Alleinerziehend ist, wer sich alleinerziehend fühlt

© Wiebke Jann

"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint durchläuft dafür sämtliche Lebensentwürfe. Auf drei Jahre Kleinfamilie folgten vier Jahre Wechselmodell. Inzwischen hat er eine Freundin, die selbst Mutter ist. Dabei war er immer zufrieden, mit seiner Tochter Wanda* nur ein Einzelkind zu haben. Doch Zeiten ändern sich. Clint findet man auch bei Instagram @clint.lukas

Manchmal bin ich erstaunt, dass meine Tochter mich noch immer als ihren Vater ansieht. Nach acht Jahren Mitgliedschaft hat sie ihr Clint-Abo nicht gekündigt, dabei hätte es genug Gründe zur Reklamation gegeben. Nicht dass ich mir keine Mühe gegeben hätte. Ich habe mir immer Mühe gegeben. Aber wie das so ist im Dasein als menschliches Wesen, bleibe ich oft hinter meinen guten Vorsätzen zurück.

Nachdem sie die ersten drei Wochen der Sommerferien bei mir verbracht hat, war sie für die zweite Hälfte komplett bei ihrer Mutter. Wir telefonierten fast täglich per Facetime, einmal besuchte ich sie auf ihrem Bauernhof. Trotzdem vermisste ich sie die ganze Zeit schrecklich, was mein soziales Umfeld in Berlin ununterbrochen zu hören kriegte. Man könnte also annehmen, dass es am ersten Wochenende nach den Ferien endlich zur lang ersehnten Reunion kam. Doch nein, ich musste Wanda versetzen, weil ich eine Lesung in Wuppertal hatte.

Rabenvater 4 Life

Zugegeben, den Vertrag für die Lesung habe ich im Mai unterschrieben, zu einem Zeitpunkt, als ich nicht wissen konnte, wie der Sommer aufgeteilt sein würde. Oder hätte ich es doch wissen können? Mit ein bisschen mehr Planung vielleicht? So oder so, das Kind war in den Brunnen gefallen. Wanda in Tränen am Telefon mit der berechtigten Frage, warum sie nicht zu mir kommen kann. Das einzige, was ich tun konnte, war, ihr ein Versprechen zu geben: In Zukunft werde ich Anfragen für Lesungen am Wochenende entweder ablehnen, oder aushandeln, dass Wanda mitkommen darf.

Meine Tochter hat es nicht immer leicht mit mir. Seit ihre Mutter und ich uns vor fünf Jahren getrennt haben, war unser gemeinsames Leben oft geprägt von Turbulenzen. Ich hatte neue Freundinnen, die mal mehr, mal weniger mit ihr zu tun haben wollten. Inzwischen bin ich mit Judith zusammen, die selbst einen Sohn hat. Ein Patchwork-Feuerwerk, das ganz gut funktioniert. Oftmals ist es auch anstrengend, aber das liegt wohl in der Natur der Sache. Wir geben alle unser Bestes, schauen mutig nach vorn.

Kreuzzug der Internet-Menschen

Man könnte meinen, das würde reichen. Das Beste von sich zu geben. Dass man trotzdem für den eigenen Lebensstil verurteilt wird, ist man gewöhnt. Und doch kann die Richtung, aus der die Angriffe kommen, überraschend sein.

"Du musst ein bisschen auf die Begrifflichkeiten achten", kam nach meiner letzten Kolumne eine Zuschrift mit passiv-aggressivem Unterton. "Ihr seid keine Patchwork-, sondern eine Stieffamilie. Patchwork wäre es nur, wenn ihr auch ein gemeinsames Kind hättet. Bitte in Zukunft drauf achten!"

Oh mein Gott, dachte ich. Was habe ich getan? Wie konnte ich nur so unsensibel sein, die internationale Patchwork-Community durch meine Achtlosigkeit zu beleidigen. Diese durch ständige Diskriminierungen gequälte Minderheit. Da kann ich mich als Vater noch so bemühen. Ich bin ein Monster. Verständigt das Jugendamt.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich über Begrifflichkeiten stolpere. Als ich für den Tagesspiegel die Kolumne „Clint zwischen den Fronten“ schrieb, fand die Redaktion es griffig, mich als alleinerziehend zu bezeichnen. Das war ich natürlich nie, und ich fand es auch anmaßend, mich so zu nennen. Aus Respekt vor den wirklich alleinerziehenden Menschen. Deshalb suchte ich nach einer anderen Bezeichnung. Dafür bemühte ich allerdings nicht das Internet, sondern mein eigenes Wissen und Gewissen. „Halb alleinerziehend“ war das Ergebnis. Nicht perfekt, aber in meinen Augen doch treffend, weil ich ja immer die Hälfte der Woche allein mit meinem Kind war.

Patchwork oder Stieffamilie?

Hätte ich mich öffentlich zu Gewalt an Kindern bekannt, der Shitstorm wäre nicht heftiger gewesen. "How dare you?!!?1!!" war so in etwa der Grundtenor. Denn natürlich gab es längst von klugen Internet-Menschen festgelegte Fachbegriffe für sowas. Wir lebten im "Wechselmodell", waren "getrennt erziehend". Meine widerrechtliche Aneignung des Attributs "alleinerziehend" war ein Schlag ins Gesicht der wirklich Betroffenen.

Wie gut und ernsthaft ich mich um meine Tochter sorgte, war dabei vollkommen unwichtig. Die Frage, wie man alleinerziehende Menschen besser unterstützen kann, fiel komplett unter den Tisch. Es ging um die Begrifflichkeiten. So wie auch jetzt wieder. Wieso ist es so wichtig, ob wir eine Patchwork- oder eine Stieffamilie sind? Wen verletze ich damit, dass ich das Etikett "Patchwork" für uns verwende? Doch nur verbiesterte Internet-Menschen, die sich über jeden Graben freuen, den sie aufreißen können.

"Papa, was machst du gerade?", will Wanda wissen, als wir wieder telefonieren.

"Ich schimpfe mal wieder auf die Leute im Internet."

"Und holst du mich am Freitag fürs Wochenende?"

"Ich hole dich, komme was wolle. Und weißt du was? Micha Bittner hat mich gerade gefragt, ob ich am 30. September beim Kantinenlesen in Görlitz auftreten will. Und weißt du, was ich gesagt habe?"

"Was denn?"

"Dass ich nicht kann. Weil du dann bei mir bist."

*  Name geändert

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