Lieblingsort auf den zweiten Blick – Alexanderplatz

Mit dem Alexanderplatz verbindet mich eigentlich eine ausgesprochene Hassliebe, denn es gibt kaum etwas, was ich an diesem Ort mag. Zu viele Menschen, zu viel urbaner Ballermann, zu laut, zu dreckig, zu unpersönlich. Es stinkt, es gibt kaum ein Fleckchen, an dem man sich kurz hinsetzen kann und verschnaufen will. Umgeben von großen Straßen, Abgasen, Beton, Kunstpalmen, die Lässigkeit ausstrahlen sollten. Oktoberfest, Weihnachtsmarkt, Ostermarkt, Sommermarkt, Kommerzmarkt.

Aber ich muss hier jeden Tag vorbei. In Ermangelung eines Fahrrads steige ich jeden Tag in die U5 bis Alex und dort in die U2 Richtung Pankow. Der Untergrund am Alex ist noch drei Mal schlimmer als der Platz darüber. Hier potenzieren sich Gerüche, Geräuche und Menschenmassen. Man weiß nicht, wo man zuerst hintreten und hinschauen, ob man sich die Nase oder die Ohren zuhalten soll. Wenn mal wieder gestreikt wird, fährt gefühlt plötzlich jeder Berliner mit der U-Bahn. Aus den Waggons strömen die Menschen wie kleine Ameisen, schnappatmend, schwitzend, schon morgens 8.30 Uhr genervt. Warum fahren sie nicht mit dem Fahrrad? Warum hab ich noch immer kein Fahrrad?

Trotz alldem kann ich den Alex nicht hassen. Nicht wirklich. Ich kann mich nicht jeden Tag über etwas aufregen, dass ich nicht ändern kann. Ich will meine Kraft darauf nicht verschwenden. Ich will nicht morgens schlecht gelaunt auf Arbeit kommen. Und genau deswegen liebe ich den Alex. Er konfrontiert mich mit all dem, was ich nicht leiden kann, und zwingt mich darüber hinweg zu sehen. Es zu umarmen. Er macht mich gelassener. Cold turkey.

Zwischen U5 und U2, dort hängt ein Stück Glück in der Luft.

Wenn ich morgens aus der U5 steige, die Stufen hoch zur Zwischenplattform erklimme, dann nehme ich nicht die Menschen wahr, sondern den Geruch, der morgens zwischen den beiden Treppen hoch zur U2 hängt: Kaffee, aufschäumende Milch, frisch gebackene und beschmierte Brötchen, Zimt. Weil das Untergrundsystem am Alex so viele Aus- und Eingänge hat, ist es dort gut belüftet und der Duft strömt durch die Gänge. Ein Stück weiter auf dem Weg zur S-Bahn riecht es deswegen nach McDonalds-Burgern und Dönern, was mich morgens definitiv nicht glücklich machen würde – aber dort unten zwischen U5 und U2, dort hängt ein Stück Glück in der Luft.

Und dann muss ich mich daran erinnern, wie mir mein Vater erzählte, dass zu DDR-Zeiten der Zugang zur U8 komplett zugemauert war. Als DDR-Bürger wusste man im Prinzip nichts von der Existenz der U8. Alle Stationen im Bezirk Mitte wurden so zu Geister- und Durchfahrtsbahnhöfen. "Dieses Haus stand mal in einem anderen Land". Nach der Wende wurden die Bahnhöfe wiedereröffnet und beförderten erstaunte Ex-DDR-Bürger in den Westteil der Stadt. Und hier wurde auch die U10 geplant, die von Weißensee bis nach Lichterfelde führen sollte, die aber nie in Betrieb genommen wurde. Bis zur Greifswalder Straße ist Ost-Berlin jetzt untertunnelt. Leer.

Am Alex, das vergisst man manchmal ob all des oberiridischen Gebäude- und Menschenwahnsinns, steckt so viel Geschichte. Weltzeituhr, Grenzübergang, Montagsdemonstrationen, Transportation.

Wenn ich abends wieder nach Hause fahre, nehme ich gerade im Frühling und Sommer nicht die U5, sondern steige am Alex aus und lasse mich von den Menschen an die ersehnte Luft tragen. Auf dem Platz, den ich eigentlich nicht mag, schaue ich über meine Schulter auf ein Gebäude, das ich am meisten liebe. Das Heimat ist. Aber die Liebe zum Fernsehturm ist eine andere Geschichte.

Fernsehturm


Beim letzten Mal hat uns Ada von ihrer Liebe zum versteckten Spielplatz am Kotti berichtet.

Fotos: © Charlott Tornow

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