Berlingeschehen – Einmal durch die Berliner Behördenhölle und zurück

Freude, schöner Götterfunken. Es ist mal wieder Behördentag. Ich muss als erstes zum Bürgeramt, Osloer Straße, meinen Berlin-Pass verlängern lassen. Die Schlange am Schalter reicht bis vor die Tür. Wenigstens fühlt es sich an, als wäre die Misere des Turmbaus zu Babel gelöst: Angehörige aller 193 Staaten stehen sich die Beine in den Bauch und sind vom gleichen Gedanken beseelt: Warum dauert das bitte so lang?

Am Infoschalter dann die Info: „Der Berlin-Pass wird inzwischen in Raum 03 gestempelt. Nummer ziehen, vor Ihnen warten 192 Personen.“ Offenbar sind wir auch aus dem gleichen Grund da. Das Gemeinschaftsgefühl wächst. Nach dreieinhalb Stunden endlich am Ziel. Zum Glück bin ich schon um sieben hier angetanzt, sonst könnte ich meinen Jobcenter-Termin knicken.

beetlejuice
Vorher noch schnell zum Finanzamt, Fragebogen zur steuerlichen Erfassung abgeben. Im Foyer ist niemand zu sehen. Der Boden bedeckt von Kippen und leeren „Seasoning“-Päckchen. Früher hab ich mich immer gefragt, was das ist. Inzwischen weiß ich: Sie gehören zu den YumYum-Suppen, die von den Kids auf dem Schulweg trocken gesnackt werden. Das Finanzamt-Foyer offenbar beliebter Chillout-Bereich. In einem Verschlag aus OSB-Platten kauert ein traniger Pförtner und nimmt meinen Fragebogen entgegen. „Das kommt schon alles in die richtigen Kanäle“, keckert er, als er meinen fragenden Blick bemerkt. Ob die bei der Steuerfahndung auch so salopp und hemdsärmelig sind?

Sie haben einen 40-Stunden-Job zugunsten eines 20-Stunden-Jobs aufgegeben. Etwa nur, weil Sie ein Kind gekriegt haben?

Vor dem Jobcenter streiten sich mehrere Sprit-Brüder um die Pole-Position beim Schnorren. Eine studentische Aushilfe versucht, Flyer zur Firmengründung unter das Volk zu bringen. Ich verteile zur einen Seite einige Münzen, nehme mir von der anderen einen Stoß Handzettel. Das Universum muss im Gleichgewicht bleiben. Direkt hinter der Tür werde ich von zwei Ordnungsleuten abgefangen. Auf ihrer Stirn steht DEESKALATION. Nachdem ich meine Einladung vorgezeigt habe, begleiten sie mich zum Fahrstuhl, drücken sogar die Taste.

Beim Arbeitsvermittler dann Schluss mit Komfort: „Sind Sie noch ganz bei Trost?“, schreit er mich an. „Sie haben einen 40-Stunden-Job zugunsten eines 20-Stunden-Jobs aufgegeben. Etwa nur, weil Sie ein Kind gekriegt haben?“
„Moment mal. Das Kind hat ja meine Freundin gekriegt.“
„Jetzt werden Sie mal nicht komisch.“
„Tut mir leid, aber wissen Sie, WIE VIEL vierzig Stunden sind?!“
„Sie wollen mich wohl verarschen?“
„Wann soll man denn da noch zum Spielen kommen? Also mit dem Kind, meine ich jetzt. Und ins Kino will man ja auch manchmal gehen. Kennen Sie doch bestimmt. Kino?“

Dem Vermittler steht kurz die Kinnlade offen.
„SANKTIONEN!“, stößt er dann in spitzen Schreien hervor. „Das gibt SANKTIONEN. Wir sind hier doch nicht in der Villa... Villa Sowieso!“
„Kunterbunt. Aber Lindgren mag ich eigentlich nicht so.“

Sein Gesicht wird noch etwas dunkler.
„Vielleicht sollten Sie auch mal weniger arbeiten“, sag ich, ehrlich besorgt. „Wegen Blutdruck und so. Im Alter rächt sich das alles.“
„RAUS“, brüllt er. „In fünf Werktagen will ich zwanzig Bewerbungen auf meinem Tisch liegen haben!“
Leise verlass ich das Zimmer, um den Armen nicht noch mehr aufzuregen.

„Wie war's?“, fragt meine Freundin, die mit dem Kind vorm Jobcenter wartet.
„Ganz gut. Ich glaube, er ist ein Fan meiner Lyrik.“
Wir lachen ein bisschen und gehen spazieren. Es ist schön, soviel Zeit zu haben. Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt. Von so einem Behördentag kann man direkt gute Laune kriegen.


Beim letzten Mal hat Clint über die Wohnungsnot in Berlin geschrieben und warum es sich vielleicht doch irgendwann lohnt, nach Brandenburg auszuwandern.

Titelbild: © banaq/shutterstock.com

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