An der Ecke: Potsdamer Straße / Kurfürstenstraße

© Anja Knauer

Ich finde in der Kurfürstenstrasse eine kleine Parklücke zwischen einem Laster und einem alten Golf voll mit Gemüse. Ein Mann mit Schürze lädt kistenweise Tomaten aus und preist anerkennend meine Fahrkünste. Ein Mädchen in Leggins und Bauchtasche stakst geschäftstüchtig in meine Richtung und wendet sich dann schnell ab, als ich aussteige. Ich laufe runter zur Potsdamer Straße entlang an den Sonderangeboten von Woolworth und wundere mich über die Auslage. Wie kann man wohl eine Winterjacke für 5 Euro produzieren und wer braucht Badelatschen mit Fell? Eine Frau kauft einen sehr langen Stoffdackel. "Das ist eine Türwurst" sagt sie. "Bei uns zieht's".

Ein kleiner Mann parkt seine Vespa vor der öffentlichen Toilette. Er heißt Antonio und zeigt mir Fotos von seinen Kindern, die er im Portmonee hat. An Weihnachten ist er nicht in Berlin, "da fahren wir in die Dominikanische Republik, zwei Monate!" Er kann es selbst kaum glauben. Ich quatsche ein bisschen mit den Männern, die den Bürgersteig ausbessern. Sie haben ziemlich gute Laune. "Es kommt auf das richtige Verhältnis von Betriebsamkeit und Enthaltsamkeit an im Leben" sagt der eine. Ich vermute, er redet von Arbeit und Urlaub, aber wir stehen vor dem Sexartikel-Kaufhaus LSD. "Liebe, Sex und Dreams heißt das" sagt der Kollege und wir lachen, als in diesem Moment ein 'Mobiler Schlauchexpress' vorbeifährt.

Beim Gemüsemann gegenüber treffe ich Wierzbicka. Sie hat eine alte schöne Brosche an ihrem Hut. Sie erzählt, dass ihre Enkelin Bildhauerin ist und beschreibt mir sehr genau ihre Arbeiten. Wierzbicka sagt: "Ich liebe ihre Kunst wie mein Leben" und kauft Kartoffeln. Die Gemüsehändler sind sehr kontaktfreudig und sehr zahlreich. Sie wollen wissen, was ich hier mache. Man verwickelt mich in ein langes Gespräch über den Unterschied zwischen Orangen und Clementinen. Einer behauptet steif und fest, er verkaufe in der Winterzeit 3000 Clementinen pro Tag. Ich hocke mich an den Asiaimbiss nebenan und überdenke meine Zukunftspläne.

Drei Künstler aus Saarbrücken sitzen am anderen Ende der Bank und erzählen, sie machen "Soundart". Ich frage dieses Mal lieber nicht nach. Vor dem schrammeligen Imbiss steht ein ausgeblichener Coca-Cola-Schirm und überall hängen unisolierte Kabel. Ich denke an meinen letzten Thailandurlaub, mein Sitznachbar findet das authentisch.

Später auf dem Weg zurück zum Auto geht vor mir eins der Mädchen. Ihr Schneeanzug ist in gelackte Stiefel mit 15 Zentimer Pfenningabsatz gezwängt, auf denen sie eher humpelt als läuft. An ihrem Arm eingehakt ein sehr alter kleiner Mann mit weißen Haaren, Hut und Stock. Es ist nicht ganz klar, wer hier wen wohin führt, aber sie verschwinden im Schneckentempo des Greises im nächsten Hinterhof. Bevor ich fahre, rede ich noch mit Betty in dem schönen grünen Mantel. Sie strahlt das ganze Grau des Tages weg. Sie muss am Samstag zu einer Trauerfeier sagt sie, aber der Tod gehöre zum Leben, "wir werden zuerst sehr traurig sein, aber dann ganz viel trinken und tanzen."

"Hier ist doch eigentlich der Kiez, sagt man so."

"Meiner Schwester schenke ich zu Weihnachten Schminkzeug und einen Spaziergang mit zwei Möpsen."

"Authentizität ist doch total überbewertet. Um Integrität geht es!"

"Der Tod gehört zum Leben."

"Sunday afternoon we go to Berghain."

"Theo Waigel? Kenn ich nicht!"

 "Ich interessiere mich zur Zeit nur für antike Kunst."

"Es geht um das richtige Verhältnis zwischen Betriebsamkeit und Enthaltsamkeit."

Das letzte Mal stand Anja an der Ecke Eberswalder Straße / Schönhauser Allee.

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