"Gemeinschaft heißt ja nicht, dass man alle mag, sondern, dass man alle respektiert." Im Gespräch mit Volker Siems von Polly & Bob.
In Berlin lebt man einsam, in Berlin lebt man allein. Hier kennt keiner den Vornamen seines Nachbarn, hier ist alles nur Großstadt - schnell und anonym. So zumindest das Klischee. Vor einem Jahr startete in Friedrichshain das Projekt "Polly & Bob", die das Zusammenleben in der Nachbarschaft verbessern möchten. Wir haben uns mit dem Initiator getroffen.
Volker Siems wohnt seit neun Jahren in Friedrichshain zusammen mit seiner Frau Andrea in einer 3er-WG. Er sieht gar nicht so studentisch, hippiemäßig aus, wie man vielleicht vermuten könnte. Wir sitzen in seiner WG-Küche. Ich bin gespannt auf seine persönlichen Nachbarschaftsgeschichten, aber schnell zeigt sich, dass Volker gar nicht so gern über seine Nachbarn redet.
Was hast du dir zuletzt von deinem Nachbarn geliehen?
Ich glaube, einen Grill.
Wie viele deiner Nachbarn kennst du?
Die meisten. Hier wohnen etwa 48 Leute im Haus.
Wie lernt man seine Nachbarn am schnellsten kennen?
Indem man nicht an ihnen vorbei läuft. (Überlegt. Sehr lange.) Ist ja gar nicht so einfach, seine Nachbarn kennenzulernen. Es gibt ja unterschiedliche Möglichkeiten, sie kennenzulernen. Am schnellsten? Wahrscheinlich, indem man mal klopft. Aber das muss ja auch nicht heißen, dass das schnell ist, weil die müssen auch zu Hause sein.
Hast du dich bei deinen Nachbarn vorgestellt, als du damals neu ins Haus eingezogen bist?
Nein.
Was macht Polly & Bob?
Wir verbinden Nachbarn online und offline. Online über eine Plattform, die wir bauen wollen und offline über Veranstaltungen. Wir werden auch Räume schaffen, wo Nachbarn sich treffen und wo wir auch Veranstaltungen machen können.
Warum gibt es Polly & Bob?
Polly & Bob ist aus der Frage heraus entstanden "Wie wollen wir leben?". In einer Zeit, in der es eigentlich keinen Mangel geben muss, weil wir genug haben, und einer Zeit, in der wir immer weiter vereinzeln. Die Antwort ist, mehr offline zu machen und den Reichtum zu teilen. Darum geht es auf der Plattform. In den Clubräumen wollen wir außerdem einen Leihladen einrichten. Dann kann man einfach Sachen ausleihen und gemeinsam benutzen, so dass man nicht nur online miteinander verbunden ist, sondern auch körperlich (bitte richtig verstehen). Ich denke, dass zum menschlichen Zusammensein auch eine körperliche Präsenz dazugehört.
Was hast du vor Polly & Bob gemacht?
Davor war ich im Management bei einem Schweizer Konzern in der Holz verarbeitenden Industrie. Ich habe direkt für den Vorstand gearbeitet und international verschiedene Projekte betreut. Die persönliche Entscheidung Polly & Bob zu machen, ist auch daraus entwachsen, dass ich ziemlich viel unterwegs war und eine normale Woche bei mir so aussah: zwei Tage Schweiz, zwei Tage Frankreich, dann nochmal einen Tag in Polen oder so und am Wochenende dann hier in Berlin. Da dachte ich, irgendwie geht das Leben gerade an mir vorbei, ich möchte etwas Sinnvolleres tun, als dass Ikea seine Spanplatten bekommt.
Wie finanziert ihr euch?
Im Moment ist es so, dass ich die Anschubsfinanzierung gegeben habe und da immer noch ein bisschen Geld da ist.
Wer sind eigentlich Polly und Bob? Warum der Name?
Ich hab zuerst gedacht, ich nenne das Projekt "Bob, der Bieber" und der Bieber ist der Nachbar, ein nettes Tierchen. Dann meinte meine Frau Andrea aber, da müsse auch ein Frauenname rein. Also Polly und Bob, zwei fiktive Personen mit einer eigenen Nachbarschaftsgeschichte. Anhand deren Geschichte erzähle ich, welchen Nützen Polly & Bob auch hat.
Was steht als Nächstes an?
Das nächste Projekt ist einen Nachbarschaftsgarten aufzubauen, weil das ein super Ort ist, um zusammen zu kommen, etwas zusammen zu machen. Die nächste größere Veranstaltung ist am 27. Juli, der Sonntag der Hinterhofflohmärkte, da kann sich jeder anmelden.
Muss man seine Nachbarn eigentlich mögen?
Nein. Das ist ja gerade die Frage: Was bedeutet Gemeinschaft? Und Gemeinschaft heißt ja nicht, dass man alle mag, sondern, dass man alle respektiert.
Mehr Informationen zu Polly & Bob gibt es hier.