ARTVERGNÜGEN #54 featuring Katharina Martinelli

© Verena Schwarz

Kunst ist ein Zeitzeuge und damit zeitlos aktuell. Lebensmittel hingegen tendieren zur Verwesung. Katharina Martinelli hilft, den Prozess des Zerfalls zu entschleunigen. Damals, als die Restauratorin bei Contemporary Conservation in New York arbeitete, berieten sie Matthew Barney in der idealen Konservierungsmethode einer Kartoffel. Doch es geht nicht immer um Gewächse. Die Spuren der Zeit sind, wogegen Katharina arbeitet.

Auch in ihrem Studio, habe ich das Gefühl, tickt die Uhr in der Tat etwas langsamer. Ihr digitales Archiv ist eine Vorher-Nachher-Show von einst gerissenen Ölgemälde aus dem 16. Jahrhundert, spröde Einkaufstüten an dem Fahrrad eines Obdachlosen (behauptet der Künstler Andreas Slomiski), kopflose Skulpturen, Kratzer auf Glas. Katharinas Mobiliar stammt teilweise aus der Apotheke der Eltern. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm: Lösungsmittel, Hasenhautleim und Marseiller Seife füllen Katharinas Materialschrank. Im Reagenzglas mischt sie Lösungsmittel zusammen.

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Das Fach ist sowohl Handwerk als auch Wissenschaft. Als Student – nur drei Hochschulen unterrichten Restaurierung in Deutschland – lernt man „Chemie, um das perfekte Lösungsmittelgemisch, und Naturwissenschaften, um die optimale Untersuchungsmethode zu finden“. Die Restaurierung verlangt aber auch fundierte Kenntnisse der Kunstgeschichte „um die Intention des Werkes überhaupt zu verstehen und richtig wieder zu sanieren“. Und Katharina weiß wirklich verdammt viel über die Epochen und ihre technischen Details. Kreativ ist die Arbeit als Restauratorin allerdings nicht. Kreativität sei sogar verpöhnt. Man wird immerhin beauftragt, den Grundzustand möglichst gleich wieder herzustellen. „Kreativität in der Lösungsfindung braucht man aber schon.“ Das zum Beispiel, wenn ein Urs Fischer fragt, wie man Croissants für den Transport schützt und möglichst lange am Leben erhält. Die Antwort: Indem das Fett extrahiert und durch Kunststoff ersetzt wird.

„Gerade für zeitgenössische Künstler ist man als Berater auch stark in die Entstehung eines Werkes involviert. Der heutige Künstler versucht ja Materialien zu nutzen, die noch nicht durch einen anderen Künstler besetzt wurden. Dan Colen zum Beispiel verwendet Kaugummi. Und erwähnt man Fett und Filz denkt man automatisch an Beuys. Materialien transportieren eben eine Message. Die Explosion der Materialien begann nach und kam mit Duchamps Readymades auf ein neues Level. Auf viele Fragen hat man dann erstmal keine Antwort. Wie zum Beispiel verhindert man, dass der Farbstoff von Kaugummis ausbleicht und seine Komponenten auf den Boden tropfen? Und wir wissen auch nicht, wie recyceltes Plastik altert.“

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Künstler: Andreas Slominski © Roeck Restauration

Fortlaufend muss Katharina eine Lösung für bisher nicht dagewesene Herausforderungen finden. Und die Intention des Künstlers verstehen. Eine Putzfrau meinte es nur gut, als sie diesen Fettfleck auf dem Museumsboden weg wischte; und beseitigte damit unwissend ein Beuys-Werk. Andere Arbeiten hingegen sollen gar nicht konserviert werden – oder können es nicht.

Thomas Hirschhorns Tape-Installationen kann man einfach nicht restaurieren, beziehungsweise nur mit immensem Restauratorenaufwand. Und die Schokoladenskulpturen von Dieter Roth sollen ja gerade eine Vergänglichkeit darstellen, sie sollen zerfallen. Roth bezeichnet immerhin die Maden und Würmer als seine Mitarbeiter.“ Der Prozess der Alterung soll dabei nur verlangsamt werden, durch eine Anpassung der Klimabedingungen oder durch entsprechende Aufbewahrung beispielsweise.

