"Würde er meinen Nachnamen annehmen?" – Wie ich mich beim Dating im Kopfkino verliere

© Hella Wittenberg

In seiner Kolumne “Romeo und Julius” erzählt Autor Julius Geschichten von seiner Suche nach der Liebe in Berlin. Von schrägen Dates, gebrochenen und geheilten Herzen und der schimmernden Hoffnung, dass es den einen Romeo da draußen geben muss. Das ist Episode 4.

„Darauf habe ich den ganzen Tag gewartet“, sagt er. Seine Hände fahren über meine Schulterblätter, er schaut in meine Augen, schließt seine, ich schließe meine und wir küssen uns. Mein Herz schlägt schneller und pulsiert so stark, dass mein Körper vom Brustkorb bis zur Kehle vibriert und ich bekomme während des Kusses kurz keine Luft mehr. Achtsam nehme ich sein Gesicht, ziehe seine Lippen von meinen und atme. „Das ist schön“, sage ich und meine es. Das Gefühl, das ich habe, wenn er mich küsst, wenn ich in seine Husky-Augen schaue und er mich nach meinem Tag fragt, ist schön. Es ist schön, auf diese blauäugige Art und Weise, wie sie das sechzehnjährige Pärchen in meiner Gymnasialklasse gefühlt haben muss, als sie sich nach dem getrennten Sportunterricht im Gang nach zwei Stunden endlich wieder treffen und küssen konnten, während ich wahrscheinlich gerade versuchte, die Scham meiner Unsportlichkeit abzuwaschen.

„Halt, stop!“

Nicht so laut wie „Frauentausch“-Kandidat Andreas, aber dennoch forcierend rufe ich in meine Gedankengänge. „Mach mal langsam, Julius“, hallt es nach. Diesen Satz höre ich oft von Freunden und vielleicht verinnerliche ich ihn gerade. Wobei – das letzte Mal, dass er gefallen ist, war erst gestern bei einem Telefonat mit einer meiner besten Freundinnen, Bonnie. „Ich weiß, es ist gerade richtig schön mit ihm, das freut mich“, sagte sie, nachdem ich ihr über eine halbe Stunde im Detail erklärte, warum mein neuer Mann so wunderbar ist. “Aber pass auf und spring nicht direkt in den Hochzeitsmodus. In deine Disneywelt. Zu Bridget Jones und Mark Darcy. Ihr lernt euch erstmal richtig kennen, du schaust, was dir gut tut, und du passt auf, dass du die roten Lämpchen, die aufleuchten, immer noch erkennen kannst.“ „Kay…“, entgegnete ich ihr trotzig, obwohl ich weiß, dass sie nur auf mich aufpassen will und dass sie Recht hat.

Ich verrenne mich gerne in Männer und in unsere Beziehungen und springe, bevor ein Sicherheitsnetz unter uns gespannt ist. Eigentlich finde ich das eine gute Eigenschaft, dass ich in der Liebe nicht abgestumpft bin. Dass ich mich in dieser Stadt, in der oft alles unverbindlich ist, auf etwas einlassen kann und will, und dass ich meine Gedanken fliegen lasse. Dennoch sollte ich wenigstens den Zeitpunkt abwarten, an dem man sicher sein kann, dass der Sprung Hand in Hand und zusammen ins Unbekannte geht.

Eigentlich finde ich das eine gute Eigenschaft, dass ich in der Liebe nicht abgestumpft bin.

Würde er meinen Nachnamen annehmen oder ich seinen?

Als ich mit dem neuen Wunderbaren nach ganz wunderbaren Küssen später an der Rewe-Kasse stehe, helfen der Vorsatz und Bonnies Stimme trotzdem wenig. „Ich übernehme das“, sagt er mit den bärtigen Lippen, schiebt seine EC-Karte ins Gerät und während ich die Einkäufe für unser gemeinsames Abendessen in meinen Rucksack packe, betrachte ich seine Hand, wie sie sich über die Quittung zieht. Er unterschreibt schwungvoll und mit vollem Namen. „Wie meine Unterschrift wohl mit seinem Nachnamen aussehen würde?“, fährt es in meinen Träumerkopf. „Mh“ pausiere ich kurz irritiert. „Irgendwie klingt unsere Namenskombination leider gar nicht so schwungvoll.“ Vielleicht sollte er lieber meinen Nachnamen annehmen. Oder besser, wir könnten einen Doppelnamen haben. Nein, wir nehmen lieber meinen Nachnahmen, der klingt auch mit seinem Vornamen gut. Oder wir nehmen doch seinen. Oder? Ja, definitiv nehmen wir seinen. Deal.

