Warum es gar nicht so schlimm ist, allein auf ein Festival zu fahren

Obi © Kerstin Musl

Ich bin gerne alleine. Das ist ein Satz, den viele meiner Freunde nie sagen würden oder nicht wirklich nachvollziehen können. Doch für mich bedeutet alleine sein, frei zu sein von jedem gesellschaftlichen und freundschaftlichen Zwang. Habe ich Hunger, esse ich etwas, ohne vorher diskutieren zu müssen wo, wann und was. Auch stellt sich bei mir nie das Gefühl ein, dass ich von der Seite schief angeschaut werde, bloß weil ich alleine bin. Ich gehe gern allein feiern, ich reise gern allein. Ich bin mir selbst meistens genug. Nur auf ein Festival bin ich bisher noch nicht allein gefahren. Nicht jeder möchte eben auf ein Festival fahren, dass nicht in Deutschland liegt. Also mache ich mich allein auf den etwas weiteren Weg nach Barcelona zum Primavera Festival.

© Kerstin Musl

Ankunft auf dem Primavera Sound Festival

Die Tage vor dem Festival sind etwas komisch. Die Vorfreude ist verhaltener und weniger ausgeprägt, da ich sie mit niemanden teilen kann. Aber sobald der Startschuss erstmal gefallen ist und ich mittendrin in meinem Abenteuer stecke, vergesse ich ganz schnell die fehlende Vorfreude. Das Festival liegt direkt am Meer, die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel, überall sind fröhliche Menschen und das Line-up kann sich sehen lassen. Mein Herz lacht und tanzt. Ich nutze den ersten Tag, um anzukommen und das Gelände auszuchecken. Da ich einen Presseausweis besitze, hab ich natürlich ein paar Benefits mehr als herkömmliche Besucher und darf mit meiner Kamera auf dem Gelände und im Fotograben Fotos machen. Das hilft mir auch in den kommenden Tagen sehr, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen.

Jeanette © Kerstin Musl
Joel © Kerstin Musl

Mission: Freunde finden

Da ich ein sehr introvertierter Mensch bin und Menschen meistens mich kennenlernen und nicht umgekehrt, habe ich mir auf dem Festival die Aufgabe gestellt, fremde Festivalbesucher anzureden, um sie kennenzulernen. Klingt in der Theorie gar nicht mal so schwer, aber im Feldtest kostet es mich wahnsinnig viel Mut, Kraft und Überwindung. Dazu kommt noch die fremde Sprache, durch die ich verhaltener bin. Das verunsichert auch die spanischen Mädels, die mich auf Spanisch nach einem Feuerzeug fragen. Ich bin zu langsam, um mit meinen Basic-Spanisch zu trumpfen und ziehe die sichere englische Nummer durch, um zumindest irgendwas zu sagen. Doch das verschreckt die Mädels so sehr, sodass sie verunsichert den Kopf senken und weiterziehen.

Neue Freunde oder doch lieber alleine am Festival?

Nach anfänglichen Startschwierigkeiten klappt es dann aber doch ganz gut mit neuen Bekanntschaften. Zu Beginn nutze ich noch meine Kamera als Vorwand, um mit Festivalbesuchern ins Gespräch zu kommen. So fotografiere ich die "Reisegruppe Augsburg", die eine Art Freunde- und Familienreunion auf dem Festival zelebrieren. Mama und Schwester besuchen den Sohn beziehungsweise Bruder Sebastian, der geschäftlich gerade in Barcelona zu tun hat und mit zwei Freunden aus der Heimat das Wochenende auf dem Festival feiert. Oder Jeanette und ihr Freund, die ich beim Fotografieren fotografiere und die jedes Jahr das Primavera Sound besuchen.

Irgendwann bin ich so im Kennenlernflow, dass ich zu einer tanzenden Gruppe von Jungs gehe und mir den "Floss Dance" zeigen lassen. Mein "Tanzlehrer" ist Obi, gebürtiger Pakistaner, der mittlerweile in Dubai wohnt und mit seinen drei Freunden, die in Los Angeles und New York wohnhaft sind, jedes Jahr eine gemeinsame Reise antritt. Letztes Jahr trafen sie sich in Schottland, das Jahr davor in Kalifornien, dieses Jahr in Barcelona.

Reisegruppe Augsburg © Kerstin Musl
Obi © Kerstin Musl
Obi © Kerstin Musl

Auch während der Konzerte komme ich immer wieder mit Besuchern ins Gespräch, wie mit dem netten, älteren Herrn aus Amerika, den ich beim Auftritt der Band Haim treffe. Wir zählen unsere Top-3-Bands des Festivals auf und so schnell, wie er neben mir stand, ist er auch schon wieder verschwunden. Ebenso Anna aus England, die ich liebevoll Wirbelwind nenne, da sie sich einfach und selbstverständlich beim Konzert von "Beach House" neben mich setzt und sofort losplaudert, als würde sie mich schon ewig kennen. Auch sie verschwindet urplötzlich, ohne mir ihren Kontakt zu geben. Dann ist da noch Joel aus Barcelona, der ein Foto von mir und Julia macht, eine Freundin aus der Heimat, die ich spontan treffe. Er war so verloren und betrunken, aber gleichzeitig auch so sympathisch, dass wir so ein lustiges Gespräch haben, an das ich mich noch am nächsten Tag erinnern werde.

Neben all diesen flüchtigen neuen Bekanntschaften habe ich aber auch das Glück, einen Langzeitfestivalfreund zu finden. Fabio treffe ich am ersten Festival-Tag im Fotograben bei The War On Drugs. Während ich die Band fotografierte, zeichnete er, was mich neugierig macht. Er erzählt mir, dass es ein Künstlerkollektiv von circa 20 Zeichnern auf dem Festival gibt, die die Auftritte von Bands mit Stift und Papier verewigen. Ziemlich coole Sache, muss ich sagen. Ich treffe ihn die weiteren Tage bei verschiedenen Konzerten und tausche mit ihm Fotos und Zeichnungen aus. Am Ende des dritten und letzten Tages des Festivals bin ich traurig, ihn am nächsten Tag nicht wiederzusehen.

Fabio © Kerstin Musl
Fabio © Kerstin Musl

Springt über euren Schatten

Wenn man es also mal geschafft hat, über seinen Schatten zu springen, wird es von mal zu mal leichter, fremde Leute anzusprechen. Dass das Primavera Festival mitten in der Stadt ist und hier niemand campt, sondern jede Nacht zurück in seine vier Wände fährt, macht das Kennenlernen zu einer extra Herausforderung und trägt nicht unmittelbar dazu bei, leichter Anschluss zu finden. Man fängt jeden Tag neu an, Freunde zu finden und oft bleibt es nur bei witzigen, aber leider auch oberflächigen Begegnungen. Am einfachsten fand ich es, Leute, die alleine waren, anzusprechen oder sich tanzenden Menschen einfach anzuschließen. Aber auch bei den Food- und Trinkständen und selbst bei den Kloschlangen ist es oft ein Leichtes ins Gespräch zu kommen. Man sollte sich einfach nicht unter Druck setzen und nicht zu hohe Erwartungen haben. Ich hätte mir im Vorhinein auch nie zu träumen gewagt, dass ich mit einem neuen Tanzstil und einen gemalten Porträt von mir aus Barcelona nach Hause zurückkomme.

© Fabio Castro
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