40 DAYS OF EATING 2015 #6 – Dicke Wirtin
Nach einem fürstlichen 4-Gänge-Geburtstagsmenü geht es für die Zwillinge heute von Neukölln nach Charlottenburg. Unweit der Kantstraße befindet sich die Dicke Wirtin, ein Alt-Berliner Lokal, in dem es deftige, bodenständige Hausmannskost gibt.
1. Maria, erzähl von deinem Tag.
Der Flauschball hat unterschiedliche Methoden entwickelt, um mich täglich sanft aus dem Schlaf zu quälen. Heute: auf dem Kopfkissen sitzen, Nase an Nase, und so lange anglotzen, bis ich wach werde. Die Kernaussage solcher Aktionen ist immer gleich: Hunger. Das Gefühl kenne ich gut, also wird das Katzenvieh kurz getätschelt und dann gefüttert. Jede Tierpsychologin und jeder Tierpsychologe wird jetzt sagen: "FALSCH! Da wird ja irgend ein Verhalten bestätigt." Oder so. Ich bin halt sehr inkonsequent bei niedlichen Gesichtern. 30 fühlt sich exakt genauso an wie 29 und darum wird das jetzt auch gar nicht weiter kommentiert, geschweige denn über den Sinn des Lebens sinniert. Den habe ich nämlich immer noch nicht gefunden. Außer leben halt. Also, das finde ich schon einen arschcoolen Grund, zu existieren. Zur Feier des Tages gibt es heute Bett-Office. Yeah! Als ich mich später aufraffe, glotzt mich mein Gesicht vom Kopfkissen her an. Mist, schon wieder vergessen, mich abzuschminken.
2. Wo habt ihr heute gegessen?
3. Was hast du bestellt und wie hat das geschmeckt?
Es gilt, die Geister der letzten Nacht zu verjagen: deftig. Erst mal gibt es ein ordentliches Kontra-Getränk: Süß-klebrigen Bratapfelglühwein. Welches Genie hat sich sowas nur ausgedacht? Wir haben direkt einen sitzen. 40 Days of Drinking in the making. Die Karte ist, genau wie die Frau auf dem Schild über der Tür: üppig. Darum entscheiden wir uns gegen Vorspeisen. Wir haben sowieso die Vermutung, dass das eher vollwertige Mahlzeiten sind. Das bestätigt uns Kellnerin Gabi auch direkt: "Dit schafft ihr allet niemals!" Recht hatse. Also haue ich mir den Matjes rein, den gab's auch früher immer bei Omi und Mami. Und ja, der schmeckt verdammt gut. Nach Zuhause. Mir wird direkt warm ums Herz. Kann aber auch am riesigen Bier liegen, welches wir dazu süffeln.
4. Wie ist der Service dort?
Gabi hat's voll drauf: Berliner Schnodderigkeit mit dem speziellen Hauch Herzlichkeit. Diese liebevolle, distanzierte Art erinnert mich hart an meine Kindheit: Kindergärtnerinnen, Grundschullehrer, Hausmeister und so weiter. Alle hatten sie diese spezielle Art und es gibt sie noch, diese Berliner Urgesteine, die sich die Berliner Schnauze bewahrt haben. Zugezogene halten uns ja auch immer für "frech". Dabei sprechen wir nur Slang, man!
5. Was gefällt dir an dem Restaurant besonders, was nicht?
Der Laden ist voll, also richtig voll. Überall "Stehrümchen", welche heimische Gemütlichkeit suggerieren sollen und gleichzeitig Zeitzeugen der vergangenen 40 Jahre Gastfreundschaft mit kalorienhaltiger Nahrung sind. Ich fühle mich wie in einer Schrankwand. Überall Vasen, Püppchen, Schildchen, viel Holz, alte Bierkrüge und dunkle Wandvertäfelungen. Sehr gemütlich. Damals, auf'm Dorf, da hatten wir auch so einen Laden. Der hieß "Alter Dorfkrug" und die Fritteuse dort hat in regelmäßigen Abständen Kroketten für uns ausgespuckt, denn das war unser Lieblingsessen. Genauso fühlen wir uns hier auch: wie zuhause. Nicht unbedingt etwas für das geschulte Designliebhaberauge, aber hey, ist ein Erlebnis!
6. Wie würdest du die Menschen in dem Restaurant beschreiben?
Viele Touristen, aber auch viele Einheimische. Vorn an der Bar typische Kneipenatmo mit dickbäuchigen, älteren Herren, welche unter einem Schild mit der Aufschrift "Sole Eier" ein kühles Bier zischen. Hinten im Gastraum eher Reisende mittleren Alters, welche ordentliche Berliner Hausmannskost probieren möchten. Hier kann man definitiv ungestört und ungeniert unkontrolliert essen.
7. Mit wem würdest du definitiv nicht hierher kommen und warum?
Kalorienzähler. Aber wenn ihr mal Besuch aus Australien oder so habt: Unbedingt mit denen da hingehen und ihnen zeigen, wie eure Kindheit geschmeckt hat (in ein wenig besser sogar).
8. Worüber habt ihr gesprochen?
Kindererziehung. Schlaflose Nächte. Verreisen. Über früher und heute. Also Dropse, Klopse und Rouladen.
9. Was hast du Neues über deine Schwester gelernt?
Bei Königsberger Klopse kennt sie nichts. Da wird knallhart bis aufs Blut gekämpft und ich glaube, ich habe da ein Fauchen gehört.
10. Das Beste an diesem Essen...
Ich war sehr zufrieden mit meinem Essen. Matjes, I love you!
