Kinder sind in Deutschland nichts wert

© Hella Wittenberg

"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint durchläuft dafür sämtliche Lebensentwürfe. Auf drei Jahre Kleinfamilie folgten vier Jahre Wechselmodell. Inzwischen hat er eine Freundin, die selbst Mutter ist. Dabei war er immer zufrieden, mit seiner Tochter Wanda* nur ein Einzelkind zu haben. Doch Zeiten ändern sich. Clint findet man auch bei Instagram.

Neulich war Wanda für die Winterferien bei mir. Da sie in Mecklenburg-Vorpommern zur Schule geht, war sie damit später dran als die Kinder der Hauptstadt. Und fand es natürlich cool, als einzige in Berlin frei zu haben. Wir hatten viel vor, wollten ins Museum und sooft wie möglich gut essen gehen. Der Höhepunkt sollte ein Badetag werden. Und zwar nicht irgendein Badetag, sondern ein Tag im wundervollen Vabali-Spa, das wir letztes Jahr schon gemeinsam besucht hatten.

Natürlich habe ich Wanda damals gleich vorgewarnt. Ich meinte zu ihr: "Kind! Das ist kein Spaßbad mit Rutschen und Strudeln und irgendwelchem Klimbim wie im Tropical Islands. Wir können da nur in die Sauna gehen, oder was im Kaminzimmer trinken und draußen im Pool schwimmen. Dafür ist das aber ein sehr schöner Pool, vor allem im Dunklen. Und das Wichtigste ist, dass du leise sein musst. Die Leute gehen da nämlich hin, um sich zu erholen".

Ein Tag in der Therme

Wanda ging den Deal ein und benahm sich mustergültig. Klar, ich musste mich mit ihr beschäftigen, konnte nicht wie üblich zum Aufguss gehen. Wir spielten Karten im Restaurant, legten uns im Ruheraum auf die Wasserbetten, schwammen in der eiskalten Dunkelheit durch den beleuchteten Außenpool. Ein äußerst erfüllender Tag. Man muss vielleicht noch dazu sagen, dass ich vorher zur Sicherheit angerufen und mich erkundigt habe, ob Kinder da überhaupt rein dürfen. Dürfen sie, war die Antwort. Ab sieben Jahren überhaupt kein Problem.

Inzwischen ist Wanda acht. Und ihre Vorfreude war enorm, als wir nun wieder vor dem Vabali in der Schlange standen. Weil sie wusste, was sie erwartet. Es war zwar ein bisschen nervig, dass wir ohne die 3,50 Euro teure Reservierung eine dreiviertel Stunde warten mussten, aber naja. Es scheint in dieser Stadt eben zum guten Ton zu gehören, in würdelosen Warteschlangen zu versauern. Endlich standen wir vorm Check-in-Schalter, zweimal Tageskarte, Hauptsache, schnell ins Wasser.

"Wollt ihr Gutscheine kaufen?", fragt der 20jährige Vabali-Mann sichtlich betreten.

"Nein, wieso? Wir wollen gleich rein", sage ich.

"Kindern ist der Zutritt leider erst ab 13 erlaubt".

"Aber wir waren doch letztes Jahr schon mal hier".

"Ja, tut mir leid. Die Hausordnung wurde inzwischen geändert".

Ich muss wohl nicht genauer erklären, wie zerstört Wanda von diesem Urteilsspruch war. Seit Wochen hatte sie sich auf diesen Tag gefreut. Auf dem Parkplatz fing sie zu weinen an. Es fiel mir schwer, sie zu trösten, so sauer war ich. Die Hausordnung? Was für eine Hausordnung? Als ob das ein unumstößliches Gesetz wäre. Ich wollte mich nicht über das Einlass-System mit Zeitfenstern beschweren, das während Corona vielleicht sinnvoll war, aber jetzt nur noch von gierigem Berghain-Größenwahn zeugt. Ich wollte mich nicht beschweren, dass Wanda als Kind auch volle 41,50 Euro kostet. Aber dass sie an der Tür abgewiesen wird, nur weil sie nicht 13 ist, war zuviel für mich.

Kinder müssen draußen bleiben

Ich kann mir vorstellen, wie das kam. Irgendwelche Kinder werden sich irgendwann schlecht benommen haben. Und weil es für das Personal unangenehm und irgendwie unsexy ist, für Ruhe zu sorgen, wurden Kinder grundsätzlich per Hausordnung ausgeschlossen. Ist doch viel einfacher. Ich nehme an, wenn sich mal ein Tscheche oder eine Mormonin schlecht benehmen, wird der Einlass für Mormonen und Tschechen in Zukunft auch verboten sein.

Ich weiß, eine Therme ist ein Ort der Ruhe und Entspannung. Da will man keine schreienden Kinder um sich haben. Aber Wanda ist kein schreiendes Kind. Sie weiß sehr gut, wie man sich in einer Therme zu benehmen hat. Warum also muss sie ferngehalten werden? Sind die Saftschorle-trinkenden Mitte-Hipster im Vabali so schutzbedürftig? Ein schneller Anruf im Liquidrom führte zu keinem besseren Ergebnis. Dort darf man sogar erst ab 16 rein. Ist Berlin so kinderunfreundlich? Oder Deutschland? Ist das überall so? Aber dann rumheulen, dass unsere Gesellschaft immer mehr altert. Wer hat denn unter solchen Umstanden Bock, Kinder zu kriegen?

Genauso im Kino. Stichwort: FSK 6. Als Eltern wird man mit jedem Scheißdreck allein gelassen. Die Corona-Pandemie hätte uns nicht deutlicher vor Augen führen können, was für einen geringen Stellenwert das seelische Wohl der Kinder hat. Aber im Kino kriegt man dann wieder gesagt, dass "Der Gestiefelte Kater" für einen 5-Jährigen absolut untauglich ist. Kann dieser biederen FSK bitte endlich mal jemand das lachhafte Handwerk legen?

Die Corona-Pandemie hätte uns nicht deutlicher vor Augen führen können, was für einen geringen Stellenwert das seelische Wohl der Kinder hat.

Und noch was, wo ich gerade so schön am Wettern bin. Jetzt steht bald wieder die Steuererklärung an. Mein Kind wohnt, wie gesagt, nicht in Berlin. Ich hatte 2022 etwa 2.500 Euro an Fahrtkosten, um Wanda an den Wochenenden zu mir zu holen. Kosten, die ich beim Finanzamt nicht absetzen kann. Anscheinend gelten in Deutschland nur intakte Familien etwas, vom Wechselmodell will man nichts wissen. Ist schließlich unsere eigene Schuld, dass wir an verschiedenen Orten wohnen, n'est-ce pas? Aber nicht mit mir. Ich setze die 2.500 Euro jetzt einfach als Betriebskosten ab. Denn ohne mein Kind geht mir mein Seelenheil flöten. Und ohne mein Seelenheil kann ich nicht schreiben. Lächerlich, dass man zu solchen Tricks greifen muss. Und es wird schwierig werden, Wanda verständlich zu machen, warum sie auch nur einen lausigen Cent in die Rentenkasse dieser greisen Gesellschaft einzahlen soll.

*  Name geändert

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