ABENDBROT MIT AIDA #15 – SPECIAL! mit BOSSE im Mutzenbacher Schnitzelpuff

© Aida Baghernejad

Als ich das letzte Mal Bosse gehört habe, drückte ich noch in der Provinz die Schulbank, hielt mich für die Königin der Welt und unglaublich erwachsen. Sprich: Ich war so 16 und neongrün hinter den Ohren. Mittlerweile sind wir beide älter geworden. Ich bin etwas gereifter, aus dem neon- ist ein erwachseneres tannengrün geworden und Bosse, ja Bosse verkauft mittlerweile Hallen aus. Aus dem schluffigen, grundsympathischen Typen mit dem Kamikazeherz (besaß ich natürlich nur als gebrannte CD, psst...), ist ein ziemlich smarter Songwriter geworden, der eine Menge Leute mit seinen Songs glücklich macht.

Und der verdammt gerne isst. Was uns zum Mittwoch letzter Woche bringt: Mit der großartigen Fotografin Tabea Mathern stand ich erwartungsvoll im Mutzenbacher*. Das Mutzenbacher ist ein liebevoll eingerichtetes österreichisches Gasthaus in Friedrichshain. Nicht der erste Laden im Kiez, der sich mit Schnitzel und Brettljausn von Pizza und Schawarma absetzen möchte, aber einen größeren Gegenpol zum cleanen Schneeweiß könnte es kaum geben. Hier ist jedes Eckchen dekoriert, mit Diskokugel-Eberkopf, Pflänzchen, Kissen, Alpenkitsch und Bildern. Toll! Dazu läuft noch der wohl beste Radiosender der Welt, FM 4. Das perfekte Panorama, um mit Aki Bosse über sein neues Album zu reden. Und über Musik im allgemeinen. Und natürlich: Über Essen. Viel über Essen.


Bosse ist nämlich hungrig. Der Hamburger ist zum Interviewtag in der Stadt und wird die restlichen Stunden damit verbringen, immer und immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten. Da ist eine gute Grundlage nicht verkehrt und wir bestellen, bis sich der Tisch biegt: Einmal Salat mit Käseknusper (lecker, lecker, lecker!), einmal vegan ohne. Beide ganz österreichisch mit Kernöl und getoasteten Kürbiskernen, wir sind alle verliebt. Dann die extra (!!!) für uns vorbereitete vegane Speise für alle drei zum Teilen: Hausgemachte Krautfleckerln, die in einer riesiger Pfanne auf den Tisch kamen. Und als Höhepunkt: Vegetarische Gemüsesuppe für Frau Mathern, und die vielleicht besten Wiener Schnitzel Friedrichshains für Bosse und mich, komplett mit Gurken- und Kartoffelsalat, Zitrone und Preiselbeermarmelade. Nur echt aus papierdünnem Kalbsfleisch mit fluffiger Panade, in die man sich einwickeln möchte. Klasse.



Bei so gutem Essen unterhält man sich sowieso am besten. Und es gibt eine Menge zu quatschen. Zum Beispiel: Was will uns Bosse mit seiner neuen Single »Schönste Zeit« sagen? Warum muss immer »Berlin« vorkommen? Ist das so eine Chiffre, unter der sich in Deutschland Weltläufigkeit zeigen lässt? Und ist das nicht eigentlich ein Lied für Mittdreißiger, die ihrer Pubertät nachtrauern? Irgendwie schon, aber gleichzeitig auch nicht: »In ›Schönste Zeit‹ geht’s einfach darum, dass ich meine Pubertät abfeier'. Und alle ersten Male in ihrer kompletten Unbefangenheit. Und Berlin war damals der Endgegner. Für uns vom Dorf.« Damit hat er mich. Ich komme auch vom Dorf und plötzlich macht »Schönste Zeit« auch für mich schönsten Sinn.

Dieses Jahr können Bosse und Band zehnjähriges Jubiläum feiern. Wichtiges Datum? »Milestone« vielleicht gar? Weit gefehlt: »Ich habe immer das Gefühl, dass ich mich nicht ausruhen kann auf irgendwelchen zehn Jahren, oder dass ich irgendwas von Jubiläum erzählen kann, ich will einfach nur gute Platten machen. Am liebsten so schnell es geht und so gut es geht.« Platten hat er auch schon einige gemacht – und dabei auch so viele Labels gewechselt wie kaum ein anderer Künstler in Deutschland.

