ARTVERGNÜGEN #43 featuring Jan Kage

Es ist schwer, sich beim Gespräch mit Jan Kage auf ein einziges Projekt zu konzentrieren. Jan, das ist der Journalist, Galerist und Kurator, das ist aber auch Yaneq, der Rapper und Künstler. Isolierte Betrachtungen von Um- und Zuständen sind nicht seins. Deswegen darf das Art Village, über das wir sprechen, auch nicht isoliert von seinen anderen Engagements angekündigt werden. Yaneq verfügt über ein ausgereiftes Netzwerk an Street und anderen Artists und ist damit der perfekte Kurator für das Kunstdorf auf dem Berlin Festival, welches er in diesem Jahr zum dritten Mal kuratiert.

“Schafe haben wir nicht, wir haben Individuen.
Und das Individuum feiert sich vor allem selbst.” (Jan Kage, alias Yaneq)

Unsere Unterhaltung führt von Fragen der Identitätskonstruktion zu Ansinnungen über die Hinfälligkeit des Christentums. Jan springt von Lidls Frischhaltefolie zur Architektur von Hitler und Speer. Er bedauert den Verlust von Christoph Schlingensief und hinterfragt die Urheberschaft seines Kunst als Diktatur-Dogmas. „Ich bin der Kurator, weil ich nämlich der Party Arty Diktator bin. Kunst ist keine Demokratie, Kunst ist eine Diktatur und ich bin ihr Dikator“. Sein aktionistischer Spagat zwischen Politik, Religion und (Sub-) Kultur ist längst nicht mehr nur eine Phantasie, so sehr manches Statement auch danach klingt: Seit zehn Jahren lässt Yaneq bei seiner Eventreihe "Party Arty" Elektro DJs neben Hip Hoppern performen. Nebenan Action Painting, einen Raum weiter eine Lesung. “Es fiel mir irgendwann auf, dass meine Musikerfreunde nicht in Galerien gehen, weil sie denken, es wäre ein steifer Sektempfang. Dabei arbeiten doch alle gleich: jeder Künstler nutzt zwar einen bestimmten Kanal, aber wir alle bedienen uns doch eines Spirits – und das sage ich mit einem Augenzwinkern, meine es aber durchaus ernst.”

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Ebenso quasi-ernst meint Yaneq die Church of Phonk. Die Kirche ist ein zentrales Element und ideologisches Flaggschiff des diesjährigen Art Village. Jan ist auch klar, dass all die Besucher wegen der musikalischen Acts zum Festival kommen. “Es gibt den Autoscooter, Merchandisestände, Fressbuden. Aber das Art Village ist ein Ort, wo man sich auffrischen kann. Normalerweise sind Festivals in der Pampa. Man ist draußen in der Natur, bekommt matschige Füße. Beim Berlin Festival ersetzen wir das Naturerlebnis durch das Kunsterlebnis, und durch die Kunst kommt ein dicker Faktor Berlin aufs Festival. Denn Berlin ist nicht nur Musik sondern auch Kunst. Hier hängen wir zusammen ab, die Kreise überschneiden sich. Und dieses Gefühl stellen wir beim Festival her.”

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Die Kirche im Dorf vereint die Dogmen, also quasi den roten Faden seines Konzepts. Immer wieder bediene ich, getaufte Christin, mich im Gespräch der Symbolik des Christentums. Jan korrigiert vehement. Wenn er sich aber doch so entschieden gegen den christlichen Glauben auflehnt, wieso möchte er dann unbedingt eine Kirche inmitten des Musikfestivals? “In der Welt, in der wir, die postmodern aufgeklärten, abgebrühten Menschen, nicht mehr an Religion glauben, schaffen Künstler und Musiker den letzten Raum für Transzendenz und Spiritualität. Jeder, der schon mal inmitten ein paar hundert Menschen getanzt hat ... wenn dann die Snare losgeht .... die Arme in die Luft gerissen hat, kennt das, dieses Gefühl des spirituellen Erlebnisses.“ So wie die Kunst seien auch Wissenschaften und Religionen eine Ausformulierung ihrer Zeit und ihres Ortes und haben trotzdem identische Regeln gefunden: Du sollst nicht töten. Du sollst nicht stehlen. „Alle kamen sie auf dieselben Regeln, obwohl sie räumlich und zeitlich vollkommen dispers waren. Also müssen die Regeln in uns verankert sein. Die Künste sind eine Art und Weise, sich diesen transzendenten Raums zu bedienen. Wir erschaffen also eine humanistische Kirche der Glückseligkeit. Komm rein und du wirst ein besserer Tänzer!” Wir sollen das Leben feiern, unabhängig der uns umgebenden Umstände. So wie damals, in den 70ern, während der Funk-Bewegung. Damals kam es folgend politischer Kämpfe – Martin Luther King wurde ermordet, die Black Panther Party von der FBI zerschlagen – zum innerstädtischen Zerfall, Drogen zogen ins Ghetto. Gleichzeitig bestand die Hoffnung auf Befreiung. “Es wurde gefeiert und so soll auch bei uns gefeiert werden.”

