Berliner Stadtgeschichte: 11 besondere Orte der Einheit

In diesem Jahr feiern wir 34 Jahre Mauerfall und 33 Jahre Wiedervereinigung. Die Geschichte des geeinten Deutschlands ist also noch jung, doch die Orte, an denen genau diese Geschichte noch sichtbar ist, sind im sich ständig verändernden Berlin gar nicht mehr so leicht zu finden. Um die friedliche Revolution der Deutschen wieder leichter erfahrbar zu machen, hat die Stiftung Haus der Geschichte ein einmaliges interaktives Webprojekt gestartet!

Unter dem Titel Orte der Einheit hat das Team der Stiftung eine Karte mit 40 Orten, darunter öffentliche Plätze, Gebäude und ehemalige Hotspots, geschaffen, die im geteilten Berlin sowie Deutschland besonders prägnant waren. Eingeteilt in "Orte der Revolution", "Orte der Einheit" und "Orte der Transformation" ergibt sich so ein ganzheitliches Bild, das von der Vergangenheit bis zur Gegenwart Bezüge schafft und die Veränderungen spürbar macht. Mit Hilfe von informativen Audio-Erklärungen und packenden Berichten von Zeitzeug*innen könnt ihr an den verschiedenen Orten der Einheit unmittelbar eintauchen in das, was dort geschah, und die Stadt von einer ganz anderen Seite kennenlernen. Wer also die Geschichte Berlins einmal ganz aktiv erleben möchte, kann die Kopfhörer einstecken und direkt loslegen. Für alle, die nicht wissen, wo sie anfangen sollen, haben wir eine Route konzipiert, die 11 wichtige Punkte abdeckt und euch durch weite Teile der Stadt bringt.

© Stiftung Haus der Geschichte, Stephan Klonk

1
Haus des Lehrers

Nachdem bekannt wird, dass bei den Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 Ergebnisse gefälscht wurden, demonstrieren Regimegegner*innen am Siebten jedes Monats gegen korrupte Wahlen und für ihre Rechte. Am 7. Oktober 1989, zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR, demonstrieren die Menschen erneut am Alexanderplatz. Im Haus des Lehrers, einem Ort der Revolution, sind Geheimdienstoffiziere positioniert, die die Demonstration überwachen und einen brutalen Einsatz der Polizeikräfte gegen die Demonstrierenden leiten: Mehrere Tausend Menschen fordern Freiheit und Demokratie – und kriegen es stattdessen mit der gewaltvollen Staatsmacht zu tun. Diese prügelt vielfach auf die friedlich demonstrierenden Menschen ein, von denen infolgedessen 58 in Krankenhäusern behandelt werden müssen.

© Stiftung Haus der Geschichte, Stephan Klonk

2
Der Tränenpalast

Der Tränenpalast erhält seinen Namen von den tränenreichen Abschieden, die an diesem Ort am Grenzübergang Friedrichstraße jeden Tag stattfinden. Um den eigentlichen Bahnhof nicht zu blockieren, entsteht Anfang der 1960er ein Bau, der erst als Empfangshalle dienen soll, dann aber umfunktioniert wird zur Abschiedshalle. Strenge Kontrollen und die Ungewissheit, ob man sich nach dem Abschied hier jemals wiedersieht, dominieren die Stimmung. "Wir haben auch ein bisschen schikaniert, willkürlich ausgesucht und starke Kontrollen gemacht," gibt ein ehemaliger Grenzbeamter zu. Am 1. Juli 1990 werden die Kontrollen eingestellt, ein Ort der Trennung wird zum Ort der Einheit. Heute erinnert an diesem Ort eine Dauerausstellung an die emotionale Last, die ein*e jede*r Durchreisende*r sowie deren Angehörigen hier erleben mussten.

© Stiftung Haus der Geschichte, Stephan Klonk

3
Das Brandenburger Tor

Das Brandenburger Tor ist einer der historisch wichtigsten Orte Berlins und fast 30 Jahre lang ein Symbol der Teilung. Von beiden Seiten der Mauer unerreichbar, erinnert dieser Ort der Revolution tagtäglich an die Trennung. Und genau hier spielen sich am Abend des 9. November 1989 legendäre Szenen ab: Am Abend verkündet die DDR-Führung versehentlich die Maueröffnung. In Windeseile versammeln sich mehrere Tausende Menschen vor dem Brandenburger Tor. Auf der Westseite besteigen die ersten Menschen gegen 21 Uhr die Mauer, auf der Ostseite schaffen es Soldaten, die Menschen bis 1 Uhr nachts zurückzuhalten, doch danach kann auch sie nichts mehr halten. "Wildfremde Menschen lagen sich in den Armen. Als wenn die Bevölkerung wie ausgewechselt war", erinnert sich Marlene Matakas, die damals Lehrerin in West-Berlin ist und in der Nacht des Mauerfalls mit ihren Freund*innen zum Brandenburger Tor eilt.

