Wie es ist, als Schwarze Person in einer weißen Gesellschaft aufzuwachsen

@Xenia Beitz

Ich kann zu jedem Zeitpunkt exakt sagen, wie viele andere "Schokohasen" (meine liebste Eigenbezeichnung) sich gerade in meinem direkten Umkreis befinden. Während ich mich durch den Alltag bewege, läuft mein "Black Radar" die ganze Zeit im Hintergrund, ohne dass ich das bewusst steuern oder gar abschalten kann. Und wenn sich meine Blicke mit denen eines anderen Suchobjekts treffen, dann in stiller Übereinkunft. Ja, ich sehe dich auch.

Meistens gibt der "Black Radar" aber ein weißes Rauschen von sich. Denn sehr oft bin ich – zumindest in meiner Bubble – die einzige Schwarze Person auf weiter Flur. Schon immer. Im Kindergarten, in der Schule, auf dem Uni-Campus, in der Redaktion. Im Wartezimmer, im Zugabteil, im Supermarkt, im Club.

Es ist für mich einfach normal, nicht der Norm zu entsprechen

Ich kann weder sagen, dass ich diesen Umstand als sonderlich schlimm, noch als sonderlich toll empfinde. Ich kenne es einfach nicht anders. Mein Anderssein war aber zum Glück immer weitestgehend positiv konnotiert. "Du hast's so gut, dass du selbst im Winter braun bleibst!" und "Ich wünschte, ich hätte auch so krasse Locken wie du!" Ironischerweise wurde ich im Leben öfter für meine schwäbischen Wurzeln als für meine afrikanischen angefeindet. Ich weiß jedoch, dass People of Color hier in Deutschland auch ganz andere Erfahrungen machen. Allein aufgrund ihres Erscheinungsbildes diskriminiert, rassistisch beschimpft oder angegriffen werden. Und ich habe wahnsinnige Angst, dass mir das auch jederzeit passieren kann.

Mir ist jede Sekunde bewusst, anders auszusehen als der Rest der Menschen um mich herum. Es ist für mich einfach normal, nicht der Norm zu entsprechen. Sollte ich das doch mal kurzzeitig vergessen, werde ich spätestens dann wieder daran erinnert, wenn ich bei Make-up auf der Farbpalette zwischen alabasterweiß und dunkelbeige wählen kann oder "hautfarbene" Pflaster kaufe, die bei mir aufleuchten wie Warnwesten.

Repräsentation? Sieht mau aus

Wenn man sich gerade als Heranwachsende nirgends im Alltag so richtig gespiegelt sieht, schaut man sich anderswo um. Repräsentation begann bei mir auf dem Schoß von Oma, die mir und meinem Bruder aus demselben Exemplar von "Die 10 kleinen N****lein" vorlas, aus dem sie schon ihren Kindern vorgelesen hatte. "Guck mal, die schauen genauso aus wie du!", hörte ich, während ich die kleinen Figuren mit Knochen im Haar, Baströckchen und grotesk-grellroten Schlauchbootlippen betrachtete, die nacheinander hopsgingen. Ein besseres Schicksal war da wenigstens dem "kohlpechrabenschwarzen Mohr" aus "Die Geschichte von den schwarzen Buben" im Struwwelpeter vergönnt. Die Kinder, die ihn hänseln, werden zur Strafe in ein Tintenfass getunkt, bis sie noch viel, viel schwärzer sind als er: "Was kann denn dieser Mohr dafür, dass er so weiß nicht ist, wie ihr?"

Aber auch in der TV-Landschaft der späten 90er sah es für mich eher mau aus mit Repräsentation und Vorbildern. Wobei, es gab natürlich Arabella Kiesbauer, Naddel und Boris Beckers wechselnde, aber immer ähnlich pigmentierten Spielgefährtinnen. Ich hielt mich tapfer an meine Lieblings-Prinzessin Jasmin aus Disneys "Aladdin", mit der ich zumindest die Haarfarbe teilte. Bis in einem nie dagewesenen Erweckungsmoment die No Angels aus dem Pophimmel in mein Kinderzimmer schwebten, mit gleich zwei Bandmitgliedern, die aussahen wie eine erwachsenere, talentiertere Version von mir.

Keine Einzelperson, sondern immer repräsentativ für eine ganze Minderheit

Seit ich selber erwachsen bin, habe ich das Gefühl, nicht als Einzelperson zu agieren, sondern als Minderheit immer repräsentativ für eine ganze Bevölkerungsgruppe zu stehen. Wenn ich mich danebenbenehme, fällt das automatisch auf alle zurück, die so aussehen wie ich. Ich würde es niemals wagen, in der Bahn laut Musik zu hören, zurückzupöbeln, wenn ich angerempelt werde, mich irgendwo vorzudrängeln oder sonst in irgendeiner Form auch nur ansatzweise unangenehm in Erscheinung zu treten. Bloß nicht auffallen, bloß keinen Ausrutscher, bloß nicht selber auf dem Radar landen von Menschen, die mir nicht wohlgesonnen sein könnten.

Niemand hat mir den Posten als laufende Imagekampagne aufgezwungen. Ich könnte vermutlich auch echt mal chillen, gerade weil sich in Berlin ohnehin alle gegenseitig so schön ignorieren. Aber schon im nächsten Moment frage ich mich, ob ich gerade angestarrt werde, weil mir ein Popel an der Nase hängt oder doch weil ich Schwarz bin.

Ich hoffe, diese Kinder können einfach sagen, dass sie aus Berlin kommen und niemand bohrt nach, woher sie wirklich sind.

Ich denke oder habe zumindest die Hoffnung, dass Kinder, die People of Color sind, heute anders aufwachsen als ich. Gerade in einer Gesellschaft, wo inzwischen jede*r Vierte einen Migrationshintergrund hat und das auch immer mehr Abbildung findet.

Ich hoffe, dass diese Kinder sich selbst auf Werbeplakaten und Filmleinwänden, in Büchern und Serien wiederfinden.
Ich hoffe, diese Kinder können einfach sagen, dass sie aus Berlin kommen und niemand bohrt nach, woher sie wirklich sind.
Ich hoffe, diese Kinder werden gefragt, ob man ihre Haare anfassen darf, bevor man einfach hineingreift.
Und ich hoffe, diese Kinder fühlen sich als Teil der Norm, obwohl sie nicht weiß sind.

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