Warum ich gegen die olympischen Spiele in Berlin bin
von Johannes Kleske
Priests sacrificed oxen and rams to Zeus and Pelops at the ancient Olympics. Their successors sacrifice the freedom to speak and publish to the gods of corporate capitalism and international sport.
– Nick Cohen
Als die Nachricht kam, dass Berlin über eine Bewerbung für die olympischen Spiele nachdenkt, hielt ich das für einen schlechten Scherz. Gerade erst hatte die Bevölkerung mit dem Votum zum Tempelhofer Feld klar gemacht, dass sie mit dem Kurs des Ausverkaufs öffentlichen Raums nicht einverstanden war. In so einem Moment olympische Spiele ins Gespräch zu bringen – so zynisch kann doch keine Regierung sein. Ich habe mich getäuscht.
In diesen Tagen läuft die Kampagne „Wir wollen die Spiele“ für die Bewerbung Berlins an und man merkt direkt, dass die Regierung aus dem Tempelhof-Votum „gelernt“ hat. Gegen Olympia sein ist in ihren „Bürgerbeteiligungsformaten“ nicht vorgesehen. Für den Volksentscheid, zu der die Regierung gezwungen wurde, wurden die Bestimmungen für die Wahlberechtigten so eng wie nur irgend möglich (über 18, deutscher Pass) gesetzt. Allein, wenn man sich das Verhalten der Stadtregierung zum Thema Olympia ansieht, sollte man selbst als zum Thema neutral eingestellte Person misstrauisch werden.
Für mich persönlich ist das Thema Olympia schon seit den Spielen in London 2012 durch. Damals habe ich zum ersten Mal im Detail verfolgt, was die Ausrichtung von olympischen Spielen für den öffentlichen Raum einer Stadt bedeutet. Über Social Media und insbesondere Twitter bekam ich mit, wie gut die Stimmung in der Stadt war, aber auch wie Protest unterdrückt und Rechte eingeschränkt wurden.
Mit dem Erwerb einer Lizenz zur Ausrichtung der Spiele vom IOC tritt eine Stadtregierung gleichzeitig zahlreiche Rechte an das IOC und dessen Sponsoren ab. Öffentlicher Raum und persönliche Freiheitsrechte sind in der austragenden Stadt während der Spiele massiv eingeschränkt. Das war nicht immer so. Aber mit dem zunehmenden Einfluss der Sponsoren auf die Interessen des IOC (und damit dem zeitgleich abnehmenden Einfluss der Sportverbände) sind die Vorgaben über die letzten Jahrzehnte immer drakonischer geworden.
Zwei Artikel aus dem Kontext der Spiele in London sind mir insbesondere in Erinnerung geblieben.
In "Olympics Brand Exclusion Zone" beschreibt Martin Gittins die sogenannten Brand Exclusion Zones. Damit werden ganz offiziell die Zonen um olympische Sportanlagen benannt, in denen die Rechte von Menschen und Unternehmen zu Gunsten des IOC und der Sponsoren eingeschränkt werden
The Brand Exclusion Zone is the newest form of urban demarcation, and can be used not only to affect signage and advertising, but also restrict personal freedom of choice. Within this context, the London 2012 Olympics represents one of the most radical restructuring of the rights of the city in London. The ‚canvas‘ of London will belong exclusively to the Olympic marquee brands.
In diesen Zonen bestimmt das IOC die Regeln. Polizei und Justiz des Landes werden zum exekutiven Organ des Komitees. Wer Kleidung mit dem Logo des Wettbewerbers des Sponsors trägt, muss diese abdecken oder die Zone verlassen. Wer Essen oder Getränke gekauft hat, die nicht von einem der Sponsoren sind, darf diese nicht mit in die Zone bringen usw. Und das sind nur die einfachen Unannehmlichkeiten, die mit einem Abtreten des öffentlichen Raums und der persönlichen Rechte einhergehen.