© Gemeinfrei

4
Tresor

Obwohl Techno in West-Berlin bereits vor dem Mauerfall Fuß gefasst hat, explodiert die Bewegung nach der Wende. Danielle de Picciotto, Mitbegründerin der Loveparade, erinnert sich an die überwältigende Aufbruchsstimmung, die nicht nur junge Menschen, sondern die gesamte Bevölkerung packt. Es herrscht Abenteuerlust, die Partykultur verändert sich, die Musik ist neu und die vielen leerstehenden Gebäude schreien förmlich nach spontanen, oft gar nicht erst angemeldeten Raves. Als erster Technoclub an einem festen Standort im vereinten Berlin eröffnet schließlich im März 1991 der Tresor. Der Name ist Programm: Der Club befindet sich in einem ehemaligen Kellerraum, der als Tresor zum traditionsreichen Wertheim-Kaufhaus gehörte. Das Kaufhaus wird abgerissen, doch der dunkle Kellerraum bleibt – und steht leer. So kommen Menschen aus Ost- und West-Berlin und aus aller Welt hier zusammen und aus der in Detroit entstandenen Technomusik entwickelt sich eine ganz eigene Berliner Subkultur.

© Stiftung Haus der Geschichte, Charlotte Janus

5
Dong Xuan Center

Auf dem Gelände des ehemals DDR-eigenen Betriebs Elektrokohle Lichtenberg befindet sich heute das Dong Xuan Center, Europas größter vietnamesischer Markt, der dem ältesten Markt Hanois nachempfunden sein soll. Im Rahmen eines Staatsvertrags zwischen der DDR und dem sozialistischen Bruderstaat Vietnam kommen ab Ende der 1970er vietnamesische Vertragsarbeiter*innen in die DDR, um hier auf befristete Zeit zu arbeiten. Die Arbeiter*innen wohnen in dafür vorgesehenen Heimen auf engstem Raum, weitestgehend isoliert von der deutschen DDR-Bevölkerung. In der DDR arbeiten rund 100.000 Vertragsarbeiter*innen, denen nach der Wiedervereinigung die Abschiebung droht, da ihre Arbeitsplätze wegfallen. Nur ca. 16.000 Vietnames*innen bleiben. Einige von ihnen führen heute eigene Läden auf dem Gelände des Dong Xuan Centers, verkaufen hier Lebensmittel, Haushaltswaren und vieles mehr, und machen das riesige Areal zu einem belebten Symbol der Transformation, das Einheimische wie Tourist*innen gleichermaßen anzieht.

© Stiftung Haus der Geschichte, Stephan Klonk

6
Mauerpark

Früher Todesstreifen, heute Parkvergnügen: So radikal sich das anhört, so ist es. Die Mauer führt fast 30 Jahre lang direkt durch das Parkgelände, tagtäglich patrouillieren hier DDR-Soldaten und halten Menschen gewaltvoll davon ab, die Grenzen zu überqueren. Nach der Wende erobern sich die Anwohner*innen diesen Ort der Transformation zurück, besteigen die alten Wachtürme und pflanzen Bäume im ganzen Park. Heute ist der Mauerpark teilweise noch in öffentlicher Hand und vorrangig für seinen Flohmarkt und das Karaoke-Singen bekannt.

© Stiftung Haus der Geschichte, Stephan Klonk

7
Rathaus Schöneberg

Am 10. November, einen Tag nach dem Mauerfall, versammeln sich rund 30.000 West-Berliner*innen vor ihrem Rathaus in Schöneberg und empfangen Bundeskanzler Kohl mit lauten Pfiffen. Nicht alle sehen der Möglichkeit auf eine zeitnahe Wiedervereinigung – und einem damit wieder erstarkenden Deutschland – positiv entgegen. So wird auch die Nationalhymne von lauten Rufen und Pfiffen übertönt. Kohl und seine Mitredner Hans-Dietrich Genscher, Walter Momper und Willy Brandt versuchen die Masse zu beruhigen und ihr besonnen entgegenzutreten. Teils mit Erfolg: Als Genscher die Namen der offenen Grenzübergänge verliest, erhält er tosenden Applaus. An diesem Ort der Revolution fällt übrigens auch Willy Brandts legendärer Satz "Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört."

© Stiftung Haus der Geschichte, Stephan Klonk

8
U-Bahnhof Bülowstraße

Nach dem Mauerbau stillgelegt, wird der Hochbahnhof Bülowstraße, über den zuvor noch die U2 fuhr, 1980 zu einem Basar umgewandelt. Das Gleisbett wird überbaut und einzelne Verkaufsbuden reihen sich entlang der Gleise aneinander. So wird der umfunktionierte Bahnhof zu einem Stück Heimat in der Fremde für die hier ansässige, große türkische Community. Viele von ihnen übernehmen nach 1961 Jobs, die Ost-Berliner*innen wegen der Mauer nun nicht mehr ausüben können. Zum Bahnhof Bülowstraße kommen sie, um gemeinsam zu essen und zu trinken, Live-Musik zu hören, und um Lebensmittel oder Schmuck zu kaufen. Mit der Wiederaufnahme des Nahverkehrs nach der Wende im November 1993 fällt der Basar zwar in seiner ursprünglichen Form weg, doch die kulturellen Einflüsse, die Gastronomien und das multikulturelle Lebensgefühl halten an diesem Ort der Transformation bis heute an.

