldig sind?

Sie tun mir beinahe leid. Und in solchen Momenten möchte ich rufen. Legalisiert es! Legalisiert ALLES! Ist doch würdelos, wenn man sich an so einem Abend fürs Gate oder Sisyphos zurecht machen will, und dann steht man blöd vor einem Hauseingang rum. MACHT ES LEGAL. Dann kann man den Kram entspannt am Nachmittag bei DM oder Rossmann besorgen und hat am frühen Abend genug Zeit, um sich die Frisuren zu richten.

Endlich überwindet sich einer der Kerle, selbst mal im Haus nach dem Rechten zu sehen. Es dauert nicht lang, da kommt er wieder nach draußen. Geknickt überqueren er und sein Kumpel die Straße und setzen sich an meinen Tisch.

„Noch zwei Bier!“, rufe ich.
„Gerne, mein Freund!“

„Weißt du, was uns gerade passiert ist?“, fragt einer der beiden.
„Sag es mir nicht. Ein Gentleman genießt und schweigt.“
Sonderlich schlau werden sie daraus wohl nicht. Aber als wir anstoßen und bald darauf die nächste Runde bestellen, spielt das auch keine Rolle mehr.


Titelbild: © Sascha Kohlmann/flickr CC

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