MODEVERGNÜGEN #52 - Ein Teevergnügen

In Zeiten des hastigen „Coffee to Go“ scheint es absurd, einem schnöden Getränk übermäßig viel wertvolle Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Da aber auch das Modevergnügen gern mal über den Tassenrand hinaus schaut, hat es gesehen, dass nicht nur Fashionistas wie die Gaga des Öfteren mit Entschlackungstee in der Hand oder Aloe Vera beschichteten Jeans unterm Po die Straßen entlang wackeln. Dabei werden ihre Rufe nach Entschleunigung, Well-Eating, Detox, Matchapulver, Ksumi und Co. immer lauter. Also folgte ich dem super healthy Trend. In meiner ersten Etappe suchte ich letzte Woche eine Meisterin des Teefachs auf, um mir die Faszination Teekultur in einer traditionellen Chinesischen Zeremonie mitten in Berlins Gärten der Welt ein wenig näher bringen zu lassen und vielleicht ein bisschen die Langsamkeit zu entdecken.

Es ist so kalt, dass wir unseren Atem sehen können. Ich stehe in der Küche neben 40 verschiedenen Teesorten und der winzig kleinen Frau Yu, die ihr Reich extra für mich an diesem frostigen Wintertag öffnet. Eigentlich ist zu dieser Jahreszeit geschlossen, weil es hier in der roten Teepagode des Chinesischen Gartens keine Heizung gibt. Hier, wo sich im Sommer Touristen stapeln, herrscht jetzt weite Stille. Den umgebenen Marzahner Plattenjungle habe ich beim Betreten des traditionell eingerichteten Raumes für die Zeremonie abgeschüttelt. Es fühlt sich nicht wie Großstadt an. Mit dem zugefrorenen See vor den beschlagenen, holzverzierten Fenstern könnten wir uns auch im eisigen China befinden.

Die freundliche Frau Yu begleitet mich zu einer langen Tafel, dort setzt sie sich an das Kopfende und stellt eine schwere dampfende Kanne mit Wasser neben das Tablett vor sich. Ich zähle 25 Requisiten, darunter mikroskopisch kleine Porzellantassen in verschiedenenen Formen, kleine Kännchen und daneben zahlreiches Holzbesteck – all das für eine Tasse Tee? Sie empfiehlt mir, auf Fotos und Fragen während der Zeremonie zu verzichten. Ich höre verschämt auf zu instagrammen und lasse mich darauf ein. Mit sehr langsamen, fast tänzelnden Handbewegungen streicht, kippt, steckt sie die Gegenstände mit den Teeblättern zusammen, dabei schweigt sie und lächelt wie ein zufriedener Buddha. Ihre elfenhaften Handlungen wirken meditativ auf mich. Als nach Minuten meine Tasse Tee zum Greifen nah scheint, kippt sie alles wieder weg auf das Tablett über ein Kännchen „das ist der Teewaschaufguss,“ erklärt sie mir später. Verwirrt folge ich ihr weiter bis Yani Yu schließlich mit ihren zarten Fingern zwei Gefäße vor mich stellt – ein kleines mit durchsichtigem und ein ganz kleines mit dem grünlich gefärbten Wasser. „Das Längliche ist zum Riechen, an dem Anderen nippst du – schließe jetzt die Augen,“ befiehlt sie. Ich höre und sie beschreibt einen Hang voller Blumen und Erde, vor dem wir nun imaginär stehen und es fühlt sich tatsächlich an wie Urlaub für die Nase. Ich erinnere mich an kein intensiveres Geruchserlebnis als dieses hier. Der Dampf wird kälter, der Duft verändert sich, wird leichter. Der Tee schmeckt moosig, aber frisch und nach dem Aufguss des Geruchs folgen die Aufgüsse des Geschmacks und der Freundschaft, die alle mit exakt gleich fließenden Bewegungen vollführt werden. Als es nach einer viertel Stunde vorbei ist, fühle ich mich gut, aufgeräumt und entspannt.

Ich hätte ihr nur zu gern ihre perfekte Tasse Tee entlockt, aber darauf lässt sich die weise gebürtige Chinesin nicht ein. „Es kommt auf die Stimmung an, die Umgebung,“ sagt sie „es ist jedes Mal anders.“ „Manchmal ist alles perfekt und manchmal gelingt es nicht.“ Gefiltertes Wasser, Zeit, Gelassenheit und hochwertiger, junger, gerollter Blatt-Tee (immer aus dem Kühlschrank) sind die Grundzutaten – alles andere überlässt sie ganz den verschiedenen Sorten und dem Genießer und verrät, dass es für jeden einen sogenannten Begegnungsmoment mit dem Tee gibt. Die strengen (Tee-)Regeln überlässt sie lieber der Japanischen Kultur.


Ich habe also gelernt, dass man als Neuling/Trendjägerin nicht einfach einreiten kann, fragt, aufschreibt, zählt, misst und innerhalb einer Stunde versteht, worum es bei einem so immens großen Feld wie dem des Tees und seiner Jahrtausende alten Kultur geht. Aber man sollte sich drauf einlassen können - damit ist der erste Schritt in Richtung bewusst Leben gemacht. Meine erste Station auf meinem Wellnesstrip war also eine sehr lehrreicher.

Wer dennoch nicht abwarten will, bis die Teepagode im Frühjahr wieder ihre Pforten öffnet und sich lieber sofort aufmachen möchte, um dem Tee zu begegnen, der wird in Berlin in diesen zahlreichen Teehäusern fündig.

Fotos by Lina Zangers

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