Darf ich Gnade vom Kind erwarten, wenn ich verkatert bin?
Die Kolumne „Cool trotz Kind“ ist für alle Eltern da draußen. Und für die, die es werden wollen. Autor Clint erklärt, wie ihr auch mit Kind euer Gesicht wahren könnt. Vor euch und der Welt. In dieser Folge erhaltet ihr nützliche Tipps für den Morgen danach...
Kann man cool bleiben, auch wenn man ein Kind hat? Ach Gott, fragt mich was leichteres. Eine Zeitlang hab ich gedacht, ich krieg das ganz gut hin. Die Sache mit dem Vatersein. Aber in Wahrheit weiß ich jeden Tag weniger. Und erwische mich manchmal bei dem Gedanken, dass ich den Job an den Nagel hängen will. Einfach zum Kind gehen und sagen: „Kannst du nicht doch wieder ausziehen aus unserer WG?“
Einfach mal den Job an den Nagel hängen?
Dummerweise liebe ich meine Tochter. Daran kann ich nichts ändern. Aber die Liebe ist eh eine Mistsau. Trübt das Urteilsvermögen. Ich dachte zum Beispiel immer, die anderen Eltern sind bescheuert. Und dass ich es richtig mache. Mir ging nie in den Schädel, wie es zu dieser Rudelbildung auf dem Spielplatz kommt. Die anderen Eltern reden nicht nur miteinander, die KENNEN sich sogar schon. Von früheren gemeinsamen Spielplatz-Stunden.
„Na, ist eure Maus wieder gesund?“, fragt einer den anderen.
„Wird langsam wieder. Und bei euch? Wie war das Kürbisfest?“
„Voll schön. Der Oskar war als Eichel verkleidet. Gell, Oskar? Apropos, wir haben noch total viele Stoffreste übrig. Falls ihr auch mal ein Kostüm basteln wollt.“
Ich ergreife immer die Flucht, wenn ich sowas höre. Es stört mich nicht unbedingt. Ich verstehe nur nicht, wo das Bedürfnis herkommt, sich über jeden Furz auszutauschen. Die scheinen das wirklich zu brauchen. Statt mal die Ruhe zu genießen, nutzen sie die wenigen Augenblicke, in denen ihre Brut abgelenkt ist, um über Pastinaken-Brei und Stoffwindeln zu schwadronieren. Das finde ich komisch. Aber was weiß ich schon?
Ich verstehe nicht, wo das Bedürfnis herkommt, sich über jeden Furz auszutauschen.
Vielleicht bin ich gar nicht der Superdaddy. Kann sogar sein, dass ich das Gegenteil bin. WORST DAD ALIVE trifft es vielleicht eher. Zumindest kam mir letzten Sonntag dieser Gedanke. Da war ich nämlich allein mit meiner Tochter. Und verkatert. Das wärmste Jäckchen ist das Cognäkchen, hab ich am Abend davor wohl gedacht. Und dann immer rein in den Schädel. Als meine Tochter mich frühmorgens geweckt hat, war ich ziemlich kurz angebunden. Und es wurde nicht besser.
Ich bin der Worst Dad Alive
„PAPAA? Warum riechst du so süß?“
„Ähhhh…“
„Darf ich Erdbeer-Joghurt zum Frühstück essen?“
„Ich glaub, mir wird schlecht.“
„Musst du aufs Klo?“
„Ja.“
„Pipi oder ein Gack?“
„Weder noch.“
Darf ich Gnade vom Kind erwarten, wenn ich verkatert bin? Natürlich nicht. Was hat sie damit zu tun? Also heißt es, Zähne zusammen beißen. Erstmal stoisch die Checkliste abarbeiten. Frühstück, ankleiden, Mundhygiene. Und dann? Während ich noch ein kleines Nickerchen von zehn, zwölf Stunden einschieben könnte, erwacht bei ihr erst der Tatendrang.
Darf ich Gnade vom Kind erwarten, wenn ich verkatert bin? Natürlich nicht. Was hat sie damit zu tun?
In solchen Momenten wird einem nochmal bewusst, wie LAUT die meisten Spielsachen sind. Oder wie viel Lärm das Kind mit jedem beliebigen Gegenstand erzeugen kann. Töpfe eignen sich ausgezeichnet zum Trommeln. Man muss Türen nicht zwangsläufig leise schließen. Benjamin Blümchens Stimme klingt umso besser, je lauter man den CD-Spieler dreht.
Eigentlich hilft da nur Konterbier. Aber da hab sogar ich eine Hemmschwelle. Nicht wenn das Kind dabei ist. Ich bin eine Pussy, ich weiß. Doch was kann man tun, wenn einem dämmert, dass der Tag nur einen langsamen, qualvollen Tod bereit hält? Ich sag’s euch: Tut so, als ob das Kind krank wäre. Einfach in den Alles-geht-Modus schalten.
Tut so, als ob das Kind krank wäre
Normalerweise vermeide ich es, mit meiner Tochter Filme zu schauen. Einen Fernseher gibt es bei mir sowieso nicht. Auch Süßigkeiten geb ich ihr keine. Kriegt sie sowieso schon von allen Seiten zugesteckt. Und wird durch den Zuckerschock sofort unausstehlich. Am besten verlaufen die Tage, wenn wir viel draußen sind. Spielplatz, Spazieren, irgendwohin fahren. Hauptsache raus.
Doch wenn meine Tochter krank wird, ist alles anders. Kita fällt flach. Zum Rausgehen ist sie zu müde. Den ganzen Tag in der Bude zu hocken macht schlechte Stimmung. Dabei ist sie durch die Krankheit eh schon nah am Wasser gebaut. Also tröste ich sie. Mit Filmen und Süßkram. Dadurch wird nichts besser. Aber die Zeit vergeht irgendwie.
Genau darum geht es meistens auch, wenn man verkatert ist: dass die Zeit vergeht. Also greife ich zu dieser pfiffigen List. Meine Tochter freut sich natürlich. Ihr ist völlig egal, dass es falsch ist, was wir da tun. Die dunkle Seite der Macht liegt ihr im Blut.
„Papa, darf ich den Film nochmal kucken?“
„Ist der schon wieder vorbei?“
„Ja.“
„Aber nur noch einmal. Weil ich kurz schlafen muss.“
„Gut. Darf ich noch Gummibärchen?“
„Nur ein paar.“
„Wie viele?“
„Nimm dir einfach die Tüte. Aber hör auf, wenn dir schlecht wird.“
„Ich hab dich lieb, Papa.“
„Ich dich auch. Bist ein braves Kind.“
Wenn es gut läuft, ist man am frühen Nachmittag wieder fit. Und kann sogar auf den Spielplatz gehen. Sofern das Kind dann noch Lust dazu hat. Denn wer will aufs Klettergerüst, wenn er stattdessen Pippi Langstrumpf beim Klettern zuschauen kann? Oder Merida? Einfach auf der Couch sitzen bleiben und was zu essen bestellen. Das ist ohnehin eine Devise, die man dem Kind nicht früh genug beibringen kann. Hilft gegen jedes Übel.