MODEVERGNÜGEN #140 – Stil- und Lebensberatung mit Günther Anton Krabbenhöft

Mit einem Cappuccino in der Hand sitze ich am Donnerstagmorgen vor einer schönen Kaffeestube am Heinrichplatz, die „Chocolaterie Sünde“ heißt, und warte auf Günther Anton Krabbenhöft. Auf dem Schaufenster des Ladens steht „Schokolade ist Gottes Antwort auf Broccoli“ in schwungvollen Buchstaben geschrieben. Kein Wunder, dass sich mein heutiger Gesprächspartner hier wohlfühlt, das schöne und genussvolle Leben steht ihm. Als der 70-Jährige für unser Interview um die Ecke biegt, fällt er sofort ins Auge. Dunkelblaue Weste, bordeauxroter Hut und eine schicke Fliege in lichtem Blau. So wie heute hat man Anton (wie er sich mittlerweile bei Fremden vorstellt, weil das im Gegensatz zu Günther auch international funktioniert) durch die sozialen Netzwerke kennengelernt. Ein Bild, das ihn mit Kopfhörern in den Ohren und in ähnlichem Outfit am Kottbusser Tor zeigt, jagte vor einigen Monaten durch den Kaninchenbau Internet und machte den Wahl-Kreuzberger über Nacht berühmt.

Das Netz bezeichnete ihn schubladengerecht schnell als „Berlins ältesten Hipster“ oder „Techno-Opa“. Dabei werden die beiden Bezeichnungen dem Mann, der mir gegenüber sitzt, überhaupt nicht gerecht. Sein modischer Stil erinnert nicht an schwarzgekleidete Skinny-Jeans-Träger, sondern an eine mutigere Version vom Männerbild der 20er und 50er Jahre, verfeinert mit einer Prise „Heute“. In Berlin lebt Anton seit 47 Jahren, 29 Jahre davon im Gräfekiez in Kreuzberg. Und obwohl er am Sonntag tagsüber gerne Zuflucht im Berghain sucht, beeindruckt mich eher die unaufdringliche Autorität des Rentners als sein Faible für laute Bässe. Anton ist mehr als ein Social-Media-Phänomen, er ist eine Leuchtturmfigur gelebter Individualität mit Charisma und charmantem Lebenswissen, das man gerne zur Verfügung hätte, wenn man das nächste Mal im Nebel des Großstadtlebens verloren geht.


Vor der Kamera stahlt Gentleman Anton besonders hell.

Anton, wann hast du eigentlich gemerkt, dass du jetzt richtig bekannt bist?
Anfangs habe ich das gar nicht so mitbekommen. Ich wusste natürlich von dem Bild, das von mir am Kottbusser Tor geschossen wurde. Aber als 14 Tage später dieser Hype losging – das haben mir Freunde zugesteckt. Irgendwie tauchte das Bild dann zum Beispiel in Polen und England auf und eine Bekannte, die zum Zeitpunkt in London war, hat die Diskussion dort gesehen und mir geschrieben: „Günther, weißt du eigentlich was hier los ist?“ Da gingen auch schon die Klicks hoch. Und ich weiß nicht, wann oder warum es geschah, weil mein Alter ja nie Thema war, aber plötzlich war ich im Internet 104 Jahre alt. Das hat die Leute noch neugieriger gemacht.

Wie fühlt man sich denn, wenn man im Internet statt 70 auf einmal 104 Jahre alt ist.
Darüber habe ich von Anfang an nur geschmunzelt. Ich dachte mir: „Wenn du 104 bist und immer noch so gut drauf, das ist ja wirkliche eine tolle Leistung.“ Das fand ich eher putzig.


Da muss man sich nicht absprechen: Anton und ich tragen beide die ewig-angesagte Herbstfarbe Bordeauxrot. 

Jetzt bist du aufgrund deines schicken und frischen Stils weltweit bekannt. Hast du denn ein modisches Markenzeichen, also Dinge die du immer gerne anziehst?
Ein Hut und eine Fliege gehören für mich schon dazu. In einem solchen Outfit bist du am Tag für alles gewappnet. Ich fahre so auch morgens zum Fitnessstudio. Man weiß ja nie, was noch passiert. Vielleicht gehe ich danach noch etwas trinken oder essen. Und Umziehen muss man sich beim Sport ja so oder so. Außerdem achte ich darauf, dass ich ein bisschen Farbe ins Stadtbild bringe und selten das übliche Schwarz-Weiß trage. Ein bisschen Farbe kann das Stadtbild immer vertragen.