Wie stark man eingreift ist eine elementare Frage des Restauratorenberufs. Bezeichnend ist der Aufschrei aus 2008, als die Restaurierung des Beuys Blocks zur Debatte stand. Selbst wenn die Möbel nach der Überarbeitung wieder an ihren ursprünglichen Platz gestellt würden, wäre das durch eine andere Hand passiert als durch die von Beuys. Es geht um Authentizität. „Die Restaurierung ist schon ein komplexes Thema, eben weil sie ethische Fragen betrifft.“

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Restaurierung berührt die großen Fragen nach Authentizität und Urheberschaft. Doch wie läuft sie eigentlich ab?

„Los geht’s mit der Forschung. In der Vergangenheit wurden Fehler begangen, die uns heute recht viel Arbeit machen – weil keine Dokumentationen gemacht wurden. Heute kann man davon ausgehen, dass kaum ein Werk von 100 Jahren noch im Originalszustand ist. Und so verbringt man einen großen Teil der Zeit mit der Untersuchung der Arbeit. Welche Farben wurden zum Beispiel verwendet? Das untersuchen wir mit Infrarot-oder UV-Licht oder eben durch das Stereomikroskop.“

Katharina lässt mich durch das Stereomikroskop schauen. Unter der Linse liegt das Porträt eines Jungen. Ich zoome und zoome und zoome. Sein auf den ersten Blick so zartes Gesicht ähnelt immer stärker einer Mondlandschaft. Die Ölfarbe ist mit dem Alter aufgesprungen. Was nach Hautunreinheiten aussieht, sind Zeichen des Alters der Farbe, nicht des Jungen. Zwischen der Farbe, Craquelé nennt man das, kommen kleine Farbpigmente zum Vorschein. Die laborantische Arbeit ist eine Methode, das Gespräch eine andere. „Das praktische an der zeitgenössischen Kunst ist, dass ich mit den meisten Künstlern in Kontakt treten kann. Ich mache also Interviews zu den Arbeiten.“

Abgesehen von ihrer freiberuflichen Tätigkeit ist Katharina auch als Restauratorin für die Niki de Saint Phalle Sammlung am Sprengel Museum in Hannover zuständig. Als Museumsrestauratorin fertigt sie Zustandsprotokolle an und ist vor allem mit der Konservierung beschäftigt: die Werke verbringen einige Lebenszeit reisend, entsprechend müssen Malschichten gefestigt und stabilisiert werden. Wird gekittet und repariert, spricht man von Restauration. Zu präventiven Maßnahmen zählen die Errichtung eines optimalen Raumklimas und optimaler Transportbedingungen. Und für Kopien gibt es einen separaten Fachmann, den Kopisten. Im Studium hat sie das Kopieren auch gelernt – um das Auge zu schulen. „Die Maltechnik der Künstler unterschiedlicher Epochen muss schließlich bis ins Detail verstanden werden. El Greco zum Beispiel arbeitete sich von dunklem Grund ins Helle.“

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Und welche Tendenz erkennt sie in der heutigen Kunst? Was bedeutet sie für das Berufsbild des Restaurators?

„Es entstehen wesentlich mehr konzeptionelle Werke, die die Künstler von Spezialisten, zum Beispiel von Autolackierern, herstellen lassen. Entsprechend verändert sich die Restaurierung. Viele Werke müssen einfach perfekt sein, wie zum Beispiel die makellosen Oberfläche der monochromen Arbeiten von Katharina Fritsch oder Jeff Koons. Wenn da ein Kratzer drin ist, ist das schon fast ein Totalschaden. Heute kann man da Rücksprache mit den Künstlern halten, aber was macht man zu Beispiel mit der Minimal Art in 50 Jahren, wenn keiner mehr Antworten geben kann?“

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Welchen Zugang hat man als Restauratorin überhaupt zur Kunst? Katharina lacht.

„Am Beginn meiner Ausbildung bin ich tatsächlich minimale Zentimeter nah an das Gemälde ran gegangen, habe die Imperfektionen gesucht. Dann muss man sich schon mal ermahnen, ein paar Schritte zurück zu gehen und die Arbeit als Ganzes zu sehen. Das ist wohl eine Berufskrankheit.“

Wenn Gemälde eurer Urgroßeltern eine Verjüngungskur benötigen oder ihr mehr über die Grundlagen der Restauratorin erfahren wollt, besucht Katharina Martinellis (geborene Roeck) Website.

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Das muss so: die Zehenabdrücke des Künstlers auf einem echten Basquiat. © Verena Schwarz

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Klimatisierung, Rissverklebung © Roeck Restauration

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Materialproben © Verena Schwarz

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Katharina Marinelli im Gespräch © Verena Schwarz

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Unsere zehn Kunsttipps für den Februar findet ihr hier. Noch mehr Artvergnügen ebenfalls.

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