Patchwork ist viel schlimmer, als man denkt
"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint durchläuft dafür sämtliche Lebensentwürfe. Auf drei Jahre Kleinfamilie folgten vier Jahre Wechselmodell. Inzwischen hat er eine Freundin, die selbst Mutter ist. Dabei war er immer zufrieden, mit seiner Tochter Wanda* nur ein Einzelkind zu haben. Doch Zeiten ändern sich. Clint findet man auch bei Instagram @clint.lukas
Seit fast acht Jahren habe ich nun schon eine Tochter. Sie ist ganz okay. Anfangs war sie mir zu pflegebedürftig, dauernd sollte ich irgendwas tun. "Papa, ich will auf den Arm. Papa, lies mir was vor. Papa, ich hab Hunger." Blablabla, dachte ich jedes Mal. Und wer fragt, was ich will?
Inzwischen ist sie schon beinahe so cool wie ich. Als wir vor ein paar Wochen in Neapel waren, gefiel es uns dort beiden nicht richtig. Früher hätte sie mir in so einem Moment die Hölle heiß gemacht. Doch diesmal waren wir ein Team, vereint in unserer schlechten Laune und der Abneigung gegen Hitze, Dreck und pampige Kellner.
Überhaupt kommen wir von Tag zu Tag besser miteinander klar. Einfach aus dem Grund, weil wir uns nach all den Jahren ziemlich gut kennen. Sie weiß, wann ich meine Ruhe brauche, ich weiß, wann ich ihr nicht auf den Zünder gehen darf. Ein fein austariertes System, das natürlich genau in dem Moment zerschossen wird, in dem es reibungslos funktioniert.
Never change a running system
Wie vor zwei Wochen berichtet, gibt es mit Judith eine neue Frau in meinem Leben. Eine Frau mit einem vierjährigen Sohn. Mit dem verstehe ich mich auch ziemlich gut, wobei diese Beziehung natürlich ein anderes Paar Schuhe ist. Weil ich nicht sein leiblicher Vater bin. Wir sind eher so was wie Kumpels. Und wenn er mal Mist baut, kann ich mich entspannt in dem Wissen zurück lehnen: Ist ja nicht mein Kind. Soll er doch machen, was er will.
So hätte es für mich gut laufen können. Die Wochenenden mit meiner Tochter, unter der Woche ein paar Tage Quality Time mit Judith, manche davon mit ihrem Sohn. Ist doch genug Patchwork, dachte ich heimlich bei mir. Und hielt den Ball flach, um weitere Veränderungen zu vermeiden.
"Ich kann's kaum erwarten, Wanda endlich zu treffen!", fällt Judith dann mit der Tür ins Haus. "Lass uns doch am Wochenende alle zusammen zu meiner Mutter fahren. Da gibt’s einen Pool und alle können sich kennenlernen!"
Also sitzen wir an einem Sonntag in Judiths Familienauto. Sie hat extra einen Kindersitz für meine Tochter gekauft. Ich habe im Vorfeld viele Gedanken gewälzt, wie Wanda auf die Begegnung reagieren wird. Auch wenn sie bei ihrer Mutter noch zwei Geschwister hat, ist sie bei mir schon immer Einzelkind. Und schien diese Komfortzone bisher auch sehr zu genießen. Ob sie es nun so cool finden wird, einen neuen Halbbruder aufs Auge gedrückt zu kriegen, ist schwer zu sagen.
Eine schrecklich nette Familie
"Toni* geht’s nicht so gut", sagt Judith zur Begrüßung und zeigt auf ihre grün-grau angelaufene Leibesfrucht. "Er hat bei seinem Papa gestern Gorgonzola gegessen und die halbe Nacht gekotzt."
Zur Aufmunterung werden Dino-Lieder gespielt. Als wir gerade auf die Autobahn fahren, dann das Unvermeidliche: Toni beginnt wieder zu brechen. Während Judith vergeblich nach einer Haltebucht Ausschau hält, versuche ich Blauschimmelkäse und Magensäure mit einem Taschentuch aufzufangen. Wanda beobachtet das Schauspiel mit gerunzelter Stirn und sagt: "Uff."
Der Pool bei Judiths Mutter kann einiges richten, auch wenn es zu kühl ist für lange Badephasen. Es gibt Grillfleisch und Bier. Die Stimmung ist ausgelassen, was vor allem an Judiths entspannter Familie liegt. So übel ist Patchwork gar nicht, denke ich, behalte es aber schön für mich. Familienglück ist ein Kollateralschaden, den es stets zu begrenzen gilt.
Auf der Heimfahrt schlafen beide Kinder mit offenem Mund. Es ist der erste Moment, in dem ein verstohlenes Küsschen ausgetauscht werden kann. Ist ja nicht so, dass man in Gegenwart von Kindern ein Mensch wäre. Wanda wird dann wieder als erste wach.
"Boah, ich sterbe in diesem Auto, wenn das noch länger dauert!", kommentiert sie Judiths Einparkversuche.
"Du kannst ja mit deinem Papa schon mal aussteigen und vorgehen", antwortet Judith geduldig.
Wanda, einen abschätzigen Blick auf den noch schlafenden Toni gerichtet: "Nehmen wir das Baby dann auch mit?"
Familienglück ist ein Kollateralschaden, den es stets zu begrenzen gilt.
Eine Stunde später sitzen wir mit doppelten Gin Tonics auf dem Balkon. Die Kinder haben sich das Zirkuszelt von IKEA auf der Couch aufgebaut und schauen "Die Eiskönigin". Wanda, die den Film auswendig kennt, erklärt Toni jede einzelne Szene.
"Das lief doch ganz gut!", sagt Judith, als wir den Gören die Zähne putzen. Jeder seiner eigenen, versteht sich.
"Mhm", sage ich.
"Wollen wir nächstes Wochenende zusammen ins Schwimmbad fahren?"
Ein Blick in die Runde zeigt drei strahlende Gesichter. Meines ist nicht dabei. Aber ich bin auch nicht fürs Grinsen berühmt. Ich nicke. Möge das Patchwork beginnen.
*Namen geändert