11. Möchtest du noch etwas sagen?
Königsberger Klopse sind original auch echt der Hammer. Kenne die ja sonst eher aus der Dose und liebe auch Dosenklopse, aber die hier waren echt gar nicht mal so übel.
1. Sophia, erzähl von deinem Tag.
Ich bin so voller Glück und Liebe! Auch wenn das jetzt kitschig klingt, aber das war ja so schön gestern! Wir haben gegessen und getrunken und ganz viel Kraft getankt. Und auch wenn ich heute einen winzigkleines Katerchen habe, so bin ich doch happy. Maria und ich haben wirklich großes Glück. Echt! Da auch gestern einige meiner Kollegen am Start waren, sind jetzt natürlich alle doppelt so neugierig, wohin wir heute essen gehen. Es wird gerätselt und gebohrt und in der Mittagspause muss ich eine Art Food-Tabu vorführen, bis die heutige Location erraten wird. Chef will mit. Tja, mein Lieber, das geht leider nicht. Chef schlägt daher Tupper-Dosen vor, um mögliche Reste am nächsten Tag mit ins Büro zu bringen. Das könne auch ruhig alles vermischt sein, er sei da nicht so anspruchsvoll. Auch hier große Enttäuschung: Es bleibt verdammt selten was übrig.
2. Wo habt ihr heute gegessen?
Heute geht's zur Dicken Wirtin!
3. Was hast du bestellt und wie hat das geschmeckt?
Ick sitz am Tisch und esse Klops! Aber erstmal einen Punsch! Manchmal hat man ja einfach keinen Bock auf den 20. Lobster Burger, Cronut oder German Sushi. Manchmal braucht man einfach eine ehrliche Roulade. Ganz Food-Blogger checke ich natürlich schon vormittags die Karte im Internet aus und melde sofort bei Maria und Fotografin Caro Dips auf die Königsberger Klopse an. Ich liebe diese gekochten Fleischbatzen in Kapernsoße. Das schmeckt nach Kindheit und Dorf. Und ich werde nicht enttäuscht. Hier gibt es keine Experimente, die Portion ist riesig und alles schmeckt einfach nur richtig gut. Caro bestellt eine klassische Roulade, welche von mir augenblicklich probiert wird. Auch hier sind wir uns einig: Keine Überraschungen, genau das, was wir erwartet und erhofft haben. Toll! Nach dem Essen sind wir so satt, so unglaublich satt, also satter geht es nicht.
4. Wie ist der Service dort?
"Watt, nee, noch mal in Ruhe! Watt willste? Hä? Ach der Blog, ja komma mit, die andere is schon da!" Nach Alt-Berliner Art werden wir herzlich empfangen und erstmal ein bisschen verarscht. Tut auch ganz gut, mal wieder ein bisschen ungeniert in den Raum zu berlinern. Die Speisen kommen zackig, der Service ist auf den Punkt und zur Abwechslung sind hier mal alle Männer frisch rasiert und tragen, wenn überhaupt, einen Schnurrbart.
5. Was gefällt dir an dem Restaurant besonders, was nicht?
Eiche Rustikal trifft auf Heimatmuseum. Überall gibt's was zu gucken und es riecht nach Rotkohl. Toll. Wenn man die Dicke Wirtin betritt, kann man seinen modernen Anspruch gleich mal mit einem Futschi wegspülen. Den Barraum dominieren Stammtische und Trinkecken aus längst vergangenen Zeiten. Hinten im Gastraum gibt es jede Menge Berliner Dekoelemente und Schnickschnack. Genau so stellen sich wohl Touristen Berlin vor. Vielleicht ist das auch ein Grund, wieso hier auf jedem Tisch ein Berlin-Reiseführer liegt.
6. Wie würdest du die Menschen in dem Restaurant beschreiben?
Touristen im besten Alter. Kegelclub trifft Lesekreis. Wir sind mit Abstand die Jüngsten hier und werden auch erstmal komisch beäugt. Sind wir ja gewohnt, macht uns mittlerweile gar nichts mehr aus.
7. Mit wem würdest du definitiv nicht hierher kommen und warum?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand Eiche Rustikal doof findet. Unbedingt mit Besuch aus dem Ausland herkommen!
8. Worüber habt ihr gesprochen?
Über Essen bei Oma. Über Familienplanung und Kindererziehung. Und ja, auch ein bisschen über unseren Geburtstag. Na könnt ihr's noch hören? Wir auch nicht mehr.
9. Was hast du Neues über deine Schwester gelernt?
Wenn man Maria verbietet, Königsberger Klopse zu essen, bekommt sie feuchte Augen. Bis sie den Matjes entdeckt. Den liebt sie nämlich noch ein kleines bisschen mehr als die Klopse.
10. Das Beste an diesem Essen...
Die Gespräche mit Caro und Maria und natürlich die Zeitreise in unsere Kindheit.
11. Möchtest du noch etwas sagen?
Ich möchte mich jetzt bitte sofort in einer Ecke zusammenrollen und ein Nickerchen machen. Geht aber nicht, denn jetzt machen wir drei erst einmal einen schönen, langen Spaziergang.
Beim letzten Mal waren die Zwillinge im Beuster essen. Alle Folgen 40 DAYS OF EATING gibt es hier.
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Location: Dicke Wirtin, Carmerstr. 9, 10623 Berlin
Fotos: Carolin Weinkopf
Text: Maria und Sophia Giesecke
Mit freundlicher Unterstützung von Fissler