Urlaub irgendwo, wo er surfen kann

Als ich am Montag danach im Büro sitze, wird mein Kopf nicht klarer. Wir sehen uns erst am kommenden Wochenende wieder, das lässt viel Platz für imaginäre Höhenflüge und Zukunftsszenarien. „Wie wäre es eigentlich, einen gemeinsamen Kurzurlaub zu buchen? Nach drei Wochen Dating wäre das doch ideal“, begibt sich mein Kopf auf Reisen. Sardinien könnte schön sein, irgendwo, wo er surfen kann und ich ihm faul dabei zusehe, wie er Daniel-Craig-mäßig aus dem Wasser steigt und seinen Kopf ordentlich trocken schüttelt. Oder wir unternehmen etwas Einfacheres, was Bezahlbares für den Anfang. Wir könnten einen Ausflug zum Saurierpark bei Dresden machen, da wollte ich schon lange mal hin. Wobei nee, das ist zu langweilig. Später vielleicht, wenn wir Senioren sind. Dann doch lieber ein Wochenende in einem abgelegenen Haus, nur wir zwei, mit einem Kamin natürlich, den ganzen Tag in Boxershorts und Lionel Richie auf Repeat. Ja, zwei Tage in einer Hütte, das klingt traumhaft. Ob ich ihm dafür einfach ein Holzfällerhemd bestellen sollte, dass ich als Überraschung mit der Buchungsbestätigung in ein Paket packe?

Wie wäre es eigentlich, einen gemeinsamen Kurzurlaub zu buchen? Nach drei Wochen Dating wäre das doch ideal.

„Langsam!“ unterbreche ich mich zwanghaft und muss daran denken, was mir eine Bekannte mal erzählt hat. Nach vier Wochen Dating bestellte sie online neue Kleider, die etwas konservativer waren als ihre eigentliche Garderobe, weil sie sich vorstellte, dass sie damit einen guten Eindruck bei den Schwiegereltern hinterlassen könnte, deren Namen sie nicht mal kannte. Damals habe ich müde gelächelt und mit ihr später zusammen geweint, als es vorbei war. Jetzt bin ich sie. Langsam also. Lieber langsam. „Weißt du schon, was du heute isst?“, unterbricht mich meine Kollegin im Herunterfahren der Planung. „Wollen wir uns einen Salat holen?“ „Ja“, antworte ich schnell, bevor ich Nein sagen kann. Im Schatten des Kaminfeuers soll meine Silhouette schließlich gut aussehen.

"Nein!"

Das Wochenende darauf starren mich wieder zwei Husky-Augen an und seine Lippen liegen auf meinen, während wir Bridget Jones schauen. Wenn ich mir schon nicht vorstellen darf, wie wir gemeinsam vor dem Traualtar oder im Standesamt stehen, möchte ich wenigstens Bridget und Mark dabei zusehen, wie sie Ja sagen. „Wie schön. Ach. Willst du irgendwann heiraten?“, rutscht es mir plötzlich raus. „Ne, nicht wirklich“, sagt er. „Nein“, wiederholt er. „Nein“, gefühlt in Slow-Motion. Meine Gedanken rennen wieder, aber diesmal in eine andere Richtung, die weniger Disney ist. Sie rennen zu einem Streit. Zu einem „Warum willst du dich nicht auf mich einlassen?“ auf meiner Seite. Zur Frage nach einer offenen Beziehung, die von ihm ausgeht. Dazu, dass er „Du machst dir zu viele Gedanken“ sagt, dazu, dass er sagt „Du bist so kompliziert, Julius, das macht mich fertig“ und zum Vorschlag „ich solle cooler sein“. Cool sein – das ist sowieso eine Qualität, die Männer mögen, aber eine, die ich wirklich nicht besitze. Das wird der Grund sein, warum wir uns trennen – meine nicht vorhandene Coolness, ich bin mir ganz sicher.

Während mein Kopfkino am Ende unserer Beziehung angekommen ist, beugt sich der Neue entspannt über mich und küsst meinen Hals. „Und – was machen wir jetzt?“ schaut er nach oben. „Warum willst du nicht heiraten?“, kribbelt mir auf der Zunge. „Kannst du dir das gar nicht vorstellen oder nur gerade nicht?“ auch.

„Wie wär’s mit Asiatisch?“, gebe ich schließlich fragend Antwort.
„Das ist eine sehr gute Idee“, sagt er und grinst.
„Okay“, sage ich ruhig und verliere den Traum. „Cool.“

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