© Maraike Rosanski

9
Olympiastadion

Als Prachtbau im Dritten Reich konzipiert, um die Olympischen Spiele 1936 abzuhalten, wurden Teile des Olympiastadions im Zweiten Weltkrieg zerstört bzw. teilweise nachträglich entfernt. Mehr als 40 Jahre später kommt es jedoch ausgerechnet hier zu einem der schönsten Versöhnungsmomente der deutschen Wiedervereinigung: Im Januar 1990 findet an diesem Ort der Einheit das erste Fußballspiel zwischen dem West-Berliner Hertha BSC und dem Ost-Berliner Club Union Berlin statt. Mehr als 50.000 Fans reisen an, um sich das Derby der beiden Vereine, die durch die Teilung zuvor nicht direkt konkurriert haben, anzuschauen und gemeinsam zu feiern. Der Spielausgang wird dabei fast zur Nebensache, die Freude über das freundschaftliche Aufeinandertreffen rückt alles andere in den Schatten, "Es gibt nur zwei Meister an der Spree: Union und Hertha BSC" hört man von den Tribünen – zum Ärger der DDR-Funktionäre, die darin nicht nur die Unterstützung eines Vereins aus dem Westen sehen, sondern auch die Ablehnung des BFC Dynamo, der als Stasi-Club gilt.

© Stiftung Haus der Geschichte, Stephan Klonk

10
Kino Kosmos

Im Februar 1990 findet die Berlinale zum ersten Mal seit der Teilung nicht nur in West-Berlin statt, sondern feiert im Friedrichshainer Kino Kosmos nach dem Auftakt im Westen der Stadt nun seine zweite Eröffnung – mit tosendem Applaus. Auch wenn die Stadt eigentlich noch geteilt ist, weht bereits ein neuer Wind. Julia Roberts und Sally Fields, die mit ihrem Film Magnolien aus Stahl in Berlin sind, besuchen die noch stehenden DDR-Grenzposten am Brandenburger Tor. Das Programmkomitee des Filmfests hat dafür gesorgt, dass in diesem Jahr vor allem in West-Berliner Kinos sogenannte Verbotsfilme aus der DDR vorgeführt werden, die entweder nie gezeigt oder direkt nach ihrer Premiere verboten wurden. Im Kino Kosmos wird die DDR-Produktion Coming Out, ein Meilenstein der ostdeutschen Filmgeschichte gezeigt, der in diesem Jahr auch einen Preis erhält. Zum ersten Mal treffen bei dieser Berlinale auch Ost- und West-Berliner Publikum aufeinander. Spannend: Moritz de Hadeln, damaliger Filmfestspielleiter, pendelte viel zwischen dem Zoopalast im Westen und dem Kosmos im Osten hin und her und beobachtete, wie unterschiedlich die Menschen in Ost-Berlin auf Filme reagierten: "Es war absolut erstaunlich, die unterschiedlichen Reaktionen im Publikum zu sehen. Ich würde nicht davor zurückscheuen zu sagen, dass das DDR-Publikum vorsichtiger und zurückhaltender war. Aber ich hatte auch den Eindruck, dass [dieses Publikum] die Filme mit einer tieferen Rezeption annimmt." Das West-Berliner Publikum sei Konsum gewohnt, so de Hadeln, und so würden die Menschen dort eben auch mit Filmen umgehen und diese "ziemlich brutal annehmen oder ablehnen, ohne die Nuancierung, die man damals noch beim Publikum der DDR fand."

© Stiftung Haus der Geschichte, Stephan Klonk

11
Kulturbrauerei

Als die Schultheiss-Brauerei 1968 ihren Betrieb einstellt, beherbergt das Brauereigelände erst einen Möbelmarkt und den vor allem bei Jugendlichen beliebten Franz-Club. Die Altbauten rundum das Brauereigelände werden jedoch über die Jahre vernachlässigt, weil sich der DDR-Staatsapparat auf die Entwicklung der sozialistischen Musterboulevards konzentriert. Diejenigen, die ein Leben außerhalb der Norm wollen, zieht es immer mehr in die verlassenen, teils maroden Gebäude in Prenzlauer Berg. 1990 besetzen Kreative die Gebäude der Brauerei und organisieren sich, um ein Nutzungs- und Sanierungskonzept zu entwickeln. Das Unterfangen gelingt, die Kulturbrauerei wird mit staatlicher Unterstützung und privaten Investitionen saniert und unter Denkmalschutz gestellt. Auch heute ist dieser Ort der Transformation ein Aushängeschild der Kulturszene: Mit einem Museum über den Alltag in der DDR, diversen Gastronomien, regelmäßigen Events wie Streetfood-Märkten und dem frannz-Club – richtig geraten, das ist der Nachfolger von Franz – ist die Kulturbrauerei ein immer noch genauso wichtiger Magnet für Berliner Kreative wie damals.

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