ABENDBROT MIT SARAH #9 – Cevicheria
Diego Castro kommt mit Tüten voller frischer Tomaten und Limetten bepackt die Dresdner Straße entlang und steigt beschwingt die zwei Stufen zu seinem Arbeitsplatz hoch. Hier, auf halber Strecke zwischen Kotti und Oranienplatz gleich neben dem legendären Trinktempel Würgeengel, liegt die Cevicheria. Der junge, peruanische Koch ist der Meister an der Zitronenpresse und die Geheimwaffe hinter den leckeren, südamerikansichen Ceviche auf der Karte.
Den kleinen, blau gestrichenen Laden mit den Holztischen gibt es zwar erst seit ein paar Monaten, aber auch schon zu einer eher undeutschen Essenszeit wie freitags um 16 Uhr ist er gut besucht. Die meisten Gäste und Angestellten sprechen Spanisch, im Hintergrund läuft lateinamerikanische Musik. Wer dabei aber an folkloristischen Kitsch denkt, liegt falsch. Man fühlt sich eher wie im Wohnzimmer einer Person, die zufällig einen großen, südamerikanischen Freundeskreis hat. Diese Person ist Jana Daedelow und sie nimmt uns schon bei Betreten des Lokals strahlend in Empfang.
Im letzten November hat Daedelow mit ihrem Partner Peter Rommel, beide eigentlich Filmleute, ihrer Liebe zu roh mariniertem Fisch ein Denkmal gesetzt und einen Laden eröffnet, der sich einem einzigen Gericht verschrieben hat: Ceviche. Ursprünglich eine peruanische Spezialität und in unseren Breitengraden verhältnismäßig unbekannt, ist Ceviche über traditionelle Restaurants wie dem Sabor Latino in Wilmersdorf bis zum Stand von Glut & Späne in der Markthalle XI auch in Berlin auf dem Vormarsch.
In einer Marinade aus Limettensaft, Koriander, rohen Zwiebelwürfeln und Chili gart der rohe Fisch (Pulpo, oder in der veganen Variante die Artischocke) ohne Hitze. Ceviche ist ein perfektes Sommeressen, nach dem man zwar satt, aber nicht voll ist. Das Vollsein bewerkstelligt man mit einem anderen Gericht: pepian de choclo, Maisbrei. Aber der Reihe nacht.
Auf die Frage, was Jana von der wöchentlich wechselnden Karte besonders empfehlen kann, fängt ihr Gesicht an zu leuchten. "Eigentlich ist alles toll", sagt sie und das glaubt man ihr aufs Wort. Hier spricht kein smarter Gastro-Profi, sondern ein leidenschaftlicher Fan. Wir geben die Qual der Wahl weiter und lassen den Herren in der Küche entscheiden, was in der nächsten Stunde auf unseren Tellern landet. Da ich eh keine tiefere Kenntnis der Materie habe und Diego mit dem Chipps, Cookies Cream und zuletzt Cinco by Paco Pérez, dem Sterneladen im Stue, tolle Restaurants auf seiner Vita hat, ist dies kein großes Risiko.
Unsere kulinarische Reise beginnt mit einem kleinen, milchigen Schnappsglas: leche de tigre. Eigentlich "nur" die Marinade, in dem das signature dish, die Ceviche, eingelegt wird, rückt dieser kleine, sauer-scharf-leckere Schluck einiges im Magen und Kopf zurecht. Die Sinne sind geschärft und ich habe Lust auf Gang zwei.
Mit den choros a la chalaca landen dann zwei hübsch angerichete Miesmuscheln auf unserem Tisch, die das Hauptgericht ankündigen: ceviche de pesado. Hierfür wird Tilapia, eine Art Barsch mit festem, weißen Fleisch in der leche de tigre eingelegt und mit Salat und gedämpften Süßkartoffeln serviert. Dazu gibt es geröstete Maiskörner, die zwar unspektakulär aussehen, aber super schmecken.
Nach einem kleinen Zwischengang warmer Venusmuschel-Ceviche geht es ans Highlight: mushame de pulpo. Peruanischer Kartoffelsalat aus fünf verschiedenen Sorten Kartoffeln bildet die Grundlage für dieses hübsch geschichtete Gericht. Auch hier wird das Dressing auf Basis der leche de tigre angemacht – mit Staudensellerie, Limettensaft, Koriander, Tomaten und roten Zwiebeln eine frische Angelegenheit. Kontrapunkte zu der Säure, die sich in den Tomaten sammelt, sind die perfekt reifen Avocadostücke und der zarte Oktopus.
Weil ich unbedingt das vegetarische Hauptgericht probieren will, wird anschließend die Comfort-Food-Bombe schlechthin aufgetischt: pepian de choclo, Maisbrei mit pochiertem Ei, karamellisierten Zwiebeln und Ziegenkäse. In der Menüfolge definitiv etwas zu spät, weil ich schon gut gesättigt bin, aber als deftiges Hangover-Essen bestimmt perfekt.
Jana überredet uns dann noch, wenigstens ein Mal von ihrer Lieblingsnachspeise zu probieren: dem suspiro a la limeña, einer karamelligen Creme mit Meringue-Haube. Es fühlt sich an, wie das wahrscheinlich ungesündeste Dessert der Welt, ist aber zum Niederknien gut – samtig, gehaltvoll, nicht zu süß.
Ich bin satt, glücklich und weiß schon, wo ich die erste Berliner Sommernacht verbringen werde. Auf den Bänken vor der Dresdner Straße 120 mit einem Teller Ceviche in der Hand.
Dresdner Straße 120
10999 Berlin
Tel: +49 30 / 55624038
Montag – Freitag: 12:00-23:00 Uhr
Samstag: 14:00-23:00 Uhr
Vielen Dank an Anna Rose für die Bilder!
Noch mehr Abendbrot gibt es übrigens hier. Vor zwei Wochen war ich indonesisch essen im Tuk-Tuk & Mabuhay.