Als Rabenvater hat man's nicht leicht
"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint durchläuft dafür sämtliche Lebensentwürfe. Auf drei Jahre Kleinfamilie folgten vier Jahre Wechselmodell. Nun sieht er seine Tochter Wanda* nur noch am Wochenende. Ein Alltag zwischen Sehnsucht und Großstadt-Exzessen.
Ich will nicht Playmobil spielen. Nur weil ich Vater bin, muss ich doch nicht Playmobil spielen. Cowboys, Ritter, Prinzessinnen, nein danke. Ich will auch nicht Lego spielen, oder "Mensch ärgere Dich nicht". Meine Tochter ist so eine schlechte Verliererin, wenn die mal eine Runde von zehn nicht gewinnt, hängt gleich der Haussegen schief.
Ich will keine Sandburgen bauen, im Winter nicht und im Sommer schon gar nicht. Ich will nicht die Klamotten meiner Tochter entwirren, wenn sie sich wieder wie eine Schlange herausgeschält hat. Und aufhängen will ich das Gelump auch nicht. Überhaupt will ich nie wieder Wäsche aufhängen und ich verfluche diese eine verdammte Socke, die jedes Mal auf den Boden fällt und dann muss man sich bücken und dann fällt sie noch mal runter.
Ich bin ein Rabenvater und weiß es
Ich will lieber in meine Stammkneipe gehen und den ganzen Tag grübelnd am Tresen sitzen. Ich will Flüge an weit entfernte Orte buchen und wieder stornieren. Ich will den ganzen Balzac lesen, auf Deutsch und Französisch. Ich will in die Therme gehen und einmal pro Stunde zum Aufguss. Ich will ins Theater, ins Ballett, in die Oper, und jedes Mal froh sein, wenn die Vorstellung um ist. Ich will schlafen und schweigen und nur an mich denken, und dann Weinschorle trinken und über Sodbrennen klagen. Aber mach das mal, wenn du Kinder hast. Die haben nämlich immer ihre eigenen Wehwehchen, und was du hast, ist völlig egal.
Ich bin ein Rabenvater und weiß es. Zweimal pro Woche werfe ich dicke Stapel von Bildern weg, die meine Tochter für mich gemalt hat. Ich kann Spielplätze nicht ertragen und den Anblick der anderen Eltern. Ich will abends nicht diese langweiligen Kinderbücher vorlesen, Scheiß Raupe Nimmersatt und Scheiß Astrid Lindgren. Ein größerer Bullshit ist niemals geschrieben worden.
Pommes und Eis und Schlitten fahren an der Ostfront
Ich will nicht ins Tropical Islands, auch wenn es für meine Tochter das Größte ist. Ich will überhaupt nicht ins Schwimmbad, was soll man da eigentlich den ganzen Tag tun? Pommes und Eis, immer nur Pommes und Eis, und dafür dann Eintritt zahlen und Zeitfenster-Tickets buchen. Ich will auch nicht Schlitten fahren, Gott sei dank gibt es keine richtigen Winter mehr. Früher gab es richtige Winter. Im Krieg. Von früh bis spät mussten unsere Vorväter Schlitten fahren, an der Ostfront. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei.
Ich will meine Tochter nicht zu ihren Freundinnen bringen, schon gar nicht über Nacht, denn das ist jedes Mal wie eine Trennung. Ich will nicht, dass sie älter wird, weil es zwischen uns immer so schön bleiben soll wie jetzt. Ich will nicht, dass sie traurig ist, auch wenn traurig sein manchmal hilft. Ich will sie nicht immer vermissen, obwohl sie nur im anderen Zimmer ist. Und ich will nicht genervt sein, wenn sie dauernd was von mir will.
Ich will jedes Wochenende acht Stunden Zug fahren, um sie zu sehen. Auch wenn der Zug überfüllt ist und immer zu spät kommt. Ich will das Grauen ertragen, sie von der Schule abzuholen, denn dadurch wachse ich über mich selbst hinaus. Ich will ein schlechtes Gewissen haben, weil ich immer ein noch besserer Vater sein könnte.
Doch was ich am meisten will, ist Playmobil spielen und Sandburgen bauen und doofe Kinderbücher vorlesen, aber nur, wenn meine Tochter nicht da ist. Weil ich mir dann vorstellen kann, sie wäre es.
* Name geändert