Tropical Islands – Wie viel Leid müssen Eltern ertragen?
"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint durchläuft dafür sämtliche Lebensentwürfe. Auf drei Jahre Kleinfamilie folgten vier Jahre Wechselmodell. Nun sieht er seine Tochter Wanda* nur noch am Wochenende. Ein Alltag zwischen Sehnsucht und Großstadt-Exzessen.
Meine Tochter und ich waren am Sonntag wieder beim Pferderennen. Die deutsche Einheit lässt sich am besten feiern, indem man ein paar Scheine durch den Wettschalter jagt. Auch Wanda konnte ein bisschen was setzen, aus meiner Tasche, versteht sich. Gewinne durfte sie einstreichen, über Verluste haben wir nicht weiter gesprochen. Auf die Art wird sie ein gesundes Verhältnis zum Glücksspiel entwickeln.
Bereits auf der Fahrt nach Hoppegarten sind wir umzingelt von diesem speziellen Menschenschlag. Junge Männer, die aussehen wie Verbindungsstudenten. Mit glänzenden Zähnen und Halbschuhen, und perfekt sitzenden Sakkos.
Gerade noch war ich frappiert, weil 20 Prozent der unter 30-Jährigen die FDP gewählt haben. Das ist doch die Partei, die vor vier Jahren zu feige war, eine Koalition zu bilden, und davor sogar an der 5%-Hürde gescheitert ist. Oder nicht? Anscheinend reicht das Gedächtnis der Jungen nicht so weit zurück. Und auf der Rennbahn befinden wir uns mitten unter ihnen. Frech und dynamisch. Reich, aber sexy.
Vom Yuppie-Himmel ins Paradies der Atzen
Um einen Kontrast zu schaffen, und weil es Wandas sehnlichster Wunsch ist, fahren wir deshalb am Montag ins Tropical Islands. Ins Paradies der Atzen. Vorher noch schnell zu meiner liebsten Corona-Teststelle, einem umfunktionierten Sprinter vorm Gesundbrunnen-Center. Die Brudis, die ihn betreiben, stehen rauchend davor, aus der Fahrerkabine tönt Radio Metropol. Zehn Minuten später ist Wanda freigetestet, und wir besteigen den Zug Richtung Spreewald.
Die Fahrt vergeht schnell und reibungslos, doch als wir am Tropical Islands ankommen, erwartet uns eine Menschenschlange von 200 Metern. Und sie bewegt sich kein Stück. Es dauert geschlagene eineinhalb Stunden, bis wir einchecken können. Mir selbst ist das relativ schnuppe, aber Wanda dreht frei. Genau wie alle anderen Kinder in der Schlange. Am Check-in-Schalter beschwere ich mich nur deshalb nicht, weil ich Angst habe, einen Gutschein zu kriegen und noch mal herkommen zu müssen.
Am Check-in-Schalter beschwere ich mich nur deshalb nicht, weil ich Angst habe, einen Gutschein zu kriegen und noch mal herkommen zu müssen.
Immerhin freundet Wanda sich während der Wartezeit mit einem Mädchen namens Sophie* an. Sie und ihre Mutter werden sogar zwei Tage bleiben. Da komme ich mit der einen Übernachtung ja vergleichsweise glimpflich davon. Die beiden Mädchen verabreden sich für später. Doch zunächst stürzen Wanda und ich uns ins Getümmel.
Wir rutschen und toben etwa vier Stunden lang. Für Wanda ist es der Himmel auf Erden. Alle dreißig Sekunden muss ich sie ans Atmen erinnern, weil sie es vor Begeisterung einfach vergisst. Ich tue derweil so, als würde es mir genauso gefallen. Schließlich geht es an diesem Tag nicht um mich. Doch allein der Anblick des Volkes, das sich um uns drängelt, flößt mir eiskaltes Grauen ein. Auf einen Menschen in dieser Zeppelinhalle kommen etwa zehn Tätowierungen. Dicht an dicht drängt sich das käsige Fleisch. Eintausend Atzen in einem Tümpel. Als würde der Teufel selbst einen Eintopf kochen.
Und noch ein weiter Weg bis Walhalla
Die ganze Zeit über schiele ich verstohlen zur Uhr. Rechne aus, wie oft wir noch rutschen müssen, bevor ich endlich ins Bett darf. Dann plötzlich die Rettung: Sophie, das Mädchen vom Eingang, taucht auf, und übernimmt die Betreuung. Die beiden wirbeln durch die Lagune. Bereits nach zwei Minuten hat Wanda vergessen, dass ich überhaupt da bin.
An sich könnte ich nun prima entspannen. Einfach im lauwarmen Wasser vor mich hin dümpeln. Doch es tritt etwas ein, das ich nicht für möglich gehalten hätte: Ich langweile mich. Ohne Wanda macht das alles auch keinen Spaß.
Eifersüchtig schaue ich zu ihr und ihrer Freundin hinüber. Die beiden spielen und jauchzen in völliger Selbstvergessenheit. Aber Sophie hat ja auch einen total coolen Tauchring. Ich kann nur meine lausige Blutsverwandtschaft vorweisen. Gehöre ich damit auch zu den Auf-der-Strecke-Gebliebenen? Zählt es nicht, welches Leid ich für mein Kind schon ertragen habe? Kann sie mich da einfach so hängen lassen? Vielleicht sollte ich auch Protestwähler werden. Und als erstes probiere ich diese FDP. Die soll ja bei jungen Leuten wie mir äußerst beliebt sein.
* Namen geändert