Laptop vs. Leinwand: Warum es sich immer noch lohnt, ins Kino zu gehen
"Man taucht für 120 Minuten in eine völlig andere Welt ab", sagte Holger Haase einmal zu mir in einem Interview. Deswegen sei er Regisseur geworden. Ein Film legte meinen Berufswunsch bisher noch nicht fest, ins Kino gehe ich mittlerweile aber trotzdem gerne. Die Betonung liegt auf mittlerweile, denn hätte mein Freund mich nicht immer wieder mit ins Kino geschleppt, dann wäre das vermutlich noch immer so. Für mich klang so ein kostspieliger Kinobesuch nie wirklich verlockend und zwar aus einem einzigen Grund: die viele Menschen um mich herum.
Lautes Kauen und Schmatzen. Das Rascheln in Popcorntüten, Gelächter an unpassenden Stellen und unnötige Kommentare aus dem Off. Wie schön stattdessen doch ist, sich auf das eigene Sofa zu lümmeln, das dampfende Lieblingsessen vor der Nase zu haben und keine nervenden Mitschauer*innen um sich herum zu wissen. Kein Anstehen an der Kinoschlange, keine sechs Euro für Popcorn ausgeben und man kann sogar im Schlafanzug kommen.
Der Kinobesuch als Erlebnis
Gerade meine Generation gibt aber offenbar lieber Geld für Streaming-Abos als für Kinokarten aus. Das bestätigt auch eine kürzlich veröffentlichte Umfrage der YouGoV in Kooperation mit Statista, nach der jede*r Dritte, also rund 35 Prozent, nur noch selten oder gar nicht mehr ins Kino geht. Liegt das Goldene Zeitalter des Kinos etwa hinter uns? Fest steht jedenfalls: Für Lichtspielhäuser wird es immer schwieriger gegen das schier unendliche Streaming-Angebot anzukommen. Müssen sie aber auch gar nicht. Denn Kino ist mehr als ein gemütlicher Abend auf der Couch. Kino ist ein Erlebnis.
Ein Erlebnis, das ich auf meinen 14-Zoll-Laptop – ich habe weder einen Fernseher noch einen Beamer – und den fehlenden Lautsprechern nicht zu Hause haben kann. Klassiker wie "Titanic", Neuverfilmungen wie "The Menu" oder "Triangle of Sadness" entfalten ihre komplette Wirkung erst auf der großen Leinwand, im dunklen Raum und mit dröhnenden Lautsprechern. Da kann mein gemütliches Wohnzimmer leider einpacken.
Doch es ist nicht nur die Leinwand und der Megasound, die Kino zu einem Erlebnis machen, sondern auch die Aufmerksamkeit, die ich einem Film im Kino schenke. Mein Handy, mit eingeschaltetem Flugmodus, verschwindet tief in der Jackentasche. Gedanken an den Tag werden in die hinterste Ecke des Gehirns verfrachtet und meine dringend aufzuhängende Wäsche steht auch nicht vor meiner Nase. In fast keiner Situation im alltäglichen Leben bin ich so konzentriert auf eine Sache wie im Kino. Es lässt mich in eine andere Welt abtauchen. Entführt mich in die 1920er Jahre, lässt mich zur Heldin werden oder fesselt mich in Intrigen.
In fast keiner Situation im alltäglichen Leben bin ich so konzentriert auf eine Sache wie im Kino. Es lässt mich in eine andere Welt abtauchen. Entführt mich in die 1920er Jahre, lässt mich zur Heldin werden oder fesselt mich in Intrigen.
Im besten Fall bin nicht nur ich in diese Welt abgetaucht, sondern auch die Menschen um mich herum, die ich früher eher als störend empfunden habe. Aber dann, wenn in Komödien gemeinsam laut und herzlich gelacht wird – ehrlich, wie schön ist das bitte und wer macht das schon alleine auf der Couch? Manchmal sind es auch die Kommentare, die mich zum Schmunzeln bringen und das kann auch mal über eine schlechte Filmwahl hinwegtrösten. Apropos trösten, uncommon opinion, aber bei mir laufen häufiger im Kinosessel die Tränen.
Versteckt in der Dunkelheit und umgeben vom Schluchzen anderer Menschen, kann ich meinen Emotionen wirklich freien Lauf lassen. Und verbinden diese Gefühlsausbrüche uns Kinobesucher*innen nicht alle miteinander? Ganz allein Amazon Prime oder Disney+ glotzend, ist es quasi unmöglich, diese kollektive Erinnerung an einen Film zu erschaffen. Meist kann ich mich schon zwei Tage später nicht mehr daran erinnern. Ein Kinobesuch hingegen bleibt im Gedächtnis.
Einmal kurz in eine andere Welt abtauchen
Zwar kann ich während des Films nicht auf Stopp drücken, um mit meinem Freund über eine Szene zu sprechen, dafür unterhalten wir uns aber danach auf dem Rückweg noch über die Geschichte. Der Weg von der Couch zum Bett ist dafür nämlich zu kurz. Mittlerweile gehe ich, meiner Generation zum Trotz, also gerne ins Kino, genauso gerne verbringe ich aber auch mal einen Abend auf der Couch. Doch spätestens, wenn der Alltag mal zu viel wird und ich eine Pause brauche, dann ist es Zeit für einen guten Film im Kino. Denn ich muss Holger Haase am Ende wohl doch Recht geben: Kino entführt mich jedes Mal in eine andere Welt.
Und ein kleiner Tipp am Rande: Diese ganz besondere Stimmung bekommt ihr vor allem in kleinen, lokalen Programmkinos und nicht in den kommerziellen Ketten. Denen geht es allerdings gerade gar nicht gut. Allein schon deshalb sollten wir alle wieder öfter ins Kino gehen. Who's in?