Die Kurzgeschichte eines Urlaubsflirts oder auch "Die spanische Maskenaffäre"

© Annette Sousa | Unsplash

Ob das flaue Gefühl in meinem Magen von den drei Weißweinen, der doppelten Portion Patata Bravas am Vorabend oder dem unrasierten Männergesicht direkt vor meinem kommt, weiß ich nicht. Ich weiß nur, es kribbelt unbekannt aufregend in meiner Bauchgegend und es fühlt sich unheimlich toll an. Nachdem mein letzter Kuss vor der Pandemie stattgefunden hat, ist es gleich soweit: Ich werde knutschen!

Die Kurzgeschichte eines Urlaubsflirts oder auch "Die spanische Maskenaffäre"

Dass ich mich dafür in einem anderen Land – in dem auf der Straße Maskenpflicht herrscht – strafbar mache, ist mir in diesem Moment relativ egal. Der Fakt taugt tatsächlich nur für einen beschämten Witz, um die peinliche Stille nach dem ersten Kuss zu überbrücken. "Are they gonna arrest us because we are kissing without a mask?". Ich bekomme keine Antwort. Dafür wird weiter geküsst.

Ist mir der Kuss wirklich 100 Euro Bußgeld wert? Die Frage in meinem Kopf sorgt dann zumindest für einen breiten Grinser. Das Grinsen ist mir generell an diesem Abend nicht mehr aus dem Gesicht zu bekommen. Was ein Spaß! Wie konnte ich mir das seit mehr als einem Jahr entgehen lassen?

Ist mir der Kuss wirklich 100 Euro Bußgeld wert?

Wie sehr es mir fehlt zu knutschen, ist mir tatsächlich erst durch einen Artikel von meiner ebenfalls Single-Kollegin Insa aufgefallen. Mit schwerem Herzen und fettem Seufzer habe ich mir beim Lesen insgeheim (ein klitzekleines bisschen) erhofft, dass sich im Urlaub die Möglichkeit dafür ergibt.

Die Umsetzung war erstaunlich einfach. Nachdem ich auf eigene Faust eine Woche durch Andalusien reisen wollte, hieß mein erster Stopp Málaga. Sonne, 30 Grad, Palmen, Strand, Bikini, Badelatschen und das erste Bier um 15 Uhr. Vielleicht etwas auch früher. Alleine zu reisen, gefällt mir gut. Nach positiven Erfahrungen in China und Kambodscha, fällt es mir dabei auch nie schwer, Bekanntschaften zu schließen. Bisher beruhten die aber auf Radausflügen sowie Pub Crawls und beinhalteten lediglich den Austausch von Instagram-Profilen, aber keinen Körperflüssigkeiten.

Bumble und das Bauchgefühl

Mir egal, was passiert: Ich habe jetzt Lust zu daten! Eine meiner Freundinnen hat sich über Tinder schon Ausflüge zu Weingütern und Kochkurse klargemacht. Also mal schauen, was bei mir rausspringt. Hauptsache er ist cool und wir haben eine gute Zeit. Im allerbesten Fall passiert mehr. Leider gibt es dafür weder bei Tinder noch bei Bumble einen Suchfilter. Ich verlasse mich also auf mein Bauchgefühl.

Anstatt mit den unzähligen Juans, Josés oder Jesus' zu matchen, werde ich bei einem lässig aussehenden, tätowierten und rauchenden (eigentliches No-Go) Ricky neugierig. "Que pasa?" fungiert als universelle Opening Line in Spanisch, mit der Hoffnung, danach möglichst schnell auf Englisch zu wechseln, da das Date mit meinem verrosteten Schulspanisch wohl recht einseitig verlaufen würde.

Que pasa?" fungiert als universelle Opening Line in Spanisch, mit der Hoffnung, danach möglichst schnell auf Englisch zu wechseln.

Und siehe da, es klappt. Ricky fragt mich direkt, ob wir was trinken gehen möchten. Ich habe die Auswahl zwischen Bier- oder Rotwein-Emoji. Ich entscheide mich für beides "in exactly that order." Da ich abends noch nichts vorhabe, steht das Treffen schneller als ich gucken kann. Oha, ich habe wirklich ein Date!

Nachdem mindestens drei Freundinnen darüber informiert wurden, warte ich mit dem schönsten zerknitterten Outfit, das mein Rucksack hergegeben hat, leicht nervös auf Ricky, der mit Vintage-Hemd und ausgelatschten Adidas-Turnschuhen irgendwie direkt vertraut wird. Wir hätten sehr gut auch an eine Neuköllner Straßenecke gepasst. Das Setting ist dann doch eher spanisch. Wir landen in einer kleinen Weinbar, wo wir zwei oder drei großzügige Weißweine trinken und ins Plaudern kommen. Er erzählt über sein Leben in Israel (klar, ein Israeli in Spanien, was sonst), seinen komischen Mitbewohner, seine Corona-Infektion und seine Liebe zu Wein. Ich höre zu, lache ein bisschen zu laut, erzähle von Berlin, meinen Reiseplänen, meiner Corona-Infektion und meiner Liebe zu spanischem Essen. Weil das Gespräch so gut läuft wie der kühle Verdejo, ziehen wir weiter.