Nick Cohen zeigt in seinem Artikel „Censorship Olympics", wie das IOC Einfluss auf die öffentliche Kommunikation nimmt. Für London 2012 gab es eine Liste von Begriffen (u.a. „London“, „2012“, „Spiele“), die niemals in Kombination z.B. in der Kommunikation von Unternehmen verwendet werden durften.
The London Organising Committee of the Olympic and Paralympic Games does not stop there. To cover all eventualities, it warns the unwary that they can create an ‘unwarranted association’ without using forbidden words. They threaten anyone who infringes the exclusive deals of Coca-Cola, McDonald’s, Adidas, Dow, Samsung, Visa and the games’ other multi-million-dollar sponsors in however oblique a manner. And not just with the normal damages in the civil courts. The state has granted the police powers under the criminal law to enter ‘land or premises’ and to ‘remove, destroy, conceal or erase any infringing article.
Für Berlin würde das konkret bedeuten, dass es um alle Sportstätten Zonen gibt, in denen kein Essen und keine Getränke verkauft werden dürfen, die nicht von einem der Sponsoren stammen. In diesen Zonen darf niemand mit Nike-Schuhen oder -Shirts rumlaufen. Man wird nur noch mit Mastercard oder Visa (je nachdem wer diesmal Sponsor wird) Geld abheben und bezahlen dürfen.
In der ganzen Stadt darf niemand Wortkombinationen wie „Berlin 2024“ oder „Wir wünschen den Athleten das Beste für die olympischen Spiele“ benutzen, wenn nicht dafür bezahlt wurde. Keine Torten mit Olympiaringen beim Bäcker. Wer jetzt schon im Logo oder Firmenschild eine Fackel benutzt, muss diese für die Zeit der Spiele verhängen.
Wo sich nicht daran gehalten wird, darf die Polizei ohne Verfahren den „Verstoß“ konfiszieren und zerstören.
Für mich ist die Entwicklung der olympischen Spiele ein gutes Beispiel, wie der Kapitalismus Organisation und Unternehmen dazu führt, diktatorische Tendenzen anzunehmen, (wahrscheinlich) ohne dass die Manager und Funktionäre das explizit vorhatten. Das IOC versucht die Interessen seiner Kunden, der Sponsoren, zu schützen und wird dabei immer totalitärer.
Sponsors should be able to garner good publicity from an event, and protect their investment, of course. But a free society should not allow them to occupy every possible avenue of commercial advantage as if they were dictators in a totalitarian state, rather than merchants in a democracy.
Das IOC ist mir relativ egal. Aber ich habe ein großes Problem mit einer Stadtregierung, der die Interessen von internationalen Konzernen und Organisationen, die keinen Cent in der Stadt lassen, wichtiger sind als die Rechte und Möglichkeiten der Bürger und Unternehmen, für die sie verantwortlich ist.
Ich möchte nicht, dass es in meiner Stadt öffentlichen Raum gibt, in dem, wenn auch nur für kurze Zeit, das Recht des IOC gilt und nicht mehr das Grundgesetz. Ich möchte, dass in meiner Stadt der einzige Maßstab für die Rechtmäßigkeit meiner Aussagen das Grundgesetz ist und nicht das IOC.
Die Stadt und ihr öffentlicher Raum ist für die Bürger da. Ich erwarte von meiner Regierung, dass sie genau dafür kämpft. Aber ich habe den Glauben verloren, dass sie das tun wird, weil sie stattdessen lieber Satire abmahnt, die sich kritisch mit der olympischen Geschichte der Stadt auseinander setzt. Deswegen bin ich gegen die Spiele in Berlin.
the marketeers are way ahead of the urbanists in understanding how the city works.
– Martin Gittins
Der Text "Warum ich gegen die olympischen Spiele in Berlin bin" erschien zuerst (in einer kürzeren Fassung) auf Johannes' Blog Tautoko.
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Titelfoto: © Banksy