Studium oder: Wie ihr eurem Gehirn beim Wachsen zusehen könnt

Es ist ein offenes Geheimnis: Ich und Uni, das ist ein ganz besonderes Verhältnis. Nicht durchgängig ein gutes, so ehrlich muss man sein, aber keine Sekunde meines Lebens (zumindest in den letzten acht Jahren, seit ich zum ersten Mal eine Uni von innen sah) zweifelte ich daran, dass ich studieren will.

Ich weiß noch genau, wie mich Matze kurz vor meiner Abfahrt nach London zu meinem Masterstudium fragte, warum ich das denn jetzt machen wolle. Warum ich nicht einfach in Berlin bleibe und weiter arbeite, mir einen guten Ruf als Schreiberling aufbaue. Das war ja auch eine berechtigte Frage: Es lief gut, ich schaffte es, als junger Freelancer zu überleben, nicht überragend, aber ziemlich gut für einen Rookie, der gerade mal ein Jahr aus der Uni raus war. Mein Freund wohnt in Berlin, ich hatte einen tollen Freundeskreis, ein gutes Leben und ein gutes, berufliches Netzwerk. Warum also all das hinter mir lassen, um einen Master zu machen, der viele Unternehmen nicht wirklich interessiert, der meine Chancen einen Einstiegsjob zu finden sogar verringert?

Ich habe viele Freunde, auch Kommilitonen aus Bachelor, Master und Erasmus, die zu Ende studiert haben und nicht mit sich weiter wissen. Die übliche Frage: Was soll mir das jetzt alles bringen? Warum muss ich mich jetzt mit so viel Theorie auseinandersetzen? Was bringt mir denn diese Hausarbeit zu "Michael Jacksons Tod als Massenhysterie" für meinen späteren Beruf? Die einfache Antwort: Gar nichts. Und darum geht es auch nicht. Gerade in den Sozial- und Geisteswissenschaften sind die Inhalte in erster Linie nicht relevant für den späteren Beruf – so man denn keine Karriere als Professorin anstrebt.

Standing on the shoulders of giants oder: Was mir das Studium wirklich bringt

Ich könnte kaum rekapitulieren, was in meinem Bachelor wirklich Thema war. Genauso in meinem Master: Ich habe kaum praktische Fächer gewählt, sondern mich mit Kulturwirtschaft, Gentrifizierung, Feminismus und vor allem Wirtschaftskritik beschäftigt. Alles nichts, was ich konkret in meiner Arbeitspraxis verwenden kann. Was ich aber tatsächlich aus den drei Jahren und dem Auslandsstudium mitgenommen habe, ist eine sehr spezifische Art zu denken und Strategien zu entwickeln.

Ich habe immer neben dem Studium gearbeitet, fast immer in meiner Branche, und kann sagen: Das Praktische kann man gerade in einem theoretischen Studium nicht lernen, denn im Zweifelsfall ist Strategie A schon veraltet, wenn man aus der Uni rollt, oder Technik B ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr aktuell, wenn der Professor eine Vorlesung darüber hält. Nein, im Studium geht es darum, zu lernen, wie man eigenständig arbeitet und Probleme löst. Mit langem Atem Projekte betreut. Teamarbeit lernt. Wie man sich mit sehr spezifischen Themen auseinandersetzt und Informationen zusammenträgt, organisiert und weiterdenkt. Um es mit Oasis zu sagen: Standing on the shoulders of giants!

Der Wert von Blut, Schweiß und Tränen

Mein Studium war gerade deshalb ein voller Erfolg, weil es mir mir jetzt hilft, die Welt und vor allem den kleinen Teil, in dem sich meine Arbeitspraxis abspielt, besser zu verstehen. Ich kann Dinge in Kontext setzen, weiter und kreativer denken. Ich fühle mich viel mehr dazu befähigt, nicht bloß eine vorgestanzte PR-Strategie umzusetzen, sondern selbst neue, passendere Ansätze zu entwickeln. Und davon abgesehen: Wann im Leben hat man die Möglichkeit, sich mal ganz intensiv mit feministischer Stadtentwicklungstheorie auseinanderzusetzen? Eben!

Man kann wahnsinnig viel am System Universität kritisieren, und auch ich habe darunter gelitten: Gerade in Deutschland stehen selbstherrliche Professoren, unfaire Auswahlsysteme, überfüllte Vorlesungssäle und allen voran mangelnde Betreuung an der Tagesordnung. Es nervt, es bremst und es kann einem den Spaß am Studieren völlig verderben. Doch das sollte euch nicht davon abhalten, es mal mit der Uni zu versuchen. Nicht, weil es angeblich so einfach ist, und weil ihr damit "das Erwachsenwerden hinausschieben könnt" (Newsflash: Klappt nicht!), sondern weil es der beste Weg ist, zu einem mündigen, selbstverantwortlichen und kreativen Menschen zu werden. Weil es den Geist reizt und ihr eurem Gehirn beim Wachsen zuschauen könnt. Versprochen. Denn genau das sind all die Jahre Blut, Schweiß und Tränen wert!

Zurück zur Startseite