Das Leben der Anderen #12 – Akrobat Darcy Grant

© Matze Hielscher

Darcy Grant wird mit seinem Beruf bald aufhören. Man geht nicht einfach in Rente, wenn man Akrobat ist. Das ist eine große Entscheidung. Genau so, wie man nicht einfach Akrobat werden kann, "Akrobat nennt man sich erst, wenn man sich wirklich so fühlt", sagt Darcy, "wenn man Bewegungen ausführen kann, die den Namen rechtfertigen, zum Beispiel einen einarmigen Handstand". Die russischen und chinesischen Akrobaten sind dabei Vorbilder. Darcy begann mit 13 in einem Kinderzirkus, mit 18 war der Moment gekommen, am Ende seiner Ausbildung, als er mit vielen anderen in einer Pyramide stand und Menschen durch die Luft flogen, da dachte er: "Jetzt bin ich Akrobat".

Man hört auch nicht einfach mit seinem Beruf auf, wenn man gerade Vater geworden ist. Darcys Frau ist die Regisseurin der Show "BEYOND", die noch bis zum 2. März im Chamäleon Theater in den Hackeschen Höfen in Mitte zu sehen ist. Eine bunte, waghalsige Show, in denen Menschen an Seilen von der Decke hängen und sich übereinander stapeln. Als Vater in einer Show zu arbeiten ist schwierig. Als er noch jeden Abend auf der Bühne stand, kam er oft spät nach Hause, seine Tochter war früh wach, er sah sie selten. Mittlerweile macht er nur noch manche Shows und ist Backup für andere Künstler, falls sie sich verletzen oder mal einen freien Tag haben. Er muss in der Lage sein, beinahe jede Stelle im Stück zu besetzen.

Normalerweise steht er gegen sieben mit seiner Tochter auf, danach verbringen sie den Vormittag gemeinsam, gehen vielleicht auf einen Spaziergang und in seinem Lieblingscafé Antipodes in der Fehrbelliner Straße vorbei, das von Neuseeländern geführt wird. Normalerweise ist danach nicht mehr so viel Zeit, bis er zur Arbeit muss. Gegen 16 Uhr beginnen die Proben, die Künstler wärmen sich auf, dann spielen sie jeden Abend eine Show.

Wenn Darcy auf die Bühne muss, kommt er gegen Mitternacht nach Hause. Aber selbst wenn er wirklich müde ist, direkt schlafen gehen kann er nicht. "Man sieht auf Facebook, dass auch die anderen noch länger wach sind, alle posten etwas bis 2 oder 3 Uhr nachts, das ist wohl das Adrenalin, das erst nach und nach abgebaut wird" sagt Darcy. Die Verbindungen innerhalb der Gruppe sind eng und intensiv, "man verbringt so viel Zeit miteinander und sieht sich jeden Tag". Aber genau dieses Gefühl gehöre zum Job, das sei ein elementarer Teil der Kultur. In seiner jetzigen Gruppe C!RCA ist er seit elf Jahren.

Darcy ist jetzt Vater einer Tochter, daran denkt er oft. Auch wenn es um seine eigene Zerbrechlichkeit geht, seinen Körper. "Ein Akrobat zu sein heißt verletzt zu sein. Du bist immer dabei, deine eigenen Verletzungen zu managen. Es geht nicht ohne" so Darcy. Aber niemand beschwert sich, niemand jammert. Alle wissen, dass das Teil des Jobs ist. Nach einer ernsten Schulterverletzung fiel es Darcy schwer, positiv zu bleiben. Er war zum ersten Mal konfrontiert mit der Vorstellung, dass das Leben als Akrobat bald vorbei sein könnte. Er stellte sich Fragen wie "Habe ich die letzten acht Jahre damit verschwendet, Party-Tricks zu lernen?" oder "Was wird es mir im Leben bringen, wenn ich einen Teelöffel auf meiner Nase balancieren kann?".
Darcy sagt, er sei schon in der Lage zu erkennen, was dieser Beruf ihn außer körperlicher Disziplin noch gelehrt hat. Er könne sich in Gruppen zu integrieren, Rücksicht nehmen. Jeden Abend sieht er seiner Angst, sich zu verletzen ins Gesicht. Und er stellt sich. Er bleibt ruhig.

Sein Zukunftsplan: Mehr Ausstellungen als Fotograf zu bekommen, selbst als Regisseur für Shows zu arbeiten, seine Frau zu unterstützen, mit seiner Tochter zu sein. Und ihr wird er von seinem Leben erzählen, für Kinder sei der Zirkus eine gute Sache, er schule ihr Selbstvertrauen und das Beste daran sei, dass Zirkus für alle sei, es gebe hier keine Diskriminierung, jeder könne mitmachen, man fände immer eine Aufgabe, ein Talent. "Aber ich werde sie nicht in diese Richtung drängen, das ist ihre eigene Entscheidung".

Er schreibt an seinem Lebenslauf. Und wird bald mit seiner Familie zurück nach Australien gehen. Die Entscheidung habe lange gedauert, aber nun, da sie getroffen ist, sei es ein tolles Gefühl. Sein eigenes Leben wird sich sehr verändern, aber er freut sich darauf.

byMatzeHielscher.001-1

Für die letzte Folge ‘Das Leben der Anderen’ haben wir einen Bestatter besucht. Alle Folgen findet ihr hier im Überblick.

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