DAS LEBEN DER ANDEREN #5 – Der heilige Cornelius
Cornelius ist ein heiterer Mann. Er kichert gerne. Er strahlt Lebensfreude aus. Vor uns sitzt ein Mensch, der seinen Beruf liebt. Oder vielmehr: Seine Berufung. Cornelius ist nämlich Pfarrer Cornelius und wippt vor uns auf seinem Stuhl im Pfarrbüro der St. Bonifatius-Gemeinde.
Ortstermin im »Kreuzberger Vatikan«: Die St. Bonifatius-Kirche bildet nur den Mittelpunkt eines Gebäudekomplexes, der eher an Hogwarts als an Berlin erinnert. Viele Familien wohnen in diesen Wohnungen. Statt Gräbern beherbergt der Kirchhof einen Spielplatz. Glockenhelles Kinderlachen hallt zwischen den Backsteinmauern hin und her. Der laute Mehringdamm nebenan ist gefühlte Lichtjahre entfernt. In einem dieser Bauten erwartet uns Pfarrer Cornelius. 39 Jahre ist er jung, hat aber auch schon ein altes Leben mit einem »normalen Beruf« hinter sich: Früher war er Reinickendorfer Zahntechniker. Dann aber fühlte er sich von Gott berufen: »Aber da trat nicht ein Engel an mein Bett und sagte mir, ›Werde morgen Priester!‹. Es war ein Entschluss über eine längere Zeit.« Zwölf Semester Theologie und zwei Jahre praktische Ausbildung später, war er ein geweihter Priester und landete hier in Kreuzberg.
In einer katholischen Kirche gibt es auch im «gottlosen» Berlin täglich einen Gottesdienst. Aber auch die alte Tante Katholizismus richtet sich nach ihren Schäfchen: Pfarrer Cornelius feiert einmal in der Woche eine »After Work«-Messe für Berufstätige. Und zu gebrechlichen Senioren düst er auch schon mal mit dem Rennrad. Ihm geht es vor allem darum, da zu sein. Das bedeutet auch soziale Arbeit zu leisten. »Hier klopfen immer wieder Leute an und sagen: ›Ich kann nicht mehr‹«. Darunter fällt alles: von finanzieller Not, über Probleme mit Behörden bis hin zu Lebenskrisen. Wer an seine Tür klopft, dem will Pfarrer Cornelius versuchen zu helfen. »Die sind gar nicht immer unbedingt katholisch, die Leute.« Ob katholisch, Muslim oder Atheist, zugehört wird erst einmal jedem. Auch den Nachbarn schräg gegenüber vom Schwuz. »Jeder, der Sorgen hat, kann gerne vorbeikommen. Ob wir dann immer so mit der Überzeugung harmonieren...« Cornelius beendet den Satz mit seinem typischen Wippen und seinem süffisanten Lächeln. Wir lachen mit. Dieser Pfarrer ist gut drauf.
Die Papstwahl vor wenigen Wochen hat er verfolgt wie ein WM-Finale. Dieses Vergleich haben wir ihn in den Mund gelegt, aber ihm gefällt er. »Ich war aufgeregt und hab geguckt, kommt jetzt der weiße Rauch, kommt er nicht? Und dann kam der weiße Rauch und ich war wirklich sehr aufgeregt, wer es denn geworden ist und hab ihn unter den Favoriten in der Zeitung gesucht, doch da war er gar nicht.«
Aber was macht ein Pfarrer, wenn er nicht auf den weißen Nebel und seine Schäfchen wartet? Montags hat dieser hier frei und geht zum Tauchtraining. Und auch seine Urlaube drehen sich um dieses Hobby. Der letzte führte ihn auf die kapverdischen Inseln. Dann liegt auch er mal mit einem Buch am Strand - am liebsten mit einem Mittelalterroman. Auch »Die Wanderhure«? Nein, den Roman noch nicht, aber wenn er spannend sei, warum nicht? Wir erfahren, dass dieser Priester auch gern mal mit Freunden ein Bier trinken geht, »oder Cocktails, Wein...«. Am liebsten Roten. Da hat der Job als Pfarrer auch seine Vorteile: Wenn der eigene Schrank leer ist, kann man sich auch von der Kirche den Messwein ausleihen, »das ist schon erlaubt.« Im Berghain war er noch nie. Als wir ihm von diesem anderen heiligen Ort der Stadt erzählen, wird er sogar hellhörig. Mit seinem schicken römischen Kragen würde er vermutlich sogar am Türsteher vorbeikommen.
Trotzdem ist nicht alles Gold was wippt. Wir sprechen über Verliebt sein und Händchenhalten. »Verlieben kann man sich immer wieder. Auch ein Priester kann sich verlieben«. Aber wie in einer Beziehung Treue verlangt sei, verlange sein Beruf die Treue zur Kirche. Die Kirche sei eben kein Verein mit menschlichem Personal, sondern viel mehr als das. Sonst wäre er womöglich auch längst nicht mehr in diesem Verein, mit all seinen Skandalen der Gegenwart und der Vergangenheit, mit seinem teils fragwürdigen Personal, auch in höheren Positionen. Für Cornelius ist der wahrscheinlich ultimative Gottesbeweis, dass es diese Kirche immer noch gibt. »Kein Verein hat so lange überlebt!«
DAS LEBEN DER ANDEREN erscheint in Kooperation mit Greatest Berlin.
Fotos: Matze Hielscher