Weil das Gespräch so gut läuft wie der kühle Verdejo, ziehen wir weiter.

Da in Spanien zu dieser Zeit auf der Straße noch Maskenpflicht gilt, streifen wir mit FFP2-Maske durch die engen Gässchen, lassen uns im Samstagabend-Getümmel treiben und steuern auf eine Bar zu. Uns bleiben noch genau 1 1/2 Stunden, bevor die Bar schließt, deshalb fällt die Wahl auf einen Negroni. Dreifacher Alkohol, me gusta. Weil wir nebeneinander am Tresen sitzen, ist Körperkontakt quasi unvermeidbar. Die Themen werden persönlicher. Es ist ein bisschen, als ob wir uns schon länger kennen. Nachdem wir freundlich gebeten werden zu zahlen, ist klar, dass es für mich zurück ins Hostel geht. Wir schlendern also zusammen los, bis ich an einer Kirche stehen bleibe. Es ist einfach jedes Mal faszinierend, wie hinter einer ranzigen Häuserwand plötzlich eine viel zu schöne Kapelle quasi aus dem Nichts auftaucht. So still und beleuchtet und mit etwas Promille, kommt da glatt Gänsehaut auf. Und die Gänsehaut bleibt auch, als sich Ricky zu mir dreht und mich küssen will. Es braucht einen Moment bis ich verstehe, dass ich meine Maske abziehen muss, damit das funktionieren kann. Es braucht noch einen Moment, damit ich realisiere, dass ich gerade wirklich küsse. Und wie. Der Urlaub ist jetzt schon toll, komme was wolle!

Nachdem ich nach weiteren zwei Kuss-Stopps in meinem Hochbett liege, frage ich mich, wieso das im Urlaub vermeintlich so leicht ist und zu Hause nicht. Die Frage lässt mich die nächsten Tage am Strand und bei Streifzügen durch die Markthallen der Stadt nicht los.

Wieso sind wir um Urlaub einfach mehr in Flirtlaune?

Bin ich im Urlaub offener? Ich glaube ja. Hier ein Lächeln, da ein "Hola". Bin ich im Urlaub entspannter? Ziemlich sicher. Habe ich im Urlaub mehr Zeit? Definitiv ja. Könnte ich das in Berlin nicht auch so leben? Ja, wieso eigentlich nicht? Warum hatte ich seit über einem Jahr kein Date mehr? Wieso finde ich es zu Hause oft anstrengend und eher nervig mich zu verabreden und vermeintlich neue Knutsch-Partner zu treffen? Stattdessen treffe ich mich mit der Ex-Kollegin zum Wein, putze die Wohnung oder koche mit meiner Mitbewohnerin. Alles sowieso besser und sinnvoller als sich wieder mit jemanden zu treffen, den man danach vermutlich nicht wieder sieht. Habe ich im Urlaub einfach weniger Erwartungen? Oder weniger Alternativen? Wieso bin ich im Urlaub einfach mehr in Flirtlaune?

Ich swipe noch so ein bisschen herum, hab' aber eigentlich gar keine Lust noch jemand anderen zu treffen. Deshalb treffe ich mich zwei Tage später noch einmal mit Ricky. Es ist ein kleines Déjà-vu. Wir trinken Wein, dann Cocktails. Wir unterhalten uns über Wein und Cocktails sowie Spanien, Tel Aviv und Berlin. Als die Bar schließen muss, brechen wir auf. Er schenkt mir ein Fladenbrot, das ein Junge auf der Straße verkauft. Ich finde, die Rosenverkäufer *innen in Berlin sollten darüber auch mal nachdenken. Ich finde Brote romantisch. Weil die Bar direkt am Hostel liegt, steuern wir in Schneckentempo darauf zu. Vor der Eingangstür passiert es wieder: Wir knutschen. Es macht so Spaß, dass ich eigentlich gar nicht mehr aufhören will. Ricky wohl auch nicht. Deshalb lädt er mich zu sich ein. Ich überlege, will aber irgendwie nicht mitkommen. Können wir nicht einfach noch bis morgen früh wie Teenager hier stehen bleiben?

Mein Fazit nämlich lautet: Ein Urlaubsflirt ist definitiv unbezahlbar.

Irgendwann entscheiden wir uns dann doch, uns zu trennen. Also verabschiede ich mich mit meinem sehr fluffigen und großen Geschenk. Wie auch letztes Jahr, werde ich die zwei veganen Kondome mit den bunten Sprüchen im Gepäck weiter durch Spanien transportieren, um sie in Berlin wieder auszupacken. Dann werde ich dabei aber an Ricky denken, der als Ricky Malaga Bumble in die Geschichte meiner Handy-Kontakte eingehen wird. Und an das unglaublich tolle Gefühl eines Urlaubsflirts, das auch nach meinem Urlaub noch eine ganze Weile nachschwingt.

Vielleicht werde ich einfach mal eine Woche Urlaub in Berlin einlegen, das Risiko für ein Bußgeld jeglicher Art nehme ich gerne in Kauf. Mein Fazit lautet nämlich: Ein Urlaubsflirt ist definitiv unbezahlbar.

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