"Wählt keine Kleinparteien" ist eine immer wiederkehrende, blödsinnige Aufforderung
Inzwischen darf ich mehr als die Hälfte meines bisherigen Lebens wählen und während sich Wahlprogramme und Gesichter im Laufe der Jahre geändert haben, ist eine Sache gleich geblieben: Wenn ich wähle, entscheide ich mich bewusst für kleine Parteien, von denen es in unserem Land ja so einige gibt.
Welche Partei bzw. Parteien ich dabei bevorzuge, ist hier und heute irrelevant. Ich gehöre auch nicht zu den Leuten, die ihre Wahlentscheidung in die Welt hinausposaunen. Nicht, weil ich eine demokratiefeindliche oder radikale Partei unterstütze, sondern weil ich schlicht und ergreifend keine Lust darauf habe.
"Ich wähle eine Kleinpartei" ist dementsprechend meine Standardantwort, wenn rund um eine Wahl die altbekannte, immer wiederkehrende Frage nach meinen Parteipräferenzen kommt. Damit stehe ich nicht alleine, wenn man sich die letzten Wahlergebnisse und aktuelle Trends (Sonstige Parteien erreichen hier momentan 6%) betrachtet. Und hiermit scheint offensichtlich aus dem Nichts ein Problem zu entstehen. Ein Problem, dass auch medial immer wieder thematisiert wird.
DIE schaffen es sowieso nicht ins Parlament!
Was dann nämlich kommt, ist die ebenfalls immer wiederkehrende Flut an – gerne auch leicht vorwurfsvollen – Rückfragen: "Dir ist schon bewusst, dass DIE (Versalien als betontes Stilmittel der Abgrenzung, warum nicht...) es nie in den Bundestag schaffen, oder?" Kaum zu glauben: Dieser Fakt ist mir bewusst – Fünf-Prozent-Klausel, you know?
Eine Regelung, die nebenbei dafür sorgt, dass seit Beginn der Bundestagswahlen 1949 unfassbare 8 Parteien (!!!) in Fraktionsstärke im Bundestag saßen. Darunter ist mit dem "Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten" eine politische Gruppierung, die 1961 aufgelöst wurde. Obendrauf kommen noch ein paar Parteiübertritte, Mandate via Wahlbündnisse, Parteien ohne nötige Fraktionsstärke, die allesamt in den Anfangsjahren der BRD im Parlament saßen. That's it.
Bin ich die einzige Person, die diese Auswahl für über 70 Jahre, die der Bundestag besteht, ein bisschen mau findet? Ist niemand anderes da draußen, der ebenso der Meinung ist, dass das in keiner Weise die Vielfalt unseres aus mehr als 80 Millionen Einwohner*innen bestehendes Landes repräsentiert?
Fehlendes Engagement? Wohl eher fehlende mediale Aufmerksamkeit!
Die ganze Chose geht aber noch weiter: "Du weißt aber schon, dass deine Stimme damit wegfällt, und du damit der AfD zu mehr Sitzen im Parlament, ergo: an die Macht verhilfst?" Mal ne Rückfrage meinerseits: Befinden wir uns hier eigentlich in einer Demokratie, in der das Individuum frei für sich entscheidet? Grundsätzlich wähle ich eine Partei, weil ich mich in ihren Inhalten wiederfinde und nicht einfach nur als Mittel zum Zweck, um anderen zu ihrem selbsternannten Recht und zum Erfolg zu verhelfen. Ebendiese Taktik bringt manche Leute doch dazu, etablierten Parteien den Rücken zu kehren und das blau-nationalistische Elend zu wählen.
Ich wähle nicht AfD, der III. Weg und wie die ganzen Deppen so heißen, weil ich die zum Kotzen finde – und soll deswegen bewusst andere wählen, bei denen der Brechreiz nicht ganz so ausgeprägt ist? Was ist das für eine Logik, der auch medial nicht selten gefolgt wird? Wie soll eine Kleinpartei – egal ob es die für Tierschutz, diese Esoteriker*innen, deren Namen mir gerade nicht einfällt oder irgendwelche Marxist*innen sind – über die 5-Prozent-Hürde kommen, wenn man dazu aufgerufen wird, sich bei Grabenkämpfen unbedingt auf die Seite irgendeiner etablierten Partei zu stellen, um den anderen eins auszuwischen. Bei jeder verdammten Wahl wird man dazu aufgefordert.
Wenn ein Video zur Wahl von Kleinparteien mit der Frage "Lohnt sich das?" betitelt wird, ist das Meinungsmache in die Gegenrichtung – nicht viele werden sich schließlich dieses Video ansehen. Gleiches bei NTV: "Engagement ohne Sinn? Was Kleinparteien motiviert". Was ist das für eine Überschrift? Weiter zum WDR und der Aussage: "Kleinstparteien im Wahlkampf – Engagement ohne Aussicht auf Mandate". WTF!
Das Tollste an diesem Blödsinn ist allerdings, dass die etablierten Parteien gerne Slogans in Richtung "Mit uns wird sich was ändern" fabriziert. Machen wir es kurz: Nix wird sich ändern. So sieht es doch aus. Es würde sich was ändern, wenn die Parteienvielfalt steigen würde. Aber das weiß man ja gekonnt zu verhindern.