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Ich sagte vorweg, dass Yaneq große Gedanken spinnt. Ich vage zu sagen gigantomanische. In der Vergangenheit trat er als Hohepriester für die Prozession des Kollektivs Various & Gould auf, damals, als Santa Data, eine der vier modernen Heiligen, zum Bundesnachrichtendienst (BND) getragen wurde. Yaneq wird die tragende Rolle auch in der Church of Phonk übernehmen. Ihm liegt daran, neue Künstler zu unterstützen, wie beispielsweise durch den Young Talent Call der Art Village, ist aber Künstlern treu, mit denen er als Galerist und Künstler kooperiert(e). Und so wurden Various & Gould mit der Gestaltung der Kirchenfenster betraut. Das geometrische Fassadendesign stammt von Graffiti- Künstler Il-Jin Atem Choi. Das Deckenfresco gestaltet Medienkünstler Christoph Krönke, inspiriert von der “sixtinischen Kappelle. Aber denk dir da Vinci auf Acid”. Die Inschriften gestaltet der vom Straßenslang inspirierte Typograph Stohead. Nomad, einer der am längsten aktiven Straßenkünstler Europas, der bereits Seite an Seite mit Banksy in Berlin ausgestellt hat, setzt den Altar in Szene. B-Side, Producer der Jugendhymne „Tabula Rasa“, komponiert den Kirchenorgelloop.

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Maike Gräf arbeitet gerade an einer Skulptur für den sakralen Raum, letztes Jahr schnitt sie vor Ort mit einer Motorensäge einen Eichenstamm in Form. Johannes Buss kleidet den Hohepriester standesgemäß. Und Jan wird predigen. Ihr könnt euch bei der Taufe gesegnetes Wasser über den Kopf träufeln lassen oder alkoholhaltiges in der Dorfkneipe Barkowski, gestaltet von 44 Flavours, den Rachen runterlaufen lassen. Sünden müssen nicht gebeichtet werden. Das ist ein Ding der Christen und von denen will sich die Church of Phonk ja distanzieren. “Wir sind ja für die Befreiung der Seele.” Alternativ investiert ihr euer Festivaltaschengeld auf dem Art Market in junge Kunst. Und Wolf Hogekamp, Grandseigneur der deutschsprachigen Poetry Slam-Szene, der jeden deutschsprachigen Poeten kennt, “der mindestens schon dreimal ein Mikrophon in der Hand gehalten hat”, freut sich über euren Besuch in der Arena der Performer des geschriebenen Wortes, während Quiet in the Corner und andere ihre Körper sprechen lassen.

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Es macht Jan Spaß Erwartungshaltungen zu brechen. Es macht ihm Spaß, durch die Gegenüberstellung der totalitären Flughafen-Architektur des Duos Hitler/Speer und des Art Village eine Reibung herzustellen. “Wir bringen den Phonk in den Ade.” Er zieht es durch, gigantisch, ironisch aber ernst und persönlich. Yaneq wird da sein, “der Pfarrer muss ja ins Dorf”.

Weitere Künstler: Markus Sendlinger, Bosso Fataka, Trailerparkfestival, Poet GFA, KLUB7, 1UP, Marcus Wittmers und all die Poeten des Poetry Slam. Außerdem werden 50 Meltfaces von Matze Hielscher, Jule Müller und Friederike Franze zu sehen sein.

Merkt euch auch schon mal den 03.Oktober für die nächste Party Arty mit Miss Ill, Nomad, Sick Girls und Il-Jin "Atem" Choi vor.

Art Village, am 06. und 07. September auf dem Berlin Festival.
Flughafen Tempelhof
Platz der Luftbrücke, 12101 Berlin

Tickets für das Festival gibt’s hier und damit auch Zutritt zum Art Village.

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