Lieben heißt nicht loslassen wollen
"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint durchläuft dafür sämtliche Lebensentwürfe. Auf drei Jahre Kleinfamilie folgten vier Jahre Wechselmodell. Inzwischen hat er eine Freundin, die selbst Mutter ist. Dabei war er immer zufrieden, mit seiner Tochter Wanda* nur ein Einzelkind zu haben. Doch Zeiten ändern sich. Clint findet man auch bei Instagram.
Jetzt ist es soweit. Meine Tochter ist erwachsen geworden und will nichts mehr von mir wissen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Früher, ja früher, haha, da war ich noch ihr Held. Es war immer ihre größte Bestrebung, meine Aufmerksamkeit zu erregen. Jedes Bild, das sie gemalt hatte, jede Playmobil-Figur, die eine neue Frisur bekam, musste von mir angeschaut werden. Wenn sie morgens erwachte, kam sie als erstes zu mir ins Bett zum Schmusen. Egal, welche Unternehmung ich für den Tag vorschlug, ich sorgte damit für Begeisterung.
Und jetzt? Jetzt hat sie plötzlich Freundinnen. Schulfreundinnen und Brieffreundinnen und Freundinnen aus der Nachbarschaft. Sie will nur noch Zeit mit denen verbringen, ich bin völlig uninteressant geworden. Was bitte haben denn diese Freundinnen, das ich nicht habe? Ist es, weil sie jünger sind als ich? Weil sie hübscher sind und besser angezogen? Ich sitze nur noch zu Hause, höre auf das Ticken der Wanduhr und bin enttäuscht. Dass mein Kind, mein eigen Fleisch und Blut, dermaßen oberflächlich ist, hätte ich nicht gedacht.
Was haben ihre Freundinnen, das ich nicht habe?
Na gut, ich gebe es zu: Ganz so schlimm ist es noch nicht. Wanda ist gerade erst acht geworden, sie lässt sich durchaus noch dazu herab, mal mit mir ins Kino zu gehen. Es kommt sogar vor, wenn sie abgelenkt ist und dadurch in alte Muster zurückfällt, dass sie beim Gehen nach meiner Hand greift. Sobald ihr das auffällt, lässt sie natürlich sofort wieder los, um ihre Street Credibility nicht zu gefährden. Aber ich habe den kurzen Moment seliger Nostalgie dann längst in mich aufgesogen, wie ein verkümmerter, lachhafter Schwamm.
Wenn sie mich wenigstens cool finden würde! Ich hatte immer gehofft, sie würde mich cool finden. Doch jetzt muss ich feststellen: Kinder finden ihre Eltern grundsätzlich niemals cool. Ich könnte einen Bullen verprügeln, gegen Tom Hardy im Armdrücken gewinnen, außerhalb eines markierten Raucherbereichs rauchen – völlig egal. Sie wird es nie cool finden. Weil Kinder nur cool finden, was ihre dusseligen Freundinnen und Freunde tun. Und ich kenne sogar die meisten Dinge auf Insta und TikTok, mit denen die sich beschäftigen! Es ist mir nur zu blöd, sie genauso schamlos zu imitieren. Tja, uncool.
Eltern sind für Kinder grundsätzlich uncool
Ich hätte das alles nie für möglich gehalten. In dem Liebeschaos der letzten Jahre, bei all den gescheiterten Beziehungen schien es doch wenigstens sicher zu sein, dass mein Kind immer da sein wird. Dass sie mich bei guter Führung auch immerzu lieben würde. Wie naiv ich doch war. Liebe, papperlapapp. Die einzige Gefühlsregung, zu der ich Wanda noch mit größter Anstrengung bewegen kann, ist ein Augenrollen. Wo ist das liebe Kind hin, das ich an meinem sprichwörtlichen Busen nährte? Ohne sie verliert doch alles sein Leuchten.
Und dann wollen mir noch irgendwelche klugscheißerischen Filme oder Bücher verklickern: Lieben heißt loslassen können. Lieben heißt loslassen können? Lieben heißt: Halt die Fresse! Wer so einen Mist verzapft, kann doch unmöglich schon mal geliebt haben. Lieben heißt festhalten wollen. Lieben heißt, sich das blutende Herz aus der Brust reißen, wenn man feststellt, dass man nicht festhalten kann.
Lieben heißt festhalten wollen. Lieben heißt, sich das blutende Herz aus der Brust reißen, wenn man feststellt, dass man nicht festhalten kann.
Hach, ja. Vielleicht habe ich jetzt schon wieder übertrieben. Ganz so wild ist es wie gesagt nicht. Ich sehe es nur genauso auf mich zukommen. Die Pubertät lauert am Horizont wie der Schatten von Mordor. Meine Freundin versucht mich in solchen Momenten zu beruhigen: Es wird sich zwar einiges ändern, aber es werden auch immer neue Entwicklungen kommen. Wanda und ich werden neue Gemeinsamkeiten finden und andere Dinge teilen. Ihr Wort in Gottes Ohr.
Bis dahin genieße ich noch die letzten Momente seliger Eintracht. Wie den Kinobesuch an diesem Samstag. Der neue "Minions"-Film. Wanda mit süßem Popcorn, ich daneben in glücklichem Schlummer. Jedes Mal, wenn ich zu laut schnarchte, wurde ich freundschaftlich angepufft. Und nach dem Film gingen wir Händchen haltend nach Hause.
*Name geändert