Wir sind ja heute mit dem Bordeauxrot in deinem Hut und meinem Schal farblich abgestimmt und bringen Farbe ins Stadtbild.
(lacht) Und hier haben wir noch das Berghain-Schwarz. (Anton zeigt auf Mit-Vergnügen-Kollegin Milena, die sich um unsere Fotos kümmert) Ich kenne natürlich auch die „Phase Schwarz“, aber ich habe trotzdem immer versucht, die Farbe anders zu interpretieren. Ich habe mir zum Beispiel konsequent Stücke im Second-Hand-Laden gesucht oder alte Skihosen aus den 20er Jahren kombiniert. Die Hauptsache ist, dass man aus Mode etwas Eigenes macht und es nicht zu exakt aussieht. Dass der Träger mit dem Stil bricht und etwas verändert. Dann ist es etwas Besonderes.

Leider haben viele Leute Angst davor, gut auszusehen.

Günther Anton Krabbenhöft

Welche Kleidungsstücke sollte denn jeder Mann im Kleiderschrank haben?
Es gibt eine Grundausstattung, die ich jedem nur empfehlen kann. Ein anständiges Sakko gehört dazu. Aber nicht ein Sakko, damit es ein Sakko ist, sondern ein scharf und schmal geschnittenes, kurzes Sakko. Darin sieht jeder Kerl und junge Bengel, selbst in Kombination mit einer zerfetzten Jeans und ausgelatschten Turnschuhen, einfach klasse aus! Leider haben das viele Leute noch nicht begriffen und haben fast schon Angst davor, gut auszusehen. Für den Sommer sollte jeder Mann außerdem ein weißes oder hellblaues Hemd haben. Das kann er dann zu seiner Lieblingsjeans tragen und ist gut angezogen. Bei Schuhen sind es einerseits natürlich Sneaker. Trotzdem sollte jeder Mann auch mindestens 2, 3 geile Lederschuhe-Paare haben, die wirklich etwas hermachen. Chelsea-Boots aus den 60er Jahren beispielsweise. Die haben auch schon die Beatles gerne getragen. Oder Budapester. Man sollte sich einfach mal trauen, in ein richtig schönes Teil zu investieren. Mit solchen Details ist man schon auf dem richtigen Weg.

Karl Lagerfeld hat ja mal gesagt, dass Jogginghosenträger die Kontrolle über ihr Leben verloren haben. Welches Kleidungsstück geht für dich gar nicht?
Ich finde eine Jogginghose kann man zum Sport oder im Garten beispielsweise schon tragen. Oder wenn man mit der Freundin morgens noch schnell ins Auto steigt. Aber eben nicht in der Stadt. Ich finde, Menschen müssen ein Gefühl dafür entwickeln, wo Kleidungsstücke passend sind und wo nicht. Zusätzlich ist es natürlich sehr typabhängig. Es gibt durchaus Menschen, die eine gewisse Attitüde und Körpersprache haben. Aber das muss man tragen können. Das stört mich zum Beispiel beim Thema „kurze Hosen“. Wenn ich eine schlabbrige Jersey-Hose und ein Muscle-Shirt dazu trage und ich das einfach nicht gesamt rüberbringe, dann tue ich mir keinen Gefallen damit.

Ich finde ja Flipflops haben in der Großstadt nichts zu suchen.
Das stimmt. Wenn mir Flipflopträger über den Weg laufen, sage ich leicht ironisch zu ihnen: „Wenn sie den Strand suchen, sind das mindestens noch 300 Kilometer.“ Aber natürlich ist das immer nur meine persönliche Einstellung zur Mode. Am Ende entscheidet jeder nach seiner eigenen Fasson, was er tragen möchte und was nicht.

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Must Haves im Kleiderschrank: Hut, Fliege, schmal geschnittenes Sakko, weißes oder hellblaues Hemd für den Sommer, Chelsea-Boots oder Budapester

Wo gehst du eigentlich Shoppen?
Ich suche nicht wirklich. Ich habe immer meine Vorstellungen und denke „Ach, das habe ich gesehen und das könnte passen“ und dann versuche ich, irgendwie auf den Streifzügen eben das zu finden. Das fällt mir eigentlich alles entgegen. Wirklich Shoppen gehe ich nicht. Aber ich habe immer Vorstellungen. Und manchmal ist das antizyklisch und dann gibt es das nicht in den Läden. Jetzt in den letzten Jahren kam mir sehr entgegen, dass es viel Blau gibt und Blau lieb’ ich. Und auch Weinrot, sprich Bordeaux, lieb’ ich auch. Und Melonen und Hüte in allen Farben.

Und wo bekomme ich so einen schönen Hut her?
Es gibt einen wunderbaren Hutladen, wo ich immer hingehe, in der Wiener Straße. Der ist vollgestopft mit schönen Sachen. Es gibt mehrere Hutläden, die ähnlich sind, aber das ist mein Stammladen. (Anton meint die Panama Hutgalerie in der Wiener Straße 60, Kreuzberg.)