Vielleicht ein Grund dafür ist, dass er sich nach eigener Aussage schnell langweilt: »Ich langweile mich total schnell vor mir selber. Und ich kann nicht so viel, außer die selben acht Griffe auf der Gitarre und ein bisschen Klavier spielen. Deswegen muss ich mich immer damit beschäftigen, was mich neu beschäftigt und was mich neu kickt. Das ist der Initialzünder, sonst kann ich kein neues Album schreiben.«

Ja, das neue Album: Kraniche erscheint am 8. März und wird schon von einer ganzen Fangemeinde sehnlich erwartet. Inspiration waren diesmal unter anderem ein paar Monate, die Bosse mit seiner Familie in Istanbul verbracht. Am deutlichsten wird das natürlich im Song »Istanbul« – aber auch sonst passt das Album gut in die Stadt, die immer irgendwo dazwischen sein wird: Zwischen Orient und Okzident, zwischen tiefer Trauer und Melancholie und himmelschreiender Lebensfreude. Zwischen diesen Polen wankt auch das Album hin und her. »Das einzige, was ich wollte, ist, dass es so abwechslungsreich wird, wie es nur geht. Dass man nicht weiß, wenn man Nummer drei hört, wie Nummer vier klingt.« Dann kann auch mal auf das programmatische »Vive la Danse« die Erzählung »Familienfest« folgen. »Ich wollte vor allen Dingen so nah ran, wie ich das zuhause habe, wenn ich ein Lied schreibe. So nah wollte ich ran.«


Dabei weiß er, was er will und was er kann: »Ich bin echt kein Typ, der gute Tanzmusik machen kann. Ich bin auch nicht der Typ, der gute Indie-Musik machen kann und ich bin auch echt nicht der Typ, der supergut politisch texten kann. Das soll lieber PeterLicht machen. Oder die Tocos.« Er erzählt lieber Geschichten. Auch sehr persönliche. Angst ist da zum Beispiel so ein Thema, aber auch das Lachen über die eigenen Ängste, wie man in »Alter Affe Angst« hören kann.

Aber zurück zum Essen: Bosse entpuppt sich als passionierter Foodie und Oberchecker. Er schwärmt von den Lokantas in den Seitengassen Istanbuls und ist auch der Koch seiner kleinen Familie, für die er von Braten bis Nasi Goreng, von Roulade über Thaisuppen bis hin zur Bolognese alles kocht. Allerdings – »am liebsten koche ich schon Fleisch. So etwas, wo man sich schon darauf freut«, sagt er und grinst. Und wenn er essen geht? Querbeetes Schwärmen von den verschiedensten Küchen in Hamburg, ob türkischer Grill, Sterneküche im Le Canard Nouveau oder Hummerstand am Fischmarkt, Bosse lässt nichts aus. Da frage ich mich: Wie überlebt dann so jemand das notorisch verrufene Essen auf einer Tour? Es sei gar nicht so schlimm, sagt er, im Gegenteil. Früher gab es natürlich auch mal Nudeln mit Curryketchup, aber mittlerweile stehen auf seinem Rider eben nicht mehr 'ne Flasche Vodka und ein Kasten Bier, sondern Bio-Gruyère und fünf Liter Milch vom Bauern. Während die meisten anderen Musiker immer krank von einer Tour zurückkehren, erzählt Bosse, dass er sogar fitter wird. Überhaupt hat er auch keinen Bock mehr, verkatert und schlecht gelaunt auf die Bühne zu steigen: »Ab einem gewissen Alter kann man schon über lebensverlängernde Maßnahmen nachdenken. Und wenn man sich nicht mehr jeden Abend drei Promille ansäuft, ist das eine gute Sache.«


Mutzenbacher: Liebauer Str. 11, 10245 Friedrichshain | Di – Fr 12 – 00 Uhr, Sa & So 10 – 00 Uhr | Tel.: 03095616788 | Email: [email protected] | Mittags gibt es günstige Menüs!

Tabea Mathern ist nicht nur eine fantastische Köchin, sondern auch unglaublich tolle Fotografin, wie man hier sehen kann. Sie fotografiert schon zum zweiten Mal für uns – schaut euch unbedingt ihre anderen Projekte an! Wer bis zum nächsten Abendbrot noch mehr mit mir futtern möchte, dem sei mein Blog Improkitchen an den Magen gelegt.

*Na, kommt jemand darauf, warum es »Mutzenbacher« heißt? Kennt ihr die literarische Vorlage? Ihr Schmutzfinken! 

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