Da muss ich mal vorbeischauen, obwohl ich ja kein Hutmensch bin.
Das sagen alle, aber das stimmt ja gar nicht. Es gibt so viele Hüte. Das steht und fällt mit dem richtigen Hut. Du hast ein langes, etwas schmaleres Gesicht. Wenn du jetzt einen Hut nimmst, der das noch erhöht, dann hast du den falschen. Ich trage immer, wie heute, den Pork Pie. Der hat eine schmale Krempe und ist leicht gebogen. Das ist für mich der richtige Hut.


Wir machen das jetzt so: Eine Hand steckt in der Hosentasche, die andere sagt Peace!

Mal zu einem anderen Thema. Ich bin jetzt 26 Jahre alt und das Erwachsenwerden fällt mir manchmal schwer. Welche Information, die du selbst gerne in deinen Zwanzigern schon gehabt hättest, würdest du mir als Rat mitgeben.
Ich finde, man sollte schneller begreifen, dass jede Situation, in der man sich befindet, immer eine Momentaufnahme und kein Dauerzustand ist. Wenn man jung ist, sollte man sich eben in Erinnerung rufen, dass diese Zeit und die Veränderungen, die man in ihr durchlebt, begrenzt sind. Wir sind als Mensch das ganze Leben in Bewegung und laufen. Wenn man sich das häufiger ins Gedächtnis ruft, bekommt man eine gewisse Gelassenheit und wir sollten alle gelassener werden. Außerdem ist es zwar einerseits sehr wichtig, dass man einen Weg für sich gefunden hat, dem man gerne und begeistert folgt. Aber man muss sich durchaus gestatten, nach links und rechts zu gucken. Vielleicht verlässt man den Weg auch mal, geht einen Nebenweg weiter und entdeckt, dass der Nebenweg auch der Hauptweg werden könnte. Durch ein neues Umschauen entdeckt man dann Dinge, die man normalerweise nie entdeckt hätte. Daraus können die schönsten Geschichten und schönsten Leben entstehen.

Also Herzentscheidungen über Kopfentscheidungen?
Ja. Ich glaube, wenn man sich mit sich selbst beschäftigt und sich gut kennt, weiß man einfach, ob das passt oder nicht. Man kann das nicht erklären, aber ich habe im Nachhinein immer gemerkt, dass die Herz- und Bauchentscheidungen die richtig waren. Wobei man auch sagen muss, dass es eigentlich keine richtigen oder falschen Entscheidungen gibt. Denn selbst durch falsche Entscheidungen entstehen neue Situationen, die dann als Motor neu antreiben. Es ist nur eine andere Entscheidung und ein anderer Weg aber kein falscher.

Scheiß auf den Prinzen, ich nehm das Pferd!

Günther Anton Krabbenhöft

Ist das auch übertragbar auf die Liebe?
Bei der Liebe müssen die Leute auch mal realistisch werden. Alles wandelt sich in unserer Zeit, aber die Liebe hat immer noch dieses Bild, wie es vor hundert Jahren war. Vielleicht mit veränderten Nuancen, aber ansonsten das selbe Bild. Man wartet darauf, dass es puff macht, der Richtige kommt und es dann für das Leben hält. Das sollte mal entzaubert werden. Was ist denn dramatisch daran, wenn man mit einem Menschen fünf oder zehn wunderschöne Jahre hat und dann merkt: „Das ist es nicht“? Das ist kein Drama. Die Liebe wird so belastet durch diesen Ewigkeitsanspruch, dass man sofort in eine Sinnkrise fällt, wenn eine Beziehung zu Ende geht. Und eigentlich ist man ja zusammengekommen, weil man sich im Moment anziehend fand oder Gefühle hatte und alles danach ist Veränderung. Das Ende ist weder Scheitern noch Katastrophe.

Wir folgen einfach immer noch gerne den Märchenvorstellungen.
Na klar. Aber heute könnte man sagen: „Scheiß auf den Prinzen, ich nehm das Pferd!“ Man sollte nicht die rosarote Brille aufsetzen und 10cm über dem Boden schwebend träumen, sondern lieber auf dem Boden stehend träumen.

Das gefällt mir. Was hast du eigentlich vorher beruflich gemacht?
Ich war Koch. Also ein ganz einfacher, normaler Beruf. Ein bisschen Kreativität ist da auch drin, aber das Andere – Kunst, Theater – steckte immer viel mehr in mir und hat mich getrieben. Zum Schluss habe ich in der Komischen Oper gekocht. Für die Tänzer, Mitarbeiter und Stars.

Und wo tanzt du am liebsten in Berlin?
Es gibt verschiedene Clubs, die ich gerne besuche. Das Sisyphos und der Club der Visionäre gehören dazu. Und den kleinen Farbfernsehr mag ich auch.


Ein Selfie zum Schluss. Ehrensache.

Danke für die Stil- und Lebensberatung, Anton!


Im letzten Modevergnügen hat Julius 11 tolle Modeläden für Männer vorgestellt.

Bilder: © Milena Zwerenz

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